Das Gebäude der Mahle-Hauptverwaltung in Stuttgart bei Nacht.

Quasi über Nacht musste auch Mahle während der Corona-Pandemie Anpassungen vornehmen. Den Grundstein dafür legte Markus Bentele bereits in den Jahren zuvor. (Bild: Mahle)

Rechtzeitiges Erkennen von sich anbahnenden Veränderungen kann über Leben und Tod entscheiden. Was in der Welt der Tiere oft instinktiv geschieht und so beispielsweise dafür sorgt, dass Elefanten rechtzeitig losmarschieren, um sich an ändernde Wetterverhältnisse anzupassen, gelingt in großen Unternehmen nicht so leicht. Den Automobilzulieferer Mahle kann man sicherlich als einen solchen Elefanten der Branche beschreiben. Seit 1920 gibt es das Unternehmen. 95 Jahre am Stück lag der Fokus der Stuttgarter auf dem Perfektionieren von Verbrennungsmotoren. Die aktuellen Transformationen der Autoindustrie haben die Entscheider offenbar rechtzeitig erkannt. 2022 machte Mahle einen Umsatz von 12,4 Milliarden Euro. Doch nicht nur der Wandel von Verbrenner- zu Elektromotoren fordert die Branche heraus. Die Transformation der IT erhält zwar nicht einen derart öffentlichen Fokus, ist für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens aber ebenso wichtig.

In diesem Zusammenhang spricht Markus Bentele, Vice President Information Technology bei Mahle, auch gerne in Tiermetaphern. Allerdings vergleicht der Manager sein Unternehmen nicht mit einem Elefanten, sondern einem deutlich zierlicheren Tier – dem Schmetterling. Das war aber nicht immer so. Seit 2017 ist Bentele beim Zulieferer. Die IT fand er damals in einem völlig anderen Zustand vor. Der Schmetterling war da noch eine Raupe. „Wir hatten eine IT, die eigentlich eine Hey-Joe-Organisation war. Das heißt, wir hatten in den Gesellschaften und Regionen historisch gewachsene Infrastrukturen“, sagt der Manager rückblickend. Der Schmetterling musste sich also erst entfalten und symbolisiere nun „einen globalen IT Service Provider, der 24/7, global diversifiziert in der Lage ist, die Konzern-Services und die zukünftigen Herausforderungen zu stemmen“, so Bentele. Was klingt wie ein schöner Marketingsatz, hat der 57-Jährige in den letzten sechs Jahren mit Leben gefüllt.
Die größte Herausforderung in dieser Zeit bestand für Bentele darin, die IT für die gegenwärtigen und zukünftigen Erfordernisse der Konzernstrategie aufzustellen. Den Begriff der Metamorphose verwendet der Manager gerne. Klingt auch nicht schlecht, wenn man behaupten kann, aus einer einfachen Raupe einen schönen Schmetterling gemacht zu haben. Doch ist die Metamorphose bereits beendet? Erreicht hat Mahle bislang das Ziel, eine globale IT-Organisation zu schaffen. Die zweite Phase der IT-Transformation läuft. Das Ziel? Bis 2028 über sechs strategische Kernfelder die Daten- und Prozesskonsistenz und die Daten-Ownership sicherstellen.

Markus Bentele ist seit 2017 bei Mahle. Hier sieht man ihn gestikulierend in einer Gesprächssituation.
Markus Bentele ist seit 2017 bei Mahle. (Bild: Mahle)

Bei der Transparenz geht Mahle zwei Wege

Auf dem Weg dorthin setzt Mahle auf Greenfield und klare Ansagen. Viele Unternehmen hätten im Brownfield versucht, das Alte zu digitalisieren. „Müll in digitaler Form ist digitalisierter Müll. Es braucht also die Veränderung und das ist oft ein neuer Weg – also Greenfield“, sagt Bentele. Dass das Wort Change nicht auf besonders viel Gegenliebe stößt, ist eine Binsenweisheit. Gerade große und historische gewachsene Unternehmen tun sich mit Veränderungen oft schwer. Deshalb wurde beim Thema Transparenz auch mit zweierlei Maß gemessen. Im gesamten Unternehmen sind Bentele und sein Team die Transparenz der IT-Transformation verhalten angegangen – mit Absicht. Denn, so sagt er, wenn man dort eine Transformation in diesem Umfang anstoße, dann ist das ein Change, der nicht unbedingt gerne gewollt sei. Hier war es wichtig, dass die IT von der Geschäftsführung befähigt wurde, diese Transformation zu vollziehen. Und das habe man dann auch strikt gemacht.

