Thomas Buck, ZF

„Architektur ist für uns ein zentrales Steuerungsinstrument“

Seit Januar 2025 ist Thomas Buck CIO bei ZF und treibt die IT-Transformation des Konzerns mit frischem Blick voran. Im Talk auf dem automotiveIT Kongress spricht er über die Neuausrichtung der ERP-Landschaft und erläutert, warum der Wandel nicht nur ein technologischer Prozess ist.

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Interview mit ZF-CIO Thomas Buck
Auf dem automotiveIT Kongress gibt Thomas Buck einen Einblick in seine ersten Monate bei ZF

Herr Buck, Sie sind seit Anfang des Jahres CIO bei ZF. Wie sind Sie die ersten Monate angegangen?

Zunächst einmal: Ich freue mich sehr, diese Aufgabe bei ZF übernommen zu haben. Es ist für mich eine spannende Herausforderung. Besonders wichtig war die sehr gute Übergabe von meinem Vorgänger Jürgen Sturm – ohne eine solche Übergabe ist ein reibungsloser Start kaum möglich. Am Anfang habe ich mir die Strukturen angesehen, die ich vorgefunden habe. Sie waren grundsätzlich solide, mussten aber natürlich auch ein Stück weit auf meine Person und meinen Führungsstil zugeschnitten werden. Parallel dazu habe ich frühzeitig Kontakt zu meinem Management-Team und zum weltweiten IT-Team aufgenommen. Ein Punkt war mir von Anfang an besonders wichtig: den Blick von außen zu bewahren. Ich wollte verstehen, warum Dinge so sind, wie sie sind – und gleichzeitig bereit sein, sie zu hinterfragen, wenn ich das Gefühl habe, dass es auch anders gehen könnte. Auch nach neun Monaten versuche ich mir diesen „neuen Blick“ bewusst zu erhalten. Das war und ist für mich entscheidend.

Dieser frische Blick hat zum Beispiel zu einem ganz zentralen Projekt geführt: „next.GenERP“. Ziel ist es, SAP S/4Hana als zen­trale Plattform einzuführen. Was macht dieses Programm besonders?

Der Name „next.GenERP“ ist vielleicht nicht besonders kreativ, und eine S/4-Migration haben viele Unternehmen derzeit auf der Agenda – manche sind mittendrin, andere haben sie bereits abgeschlossen oder noch vor sich. Das allein ist also noch nichts Besonderes. Die Besonderheit bei ZF liegt in der Dimension und Komplexität: Wir sprechen von rund 100 ERP-Systemen weltweit – und das nicht nur SAP, sondern auch andere Anbieter. Diese historisch gewachsene Landschaft, geprägt durch verschiedene Fusionen und Übernahmen, bringt erhebliche Herausforderungen mit sich. Die erste Herausforderung ist die schiere Anzahl der Systeme. Zweitens gilt es, die Balance zu finden zwischen möglichst hoher Standardisierung und einem gewissen Maß an Flexibilität, die die einzelnen Geschäftsbereiche zurecht beanspruchen. Drittens ist die Zeit knapp – wir müssen die Herausforderungen der Transformation in einem ambitionierten Zeitraum schaffen.

Wie haben Sie diese Herausforderung konkret adressiert?

Wir haben unsere Strategie angepasst. Bislang war vorgesehen, jedes System – ob SAP oder nicht – einzeln nach S/4Hana zu migrieren und in die Cloud zu bringen. Diesen Ansatz haben wir geändert: Wir heben nun alle Systeme in die Cloud – auch die alten – und bringen sie auf die SAP-Rise-Plattform. Selbst wenn sie nicht sofort nach S/4 migrieren, stellen wir sie zunächst auf Hana-Datenbanken um. Das verschafft uns Zeit und erleichtert das Management der Datenbanken und Schnittstellen. Außerdem bin ich fest überzeugt, dass wir in der Cloud wesentlich bessere Voraussetzungen haben, um die eigentliche S/4-Transformation durchzuführen. Wir haben dort andere infrastrukturelle Möglichkeiten, können zusätzliche Tools nutzen und von Technologien profitieren – etwa von KI-gestützten Lösungen wie Joule for Developers oder Joule for Consultants. All das wird uns helfen, die Transformation zu beschleunigen. Entscheidend war auch, eine Zielarchitektur zu finden, hinter der sich alle Bereiche wiederfinden. Nur wenn es eine gemeinsame Architektur gibt, entsteht die notwendige Akzeptanz.

Sie haben die Reduktion der Systemvielfalt bereits angesprochen. Auf welche Zielgröße wollen Sie hinaus?

