„Architektur ist für uns ein zentrales Steuerungsinstrument“
Seit Januar 2025 ist Thomas Buck CIO bei ZF und treibt die IT-Transformation des Konzerns mit frischem Blick voran. Im Talk auf dem automotiveIT Kongress spricht er über die Neuausrichtung der ERP-Landschaft und erläutert, warum der Wandel nicht nur ein technologischer Prozess ist.
Pascal NagelPascalNagelPascal NagelEditor in Chief
6 min
Auf dem automotiveIT Kongress gibt Thomas Buck einen Einblick in seine ersten Monate bei ZFMarko Priske
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Herr Buck, Sie sind seit Anfang des Jahres CIO bei ZF.
Wie sind Sie die ersten Monate angegangen?
Zunächst einmal: Ich freue mich sehr, diese Aufgabe bei ZF
übernommen zu haben. Es ist für mich eine spannende Herausforderung. Besonders
wichtig war die sehr gute Übergabe von meinem Vorgänger Jürgen Sturm – ohne
eine solche Übergabe ist ein reibungsloser Start kaum möglich. Am Anfang habe
ich mir die Strukturen angesehen, die ich vorgefunden habe. Sie waren
grundsätzlich solide, mussten aber natürlich auch ein Stück weit auf meine
Person und meinen Führungsstil zugeschnitten werden. Parallel dazu habe ich
frühzeitig Kontakt zu meinem Management-Team und zum weltweiten IT-Team
aufgenommen. Ein Punkt war mir von Anfang an besonders wichtig: den Blick von
außen zu bewahren. Ich wollte verstehen, warum Dinge so sind, wie sie sind –
und gleichzeitig bereit sein, sie zu hinterfragen, wenn ich das Gefühl habe,
dass es auch anders gehen könnte. Auch nach neun Monaten versuche ich mir
diesen „neuen Blick“ bewusst zu erhalten. Das war und ist für mich
entscheidend.
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Dieser frische Blick hat zum Beispiel zu einem ganz
zentralen Projekt geführt: „next.GenERP“. Ziel ist es, SAP S/4Hana als
zentrale Plattform einzuführen. Was macht dieses Programm besonders?
Der Name „next.GenERP“ ist vielleicht nicht besonders
kreativ, und eine S/4-Migration haben viele Unternehmen derzeit auf der Agenda
– manche sind mittendrin, andere haben sie bereits abgeschlossen oder noch vor
sich. Das allein ist also noch nichts Besonderes. Die Besonderheit bei ZF liegt
in der Dimension und Komplexität: Wir sprechen von rund 100 ERP-Systemen
weltweit – und das nicht nur SAP, sondern auch andere Anbieter. Diese
historisch gewachsene Landschaft, geprägt durch verschiedene Fusionen und Übernahmen,
bringt erhebliche Herausforderungen mit sich. Die erste Herausforderung ist die
schiere Anzahl der Systeme. Zweitens gilt es, die Balance zu finden zwischen
möglichst hoher Standardisierung und einem gewissen Maß an Flexibilität, die
die einzelnen Geschäftsbereiche zurecht beanspruchen. Drittens ist die Zeit
knapp – wir müssen die Herausforderungen der Transformation in einem
ambitionierten Zeitraum schaffen.
Wie haben Sie diese Herausforderung konkret adressiert?
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Wir haben unsere Strategie angepasst. Bislang war
vorgesehen, jedes System – ob SAP oder nicht – einzeln nach S/4Hana zu
migrieren und in die Cloud zu bringen. Diesen Ansatz haben wir geändert: Wir
heben nun alle Systeme in die Cloud – auch die alten – und bringen sie auf die
SAP-Rise-Plattform. Selbst wenn sie nicht sofort nach S/4 migrieren, stellen
wir sie zunächst auf Hana-Datenbanken um. Das verschafft uns Zeit und
erleichtert das Management der Datenbanken und Schnittstellen. Außerdem bin ich
fest überzeugt, dass wir in der Cloud wesentlich bessere Voraussetzungen haben,
um die eigentliche S/4-Transformation durchzuführen. Wir haben dort andere
infrastrukturelle Möglichkeiten, können zusätzliche Tools nutzen und von
Technologien profitieren – etwa von KI-gestützten Lösungen wie Joule for
Developers oder Joule for Consultants. All das wird uns helfen, die
Transformation zu beschleunigen. Entscheidend war auch, eine Zielarchitektur zu
finden, hinter der sich alle Bereiche wiederfinden. Nur wenn es eine gemeinsame
Architektur gibt, entsteht die notwendige Akzeptanz.
Sie haben die Reduktion der Systemvielfalt bereits
angesprochen. Auf welche Zielgröße wollen Sie hinaus?