Anders sieht es mit der Transparenz in der IT selbst aus. Um die Mitarbeiter von Anfang an nicht nur zu informieren, sondern Leidenschaft zu entfachen, setzte Bentele auf klare Zielsetzungen. „Wir haben im Mai 2017 unseren Kollegen in der IT eindeutig gesagt, wo wir hingehen werden. Hat das damals jeder verstanden? Nein. Wir haben aber diesen Weg niemals verlassen. Das Prinzip ,Walk the talk‘, das heißt, alles, was wir gesagt haben, ist auch authentisch eingetreten. Und das hat über die Zeit von zwei, drei Jahren das Mindset im Team komplett verändert“, so Bentele.

Bei Mahle gibt es bewusst keinen CDO

Ein Kernpunkt der Strategie Mahles liegt darin, dass es – anders als in vielen anderen Unternehmen – keinen CDO gibt. „Digitalisierung in einer Stabsstelle zu organisieren, ist einfach falsch“, findet Bentele. Stattdessen hat Mahle eine Governance, die ein Steering Committee hat. Anstelle eines CDO gibt es eine Geschäftsverantwortung mit allen operativ verantwortlichen Geschäftsführern und Business Units. Es gibt ein Governance- und Digitalisierungs-Board. Das wiederum besteht aus einem Sponsor der Geschäftsführung, Bentele selbst, dem Verantwortlichen für das Mahle-Produktionssystem, und einem Project Management Officer (PMO). Darunter setzt Mahle auf vier sogenannte digitale Action Fields, die organisatorisch miteinander verbunden sind. Die Themenfelder umfassen die Customer Experience, die Produktentwicklung, die Fertigung sowie Business Excellence. Besonders die letzten beiden Felder lagen in den letzten zwei Jahren im Fokus der Stuttgarter Zulieferer.


Die Digitalisierung der Werke war eines der Hauptziele Mahles. „Wir haben mit dem Digital Automation Office die ganze Technologie für RPA, künstliche Intelligenz, instrumentell als auch prozessual aufgebaut und auch zur Anwendung gebracht“, sagt Bentele. Konkret bedeutet das beispielsweise die Inbetriebnahme von 3.000 RPA-Bots im Finance-Bereich. Auch für die künstliche Intelligenz gebe es verschiedene Anwendungsfälle. Zwölf Prozent der Tickets an die IT – sprich 3.000 bis 5.000 Tickets pro Monat – erledigen smarte Algorithmen. Noch 2023 soll die Quote 20 Prozent erreichen. Ähnliches plant Mahle in den SG&A-Bereichen (Vertriebs- und Verwaltungsgemeinkosten). Beim Inventory Management hat der digitale Ansatz in Echtzeit Transparenz und neue Ansätze ermöglicht, die in dem konventionellen OEE-Vorgehen nicht möglich waren. Die Effizienz im Bestandsmanagement wurde so deutlich erhöht. Durch die Etablierung eines IIoT-Use Cases für Energieeffizienz konnte Mahle die Transparenz sowie Steuerung optimieren und damit auch im Spannungsfeld der Energiekostensteigerungen Fortschritte machen. Geholfen haben auch dabei Process Mining, Automation und RPA-Technologien.

