Revolutionieren KI-Agenten die Customer Experience?

Die Zeiten frustrierender Chatbots könnten durch Multiagentensysteme schon bald gezählt sein, (Bild: Adobe Stock / Антон Сальников)

Jeder hat es schon erlebt: Man braucht Hilfe bei einer einfachen Anfrage, wendet sich an den Kundenservice – und landet bei einem Chatbot, der die Frage nicht richtig versteht oder einen in einer Endlosschleife von Standardantworten gefangen hält. Die Erfahrung mit KI-gestützten Kundenservice-Lösungen war bisher oft durchwachsen. Doch das könnte sich bald grundlegend ändern. Mit der Weiterentwicklung von Agentic AI steht eine neue Generation von KI-Agenten bereit, die nicht nur auf Anfragen reagieren, sondern auch eigenständig Aufgaben erledigen und in einem Netz aus mehreren Agenten zusammenarbeiten.

Laut einer Prognose von Gartner werden bis 2029 80 Prozent der gängigen Kundenservice-Anfragen ohne menschliches Eingreifen gelöst, was zu einer dreißigprozentigen Senkung der Betriebskosten führen könnte. Für Unternehmen könnte diese Entwicklung enormes Potenzial, aber auch Herausforderungen, die nicht zu unterschätzen sind, bieten. Während klassische Chatbots oder sprachbasierte Assistenten bisher nur einfache Antworten liefern oder vorgefertigte Prozesse auslösen konnten, geht Agentic AI einen Schritt weiter. Diese KI-Agenten agieren autonom, treffen Entscheidungen und führen Aufgaben durch, ohne dass ein Mensch eingreifen muss.

Großes Potenzial für die Autobauer

Daniel O’Sullivan, Senior Director Analyst bei Gartner, beschreibt die Entwicklung so: „Agentic AI ist ein echter Wendepunkt für den Kundenservice. Im Gegensatz zu traditionellen generativen KI-Tools, die Nutzer lediglich mit Informationen unterstützen, wird agentische KI Serviceanfragen proaktiv im Namen der Kunden lösen – und damit eine neue Ära des Kundenkontakts einläuten.“ Besonders die Automobilindustrie könnte von dieser optimierten User Experience profitieren, da die Websites der OEMs bisher noch deutlich Luft nach oben lassen, während verschiedene Branchenexperten wiederholt die Bedeutung des Kundenfokus betonen.

Mercedes und Gartner sehen Agentic AI als Gamechanger

Auch für Mercedes CIO Katrin Lehmann zählt Agentic AI auf Basis von Large Language Models als nächste Evolutionsstufe von KI zu den wichtigsten IT Trends in 2025: „‘Agentic AI‘ wird vielfältig verwendet, meint aber immer den Schritt weg vom reinen Chat – also ein Mensch fragt und das System antwortet auf Basis des Chats – hin zu Systemen, die konkrete Aktionen durchführen: Etwa wenn es darum geht, Tickets anzulegen, Antworten automatisch zu schreiben oder Datenbanken zu ändern.“

Der Wechsel zu KI-gestütztem Kundenservice erfordert laut Gartner jedoch mehr als nur technologische Investitionen – er bedeute eine strategische Neuausrichtung. Unternehmen müssten sicherstellen, dass digitale Kontaktpunkte auf eine höhere Anzahl automatisierter Anfragen vorbereitet sind. Smarte Routing-Mechanismen sollten entscheiden, wann eine Anfrage vollständig von der KI bearbeitet werden kann und wann ein menschlicher Mitarbeiter übernehmen sollte. Zudem würden Datenschutz, Sicherheit und Transparenz dabei eine entscheidende Rolle spielen: Kunden müssten beispielweise zu jeder Zeit genau unterscheiden können, ob sie mit einer KI interagieren und welche Daten genutzt werden.

Vom isolierten Chatbot zum vernetzten KI-Ökosystem

Ein entscheidender Aspekt der Weiterentwicklung von Agentic AI ist laut Accenture der Aufbau vernetzter Multi-Agenten-Systeme, die nicht nur isolierte Aufgaben erledigen, sondern durch koordinierte Zusammenarbeit ein leistungsfähiges KI-Ökosystem schaffen. Das Beratungsunternehmen beschreibt diese Entwicklung als eine Schlüsselkomponente der nächsten KI-Generation. Dabei geht es um eine neue Stufe der Automatisierung, in der verschiedene Agenten mit unterschiedlichen Rollen zusammenarbeiten, um komplexe Aufgaben effizienter zu bewältigen.

Im Zentrum dieses „Agentic Universe“ stehen drei Agententypen: Orchestrator-Agenten, die als übergeordnete Manager fungieren und strategische Entscheidungen steuern, Superagenten, die spezifische Aufgabenbereiche koordinieren, und Utility-Agenten, die repetitive oder regelbasierte Prozesse eigenständig ausführen. Diese Architektur soll eine kontextbasierte Entscheidungsfindung ermöglichen – Agenten verstehen Ziele, analysieren Optionen und geben Handlungsempfehlungen. So könnten sie beispielsweise erkennen, ob eine Kundeninteraktion eskaliert werden sollte oder ob eine proaktive Maßnahme sinnvoll wäre. Dadurch entwickele sich der Kundenservice von einem reaktiven hin zu einem vorausschauenden und personalisierten Erlebnis.

Hyperpersonalisierung durch Multi-Agenten-Systeme

Accenture hebt hervor, dass eine konsistente, über alle Kanäle hinweg durchgängige Marken- und Serviceerfahrung essenziell für Kundenbindung und Loyalität ist. Kunden würden heute nicht nur reibungslose Interaktionen, sondern eine hyperpersonalisierte Ansprache erwarten – sei es im Service, bei Werbekampagnen oder im Direktvertrieb. Bisher sei die Personalisierung oft auf Werbe-Tracking beschränkt gewesen, während wichtige Erfahrungen, etwa aus dem Service, isoliert blieben. Mit Agentic AI ändere sich das: Künstliche Intelligenz könne übergreifend auf Kundenhistorien zugreifen, kanalübergreifend lernen und so eine ganzheitliche Customer Experience ermöglichen.

Die Einführung von Agentic AI bedeute jedoch nicht das Ende menschlicher Interaktion im Kundenservice, im Gegenteil. Vielmehr könnte sich die Rolle der Servicemitarbeitenden verändern, mit weniger repetitiven Aufgaben und mehr Fokus auf komplexe oder emotionale Anliegen, bei denen Empathie und Erfahrung gefragt sind.

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