Warum Logistik eine Digitalisierungskultur braucht
Die Logistik verlagert ihren Schwerpunkt vom Materialfluss auf Daten und Informationsnetze. Warum Kultur, Datenqualität und Architektur entscheidend für den digitalen Erfolg werden, zeigte Thorsten Sommer von Volkswagen auf dem automotiveIT Kongress.
Pascal NagelPascalNagelPascal NagelEditor in Chief
2 min
Thorsten Sommer von Volkswagen zeigt auf dem automotiveIT Kongress 2025, wo die Digitalisierung Logistikprozesse unterstützen kann – und wo die Grenzen der Technologie sind.Marko Priske
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Die Digitalisierung in der automobilen Logistik hat ihre
klassischen Grenzen hinter sich gelassen. Prozesse, die früher über
Behältertechnik, Transportketten oder Routenzüge optimiert wurden, stoßen
zunehmend an strukturelle Limits. Heute liegen die Hebel der Effizienz nicht
mehr primär im physischen Materialfluss, sondern im Informationsfluss und damit in Daten, Architektur und Kultur. Diese Perspektive prägte den
Vortrag von Thorsten Sommer, Leiter Produktion & Logistik IT im
Volkswagen-Konzern, auf dem automotiveIT Kongress, der die aktuellen Umbrüche in der industriellen Logistik
präzise auf den Punkt brachte.
Digitalisierung wird zur Kernkompetenz der Logistik
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Eine interne Analyse im Logistikbereich von Volkswagen
markiert dabei einen Wendepunkt: 60 Prozent des Zielbilds für 2030
lassen sich nur noch durch digitale Mittel erreichen. Für Sommer ist diese Zahl
weniger technisch als kulturell brisant. „Die Technologie funktioniert“,
betonte er, „die eigentliche Herausforderung ist die Kultur.“ Der Wandel fordere nicht nur neue Werkzeuge, sondern eine grundsätzliche
Öffnung gegenüber Informationsmodellen, Datenflüssen und IT-Kollaboration. Dies besonders im Mittelmanagement, das sich laut Sommer mit Digitalisierung „oft
schwerer tut als die Mitarbeitenden“.
Zentral in Sommers Argumentation ist der Gedanke, Logistik
künftig nicht mehr primär über physische Netzwerke zu definieren, sondern über
Informationsnetzwerke. Diese müssten dieselben Prinzipien erfüllen wie
klassische logistische 6R-Regeln: richtige Information, zur richtigen Zeit, am
richtigen Ort, in der richtigen Qualität, für den richtigen Empfänger. Damit verschiebt sich die Kompetenzbasis der Logistik.
Sommer formulierte eine provokante These: „Alle Logistiker werden in spätestens
fünf Jahren Informatiker sein.“ Gemeint ist nicht die Abkehr vom physischen
Prozess, sondern die Notwendigkeit, Datenmodelle zu verstehen,
Informationsflüsse zu beherrschen und digitale Abhängigkeiten aktiv zu managen.
Die Technologie funktioniert, die eigentliche Herausforderung ist die Kultur
Thorsten Sommer, Volkswagen
Daten als strategisches Asset – nicht als Nebenprodukt
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Mit Blick auf KI stellte Sommer klar: Ohne moderne
Datenarchitektur sei jeder Technologie-Hype wertlos. „KI ist total cool, aber
haben Sie es schon mal mit BI versucht?“ Seine Botschaft: Unternehmen
investieren massiv in GenAI-Plattformen, ohne zuvor die Grundlagen –
Datenqualität, Schnittstellen, Applikationslandschaft, semantische Modelle – zu
konsolidieren. Hier schließt Sommer an eine breitere Branchenentwicklung
an: weg von pauschalen „Cloud-first“-Vorstößen hin zu Cloud-smart-Strategien,
die Datenhoheit, Kosten und Architekturkohärenz in den Mittelpunkt rücken.
Daten werden damit zu einem ökonomischen Asset, das nicht nur
gespeichert, sondern bewertet, gesteuert und operationalisiert werden muss.
Scharf formulierte Sommer seine Kritik an technikgetriebenen
Digitalisierungsprojekten: „Für mich gibt es keine strategischen Investitionen
in Digitalisierung.“ Damit adressiert er eine verbreitete Praxis,
Technologieprojekte mit unklarer Wertschöpfung unter dem Schlagwort
„strategisch“ durchzuschleusen. Sein Gegenvorschlag: Ein KPI, der den Business
Value ins Verhältnis zum Hype Factor setzt. Technologien mit geringer
Marketing-Strahlkraft – etwa Prozessmonitoring oder Transparenztools –
lieferten oftmals den höheren Effizienzhebel. Der Vortrag von Thorsten Sommer war weniger ein Blick auf
die neueste Technik als ein klares Plädoyer für die Professionalisierung des
digitalen Unterbaus der Logistik. Die Botschaft ist deutlich: Die Zukunft
der Logistik entscheidet sich nicht im Lager, sondern im Informationssystem.
Wer Daten, Kultur und Architektur im Griff hat, gestaltet die nächsten
Jahrzehnte logistischer Wertschöpfung – alle anderen laufen dem nächsten Hype
hinterher.
Digitalisierung der Logistik
1. Informationsnetzwerke aktiv gestalten
Logistik wird zunehmend zur Informationsdomäne. Informationsstrukturen müssen
gestaltet werden wie Materialflüsse – mit eigenen Regeln, Verantwortlichkeiten
und Standards.
2. Daten als Werttreiber etablieren
Datenmodell, Semantik und Architektur sind keine IT-Details, sondern
strategische Produktionsfaktoren. Wer die Grundlagen nicht sauber definiert,
kann weder KI noch Automatisierung skalieren.
3. Digitalisierung am Geschäftsnutzen ausrichten
Technologien müssen immer am operativen Mehrwert gemessen werden: Effizienz,
Transparenz, Stabilität – nicht an Innovationsglanz oder Trendzyklen.