Tokenisierung der Mobilität

Wenn der Wagen selber zahlt

Tokenisierung bringt neue Geschäftsmodelle in die Automobilindustrie. Deutsche OEMs testen Blockchain für Zahlungssysteme, Lieferketten und digitale Fahrzeugidentitäten.

3 min
Mercedes ermöglicht seit 2023 mit Pay+ das Bezahlen von Parktickets oder Tankvorgängen direkt im Auto per Fingerabdruck. DAhinter steckt das Prinzip Delegated Authentication und die Cloud-Token-Framework-Technologie von Finanzdienstleister Visa.

An einem dieser kalten, klaren Herbsttage rollt eine elektrische Luxuslimousine auf eine Ladesäule zu. Der Fahrer bleibt gelassen im Sitz; kein Griff zur Brieftasche, kein hektisches Tippen auf dem Display. Ein Fingerabdruck reicht und das Auto übernimmt.

Während der Strom in die Batterie fließt, beginnen im Hintergrund digitale Räder zu rotieren: Kryptografische Signaturen werden ausgestellt, eindeutige, fälschungssichere digitale Einheiten – sogenannte Token – verschickt, Identitäten überprüft. Was nach Zukunftsprosa klingt, ist längst Gegenwart. Die Mobilität beginnt, sich neu zu erfinden und sie tut es leise, aber radikal.

Was bedeutet Tokenisierung für OEMs?

Die Autoindustrie steht an einem technologischen Wendepunkt, der so unscheinbar wirkt wie dieser Ladevorgang und doch das Potenzial hat, die Branche ebenso tiefgreifend zu verändern wie einst die Elektrifizierung. Denn Fahrzeuge werden zu digitalen Akteuren. Sie handeln, zahlen, prüfen, verwalten – autonom und abgesichert durch Blockchains. Die 2020 noch ambitionierte Vision eines dezentralen Mobilitätssystems, geboren in Forschungslaboren und auf Innovationsbühnen, ist erwachsen geworden. Allerdings anders, als ihre frühen Vordenker es sich ausgemalt hatten.

Damals träumten Initiativen wie das Fraunhofer-Projekt Omos von einem offenen, herstellerübergreifenden Ökosystem, in dem alle Verkehrsträger – vom Scooter bis zum Lastwagen – über eine gemeinsame Blockchain-Infrastruktur miteinander interagieren. Eine Mobilität ohne Gatekeeper, ohne zentrale Abrechnungsstellen, ohne institutionelle Abhängigkeiten. Geblieben sind die Grundprinzipien: dezentrale Identitäten, sichere Abrechnung, interoperable Datenräume. Doch umgesetzt werden sie heute dort, wo sie ein konkretes Problem lösen: im Fahrzeug, in der Lieferkette, in der Serviceabwicklung. Die große Vision ist im Kleinteiligen aufgegangen. Und genau das macht sie greifbar.

Wie verändert In-Car-Payment das Servicegeschäft?

Besonders sichtbar wird dieser Wandel im Zahlungsverkehr. Deutsche Hersteller haben ihre Fahrzeuge längst zu Zahlungseinheiten aufgerüstet. Mercedes etwa ermöglicht seit 2023 mit Pay+ das Bezahlen von Parktickets oder Tankvorgängen direkt im Auto. Die Kartendaten? Tokenisiert. Die Autorisierung? Per Fingerabdruck. Noch einen Schritt weiter geht Daimler Truck: Mit Truck-ID und Truck-Wallet werden Lkw zu selbstständigen Wirtschaftssubjekten, die Maut, Laden oder Frachtdokumente eigenständig abwickeln können. Vodafone wiederum verleiht Fahrzeugen über die SIM-Karte eine digitale Identität, mit der sie Micropayments tätigen. Das Auto als Akteur – in dieser Rolle scheint sich die einst abstrakte Blockchain-Technologie zum ersten Mal wirklich zu Hause zu fühlen.