Unser Ziel muss sein, am Ende auf eine einstellige Zahl an ERP-Systemen zu kommen. Entscheidend ist, dass wir auf den Ebenen, wo unternehmensweite Transparenz und durchgängige globale Prozesse erforderlich sind, einen klaren Standard schaffen. Dort hat Standardisierung absoluten Vorrang. Gleichzeitig müssen wir in tieferen Ebenen der Supply Chain gewisse Freiheitsgrade ermöglichen. Unterschiedliche Geschäftsbereiche haben dort spezifische Anforderungen, die berücksichtigt werden müssen. Letztlich ist es auch eine Frage der Systemgröße: Ein überdimensioniertes System würde neue Komplexitäten mit sich bringen, das wollen wir vermeiden. Deshalb streben wir eine Architektur an, die wenige, aber robuste Systeme umfasst – Systeme, die Standards ermöglichen, ohne zu starr zu sein.

Das klingt nach einem radikalen Schritt. Wie haben Sie die Balance zwischen Standardisierung und der Bewahrung lokaler Stärken gefunden?

Uns war schnell klar: Dieses Programm ist nicht nur ein technologisches Projekt, sondern auch ein kulturelles. Deshalb haben wir die Programmstruktur komplett neu aufgesetzt. Unser Ziel war es, die relevanten Stakeholder viel stärker einzubinden. Das bedeutet: Wir wollten, dass die Beteiligten nicht das Gefühl haben, nur Betroffene eines Projekts zu sein, das über sie hinweg entschieden wird. Sie sollten stattdessen als aktive Mitgestalter am Tisch sitzen und Verantwortung übernehmen. Nur so entsteht echtes Commitment. Genau dieses Commitment ist am Ende der Schlüssel: Wir haben gemeinsam eine Zielarchitektur definiert, zu der sich alle bekennen können. Stillschweigende Zustimmung reicht nicht – wir brauchen klare Unterstützung, damit das Programm nicht ins Stocken gerät. Als wir diese Basis erreicht hatten, begannen sich die Dinge spürbar zu bewegen.

Der Bedarf an IT-Projekten ist unverändert hoch – auch in schwierigen Zeiten

Thomas Buck, ZF

Dazu gehört auch ein neuer IT-Architecture-Governance-Prozess. Künftig müssen Enterprise- und Domain-Architekten jedes Projekt mit freigeben. Kritiker könnten einwenden, dass so etwas Projekte eher verlangsamt …

Mein Ziel ist, immer schneller zu werden. Niemand möchte Prozesse einführen, die uns langsamer machen. Tatsächlich investieren wir mehr Zeit am Anfang – ich nenne das „Frontloading“. Aber durch diese frühen, bewussten Architekturentscheidungen, die anfänglich etwas Zeit benötigen, vermeiden wir spätere Diskussionen und Probleme, die Projekte deutlich stärker verzögern würden.

Wie sieht der Prozess genau aus?

Unsere Applikationslandschaft ist sehr heterogen und über viele Jahre gewachsen. Im Vordergrund steht dabei, ihre Komplexität zu reduzieren. Dafür brauchen wir bessere Architekturentscheidungen. Wir müssen uns stärker auf Plattformen fokussieren und uns von einer reinen Best-of-Breed-Logik lösen. Konkret bedeutet das: Für Projekte gibt es künftig keine IT-Lösungen, die irgendwie zu der bestehenden Architektur passen. Stattdessen ist die Architektur selbst ein zentrales Entscheidungskriterium. Unser Prozess sieht vor, dass ein Architekturgremium – organisiert von unserem Enterprise-Architekten und vorbereitet von den Domain-Architekten – die Entscheidungen gemeinsam mit Business-Stakeholdern trifft. Das IT-Management gibt anschließend die finale Freigabe. Ich bin überzeugt, dass wir dadurch insgesamt schneller werden, weil wir spätere Konflikte vermeiden. Schon jetzt sehe ich Beispiele, wo wir durch diese klare Architektursteuerung Probleme frühzeitig verhindern konnten.

Lassen Sie uns noch einmal beim Thema Architektur bleiben. Oft gilt sie als stiefmütterlich behandelt. Wie stellen Sie sicher, dass Architektur bei ZF ernst genommen wird?

Architektur ist für uns kein Randthema, sondern ein zentrales Steuerungsinstrument. Natürlich dokumentieren wir die Architektur in entsprechenden Tools, und wir haben Prozesse etabliert, um sicherzustellen, dass diese Dokumentation aktuell bleibt. Das ist die Basis. Aber das allein reicht nicht. Unser Ansatz geht weiter: Wir wollen die Architektur nicht nur dokumentieren, sondern aktiv steuern. Dazu gehört, Schwachstellen zu identifizieren und gezielt Veränderungen voranzutreiben. Entscheidend ist außerdem, ein architektonisches Zielbild zu entwickeln – also eine klare Vorstellung davon, wie unsere IT-Landschaft in Zukunft aussehen soll. Dieser Prozess ist bei uns jetzt angelaufen. Dokumentation, Steuerung und Zielbild – diese drei Elemente zusammen machen Architekturmanagement effizient.