Unser Ziel muss sein, am Ende auf eine einstellige Zahl an
ERP-Systemen zu kommen. Entscheidend ist, dass wir auf den Ebenen, wo
unternehmensweite Transparenz und durchgängige globale Prozesse erforderlich
sind, einen klaren Standard schaffen. Dort hat Standardisierung absoluten
Vorrang. Gleichzeitig müssen wir in tieferen Ebenen der Supply Chain gewisse
Freiheitsgrade ermöglichen. Unterschiedliche Geschäftsbereiche haben dort
spezifische Anforderungen, die berücksichtigt werden müssen. Letztlich ist es
auch eine Frage der Systemgröße: Ein überdimensioniertes System würde neue
Komplexitäten mit sich bringen, das wollen wir vermeiden. Deshalb streben wir
eine Architektur an, die wenige, aber robuste Systeme umfasst – Systeme, die
Standards ermöglichen, ohne zu starr zu sein.
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Das klingt nach einem radikalen Schritt. Wie haben Sie
die Balance zwischen Standardisierung und der Bewahrung lokaler Stärken
gefunden?
Uns war schnell klar: Dieses Programm ist nicht nur ein
technologisches Projekt, sondern auch ein kulturelles. Deshalb haben wir die
Programmstruktur komplett neu aufgesetzt. Unser Ziel war es, die relevanten
Stakeholder viel stärker einzubinden. Das bedeutet: Wir wollten, dass die
Beteiligten nicht das Gefühl haben, nur Betroffene eines Projekts zu sein, das
über sie hinweg entschieden wird. Sie sollten stattdessen als aktive
Mitgestalter am Tisch sitzen und Verantwortung übernehmen. Nur so entsteht echtes
Commitment. Genau dieses Commitment ist am Ende der Schlüssel: Wir haben
gemeinsam eine Zielarchitektur definiert, zu der sich alle bekennen können.
Stillschweigende Zustimmung reicht nicht – wir brauchen klare Unterstützung,
damit das Programm nicht ins Stocken gerät. Als wir diese Basis erreicht
hatten, begannen sich die Dinge spürbar zu bewegen.
Der Bedarf an IT-Projekten ist unverändert hoch – auch in schwierigen Zeiten
Thomas Buck, ZF
Dazu gehört auch ein neuer
IT-Architecture-Governance-Prozess. Künftig müssen Enterprise- und
Domain-Architekten jedes Projekt mit freigeben. Kritiker könnten einwenden,
dass so etwas Projekte eher verlangsamt …
Mein Ziel ist, immer schneller zu werden. Niemand möchte
Prozesse einführen, die uns langsamer machen. Tatsächlich investieren wir mehr
Zeit am Anfang – ich nenne das „Frontloading“. Aber durch diese frühen,
bewussten Architekturentscheidungen, die anfänglich etwas Zeit benötigen,
vermeiden wir spätere Diskussionen und Probleme, die Projekte deutlich stärker
verzögern würden.
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Wie sieht der Prozess genau aus?
Unsere Applikationslandschaft ist sehr heterogen und über
viele Jahre gewachsen. Im Vordergrund steht dabei, ihre Komplexität zu
reduzieren. Dafür brauchen wir bessere Architekturentscheidungen. Wir müssen
uns stärker auf Plattformen fokussieren und uns von einer reinen
Best-of-Breed-Logik lösen. Konkret bedeutet das: Für Projekte gibt es künftig
keine IT-Lösungen, die irgendwie zu der bestehenden Architektur passen.
Stattdessen ist die Architektur selbst ein zentrales Entscheidungskriterium.
Unser Prozess sieht vor, dass ein Architekturgremium – organisiert von unserem
Enterprise-Architekten und vorbereitet von den Domain-Architekten – die
Entscheidungen gemeinsam mit Business-Stakeholdern trifft. Das IT-Management
gibt anschließend die finale Freigabe. Ich bin überzeugt, dass wir dadurch
insgesamt schneller werden, weil wir spätere Konflikte vermeiden. Schon jetzt
sehe ich Beispiele, wo wir durch diese klare Architektursteuerung Probleme
frühzeitig verhindern konnten.
Lassen Sie uns noch einmal beim Thema Architektur
bleiben. Oft gilt sie als stiefmütterlich behandelt. Wie stellen Sie sicher,
dass Architektur bei ZF ernst genommen wird?
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Architektur ist für uns kein Randthema, sondern ein
zentrales Steuerungsinstrument. Natürlich dokumentieren wir die Architektur in
entsprechenden Tools, und wir haben Prozesse etabliert, um sicherzustellen,
dass diese Dokumentation aktuell bleibt. Das ist die Basis. Aber das allein
reicht nicht. Unser Ansatz geht weiter: Wir wollen die Architektur nicht nur
dokumentieren, sondern aktiv steuern. Dazu gehört, Schwachstellen zu
identifizieren und gezielt Veränderungen voranzutreiben. Entscheidend ist außerdem,
ein architektonisches Zielbild zu entwickeln – also eine klare Vorstellung
davon, wie unsere IT-Landschaft in Zukunft aussehen soll. Dieser Prozess ist
bei uns jetzt angelaufen. Dokumentation, Steuerung und Zielbild – diese drei
Elemente zusammen machen Architekturmanagement effizient.