Doch das Ökosystem wächst über den Zahlungsverkehr hinaus. Längst werden nicht nur Dienstleistungen, sondern auch physische Güter tokenisiert. BMW dokumentiert in seiner PartChain die Herkunft von Teilen und Rohstoffen fälschungssicher bis zum Ursprung. Ein Token wird zum digitalen Zwilling eines Kobaltbrockens und sorgt dafür, dass dieser nicht unterwegs seine Identität verliert. Start-ups wie Eloop wiederum experimentieren mit einer teilweisen Tokenisierung ganzer Fahrzeugflotten. Der Wagen wird zum Investitionsgut, das sich digital in Anteile aufsplitten lässt.

Welche Rolle spielt Blockchain in der europäischen Lieferkette?

Besonders weit entwickelt zeigt sich die Tokenisierung jedoch in den Lieferketten. Die Automobilindustrie, eine ihrer komplexesten überhaupt, kämpft seit Jahren mit dem Bedarf nach Transparenz, Nachhaltigkeitsnachweisen und revisionssicheren Prozessen. Token ersetzen dabei zunehmend die Papierakte. Smart Contracts beschleunigen Bestellprozesse, CO2-Werte lassen sich lückenlos nachverfolgen, Herkunftsnachweise werden unveränderlich dokumentiert. Ein Ökosystem entsteht, das weniger Verwaltung, weniger Streitfälle und mehr Kontrolle ermöglicht.

Eine weitere Säule dieser neuen Mobilitätslogik liegt in digitalen Fahrzeugidentitäten. Projekte wie das Car-Wallet des österreichischen Unternehmens Riddle & Code oder die Truck-ID von Daimler zeigen, wie Fahrzeuge eindeutig und sicher auf der Blockchain repräsentiert werden können. Damit werden sie anschlussfähig für Serviceketten, für Sharing-Modelle, für autonome Services. Die Vision einer selbstständig handelnden Mobilität erhält hier ihre technologische Grundlage.

Warum aber existiert die viel zitierte offene Mobilitäts-Blockchain aus dem Jahr 2020 bis heute nicht? Die Antwort ist ernüchternd und lehrreich zugleich. Es mangelte weniger an der Technologie als an der Bereitschaft, die dafür nötigen Daten tatsächlich zu teilen. Hersteller fürchteten den Verlust wertvoller Informationen und Einflussmöglichkeiten. Standardisierungen scheiterten im Kleingedruckten wirtschaftlicher Interessen. Und so wich die große Utopie der praktischen Realität: Viele ihrer Bestandteile wurden übernommen, aber in Form einzelner, klar definierter Anwendungen.

So hat sich die Tokenisierung still, aber bestimmt vom holistischen Traum zum pragmatischen Werkzeug entwickelt. Sie greift dort ein, wo sie Effizienz schafft – und nicht dort, wo sie ganze Systeme umstülpen müsste. Die Revolution kommt somit nicht als Donnerschlag, sondern als Summe vieler kleiner Veränderungen. Und vielleicht ist genau das die Art Wandel, die eine traditionsreiche Industrie besser verträgt: nicht disruptiv, sondern Schritt für Schritt, bis eines Tages der Fingerabdruck reicht – und das Auto den Rest übernimmt.

FAQ zu Tokenisierung & Blockchain

Was ist Tokenisierung in der Automobilindustrie

Tokenisierung bildet Fahrzeuge, Komponenten oder Daten als digitale, fälschungssichere Assets ab. Dadurch lassen sich Zahlungen, Services und Lieferketten automatisieren.

Welche Use Cases sind in Deutschland bereits produktiv? 

In-Car-Payments, Truck-Wallets, Lieferketten-Tracking, CO₂-Nachweise und digitale Fahrzeugidentitäten.

Welche Vorteile bringt Tokenisierung OEMs und Zulieferern? 

Weniger Administration, höhere Datenintegrität, neue Geschäftsmodelle und automatisierte Prozesse.