Wie organisieren Sie die Schnittstelle zwischen IT und OT in einem Unternehmen mit rund 160 Fabriken weltweit?

Ich denke, es ist wenig hilfreich, die IT/OT-Welt in einer klassischen Pyramide zu beschreiben, wie es oft dargestellt wird. Ich sehe das eher wie eine Tabelle mit unterschiedlichen Endpunkten, die jeweils spezifisch behandelt werden müssen. Ein Netzwerkswitch in der Fertigung beispielsweise erfordert ein anderes Management als ein fahrerloses Transportsystem (AGV), und das wiederum unterscheidet sich von einer Maschine, die direkt am Netzwerk hängt. Für jede dieser Kategorien müssen wir klare Regeln definieren: Welche Systeme managt die IT? Wo reichen uns definierte Informationen über angeschlossene Geräte? Wo müssen wir eine gemeinsame Verantwortung mit den Fachbereichen festlegen? Das Ergebnis ist kein überkomplexes Regelwerk, sondern eine schlanke Matrix mit wesentlichen Kategorien und klaren Vorgaben. Damit schaffen wir Transparenz und stellen sicher, dass die Verantwortlichkeiten eindeutig geregelt sind – bis zu welcher Tiefe die IT geht und wo die OT die Hoheit behält.

Thomas Buck

Thomas Buck ist seit Januar 2025 CIO der ZF Group. Der studierte Maschinenbau-Ingenieur begann seine Karriere 1998 als technischer Leiter eines IT-Dienstleisters. Zwischen 2001 und 2007 war Buck in unterschiedlichen Funktionen für die damalige Siemens VDO tätig. Im Anschluss daran verantwortete er bei Continental Automotive den Bereich Engineering Data Management und führte bei dem Unternehmen ein einheitliches PLM-System ein. Fünf Jahre leitete er die weltweite IT-Infrastruktur im Continental-Konzern, bevor er 2016 als CIO in die Automotive-Sparte des Unternehmens wechselte. 2019 separierte Buck die IT im Rahmen der Vitesco-Ausgliederung aus dem Mutterkonzern und übernahm im Anschluss daran die Position des Group CIO bei Vitesco Technologies.

Häufig wird IT vorgeworfen, zu langsam zu sein. Gerade in Zeiten von KI und neuen Tools greifen Fachbereiche selbst auf Daten zu. Wie reagieren Sie darauf?

Geschwindigkeit ist für uns ein zentrales Thema. Aber Geschwindigkeit entsteht nicht automatisch – sie hängt stark von der Organisation und von der Skalierung ab. Organisatorisch haben wir Strukturen geschaffen, die schnelle Entscheidungen ermöglichen: flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege, klare Verantwortlichkeiten. Mir ist wichtig, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein echtes Empowerment spüren. Dazu gehört allerdings auch Verantwortung – nur wenn Zuständigkeiten klar definiert sind, kann Empowerment wirklich funktionieren. Der zweite Aspekt ist die Skalierung. Ein Pilotprojekt lässt sich oft schnell umsetzen. Aber der Rollout auf globaler Ebene ist komplex und kostet Zeit. Genau deshalb setzen wir so stark auf Standards und klare Architekturen: Nur wenn diese Grundlagen stimmen, können wir Lösungen weltweit zügig ausrollen. Beide Hebel – organisatorische Klarheit und technische Standards – sind entscheidend, um die IT schneller zu machen und den Erwartungen der Fachbereiche gerecht zu werden.

Sie haben einmal im Interview mit automotiveIT gesagt: „Je mehr Sie sparen müssen, desto mehr IT ist gefragt.“ Aber auch die IT kostet Geld. Wie überzeugen Sie das Topmanagement in Zeiten von hohem Kostendruck, in IT zu investieren?

Tatsächlich ist es weniger ein Widerspruch, sondern eher eine Frage der Priorisierung. Der Bedarf an IT-Projekten ist unverändert hoch – auch in schwierigen Zeiten. Die Business-Stakeholder suchen permanent nach Effizienzgewinnen und Verbesserungen, und das führt sie fast automatisch zu IT-Systemen. Denn gerade IT bietet Hebel, Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken. Natürlich herrscht in allen Bereichen Kostendruck. Deshalb kommt es darauf an, die richtigen Themen auszuwählen. Entscheidend sind Business Cases. Besonders Projekte, die einen schnellen Return on Investment ermöglichen, stehen aktuell im Fokus. Meine Erfahrung ist: Wenn wir klar nachweisen, welchen konkreten Mehrwert die IT schafft – sei es in Form von Einsparungen, Produktivitätsgewinnen oder verbesserter Transparenz –, dann steht auch das Topmanagement hinter diesen Investitionen. Unsere Aufgabe ist es, diese Nachweise immer besser zu erbringen und damit den Wertbeitrag der IT sichtbar zu machen.