Wie organisieren Sie die Schnittstelle zwischen IT und OT
in einem Unternehmen mit rund 160 Fabriken weltweit?
Ich denke, es ist wenig hilfreich, die IT/OT-Welt in einer
klassischen Pyramide zu beschreiben, wie es oft dargestellt wird. Ich sehe das
eher wie eine Tabelle mit unterschiedlichen Endpunkten, die jeweils spezifisch
behandelt werden müssen. Ein Netzwerkswitch in der Fertigung beispielsweise
erfordert ein anderes Management als ein fahrerloses Transportsystem (AGV), und
das wiederum unterscheidet sich von einer Maschine, die direkt am Netzwerk
hängt. Für jede dieser Kategorien müssen wir klare Regeln definieren: Welche
Systeme managt die IT? Wo reichen uns definierte Informationen über
angeschlossene Geräte? Wo müssen wir eine gemeinsame Verantwortung mit den
Fachbereichen festlegen? Das Ergebnis ist kein überkomplexes Regelwerk, sondern
eine schlanke Matrix mit wesentlichen Kategorien und klaren Vorgaben. Damit
schaffen wir Transparenz und stellen sicher, dass die Verantwortlichkeiten
eindeutig geregelt sind – bis zu welcher Tiefe die IT geht und wo die OT die
Hoheit behält.
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Thomas Buck
Thomas Buck ist seit Januar 2025 CIO der ZF Group. Der
studierte Maschinenbau-Ingenieur begann seine Karriere 1998 als technischer
Leiter eines IT-Dienstleisters. Zwischen 2001 und 2007 war Buck in
unterschiedlichen Funktionen für die damalige Siemens VDO tätig. Im Anschluss
daran verantwortete er bei Continental Automotive den Bereich Engineering Data
Management und führte bei dem Unternehmen ein einheitliches PLM-System ein.
Fünf Jahre leitete er die weltweite IT-Infrastruktur im Continental-Konzern, bevor
er 2016 als CIO in die Automotive-Sparte des Unternehmens wechselte. 2019
separierte Buck die IT im Rahmen der Vitesco-Ausgliederung aus dem
Mutterkonzern und übernahm im Anschluss daran die Position des Group CIO bei
Vitesco Technologies.
Häufig wird IT vorgeworfen, zu langsam zu sein. Gerade in
Zeiten von KI und neuen Tools greifen Fachbereiche selbst auf Daten zu. Wie
reagieren Sie darauf?
Geschwindigkeit ist für uns ein zentrales Thema. Aber
Geschwindigkeit entsteht nicht automatisch – sie hängt stark von der
Organisation und von der Skalierung ab. Organisatorisch haben wir Strukturen
geschaffen, die schnelle Entscheidungen ermöglichen: flache Hierarchien, kurze
Entscheidungswege, klare Verantwortlichkeiten. Mir ist wichtig, dass
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein echtes Empowerment spüren. Dazu gehört
allerdings auch Verantwortung – nur wenn Zuständigkeiten klar definiert sind,
kann Empowerment wirklich funktionieren. Der zweite Aspekt ist die Skalierung.
Ein Pilotprojekt lässt sich oft schnell umsetzen. Aber der Rollout auf globaler
Ebene ist komplex und kostet Zeit. Genau deshalb setzen wir so stark auf
Standards und klare Architekturen: Nur wenn diese Grundlagen stimmen, können
wir Lösungen weltweit zügig ausrollen. Beide Hebel – organisatorische Klarheit
und technische Standards – sind entscheidend, um die IT schneller zu machen und
den Erwartungen der Fachbereiche gerecht zu werden.
Sie haben einmal im Interview mit automotiveIT gesagt:
„Je mehr Sie sparen müssen, desto mehr IT ist gefragt.“ Aber auch die IT kostet
Geld. Wie überzeugen Sie das Topmanagement in Zeiten von hohem Kostendruck, in
IT zu investieren?
Tatsächlich ist es weniger ein Widerspruch, sondern eher
eine Frage der Priorisierung. Der Bedarf an IT-Projekten ist unverändert hoch –
auch in schwierigen Zeiten. Die Business-Stakeholder suchen permanent nach
Effizienzgewinnen und Verbesserungen, und das führt sie fast automatisch zu
IT-Systemen. Denn gerade IT bietet Hebel, Prozesse zu optimieren und Kosten zu
senken. Natürlich herrscht in allen Bereichen Kostendruck. Deshalb kommt es
darauf an, die richtigen Themen auszuwählen. Entscheidend sind Business Cases.
Besonders Projekte, die einen schnellen Return on Investment ermöglichen,
stehen aktuell im Fokus. Meine Erfahrung ist: Wenn wir klar nachweisen, welchen
konkreten Mehrwert die IT schafft – sei es in Form von Einsparungen,
Produktivitätsgewinnen oder verbesserter Transparenz –, dann steht auch das
Topmanagement hinter diesen Investitionen. Unsere Aufgabe ist es, diese
Nachweise immer besser zu erbringen und damit den Wertbeitrag der IT sichtbar
zu machen.