Markus Bentele auf dem automotiveIT Kongress:

Markus Bentele

In seinem Vortrag am 20. September 2023 spricht Mahles Vice President Information Technology über das Thema "Cybersecurity Next: resilience: recovery ability". Er fragt: Wie schützen Sie Ihre Daten vor einem Ransomware-Angriff? Wie sieht der Wiederherstellungsplan für Daten und Systeme aus? Sind Ihre Wiederherstellungspläne für Katastrophen und Cyberangriffe identisch? Es steht außer Frage, dass sowohl eine Naturkatastrophe als auch ein Cyberangriff verheerende Folgen für ein Unternehmen haben können. Eine schnelle und korrekte Wiederherstellung trägt dazu bei, diese potenziell immensen Kosten zu minimieren.

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Mahle setzt auf Cloud und On-Prem

Mahle hat sich mit der Strategie „Mahle 2030+“ einen klaren Fokus auf drei Strategiefelder gesetzt – Elektrifizierung, Thermomanagement und ICE. Dieser hybride Ansatz prägt Mahles DNA auch beim Thema Cloudifizierung. Cloud sei für Mahle kein Hype, dem man einfach hinterherrennt. Dennoch gehört sie zum Teil der IT-Strategie. Der Zulieferer will Cloudtechnologie bewusst und dediziert in ihrer Funktion und auch in ihrem Effizienzcharakter einsetzen. Konkret bedeutet das, dass Mahle heute mehr als 100 Cloudservices im Einsatz hat – immer unter dem Aspekt einer sehr disziplinierten Betrachtung. Im Bereich IaaS ist Microsoft der stärkste Partner. Bei SaaS/PaaS gibt es keine Ausrichtung auf einen bestimmten Partner. Auf Basis einer starken Cloud Approval Governance suche man individuell den besten Anbieter. „Es gibt heute deswegen eine hybride Infrastruktur, die kombiniert ist aus Cloud, wo es sinnvoll und richtig ist, und aus On-Prem, wo es sinnvoll und weiterhin richtig ist“, stellt Bentele klar. Er ist sich sicher, dass dieser Mix der richtige Ansatz ist.

Da passt es auch ins Bild, dass Mahle bei dem größten Cloudprojekt der Autoindustrie noch zurückhaltend agiert. Während andere Zulieferer bei Catena-X von Beginn an ganz vorne mit dabei waren, wartet Mahle ab. Es gebe bestimmte Parameter und Voraussetzungen. Ob die am Ende durch Catena-X erfüllbar sind, wird zurzeit überprüft. Eine finale Entscheidung über die Mitarbeit im Projekt wurde noch nicht getroffen.

Bentele sieht Mitarbeiter-Fluktuation als Chance

Pragmatismus heißt Mahles Stichwort auch in Bezug auf den allgegenwärtigen Fachkräftemangel. Selbstverständlich unternehmen auch die Stuttgarter viel, um die Belegschaft für die Zukunft fit zu machen. Mit LinkedIn Learning und SAP SuccessFactor setzt der Zulieferer zwei SaaS/PaaS-Applikationen ein, um die HR-Strategie in Bezug auf Talentmanagement, Weiterentwicklung und Rekrutieren global auszubauen und in einem standardisierten Prozessmodell neu auszurichten. „Damit wollen wir unsere DNA und die großartigen Menschen in Mahle weiterentwickeln und einen Grundstein für unsere Unternehmensstrategie legen“, erklärt Bentele.

Trotzdem belastet das Fehlen der Spezialisten die gesamte Branche. Ein weiterer Faktor sei die immer niedriger werdende Unternehmenstreue. Zwar versucht auch Mahle dagegen anzukämpfen. Dennoch hat man in der IT beschlossen, die Personalstrategie zu ändern und der inzwischen marktüblichen Fluktuationsquote von zehn bis 20 Prozent nicht mehr hinterherzurennen oder zu versuchen, sie zu verhindern. Diese Fluktuation sei Bestandteil des Marktes und alle müssten damit leben. Mahle will stattdessen die IT-Organisation dahingehend ändern, dass man mit dieser Art von Fluktuation leben und überleben kann. „Wenn wir mit 20 Prozent Fluktuation rechnen, haben wir fortlaufend einen Austausch in der Mitarbeiterbasis. Das ist auf der einen Seite erschreckend, aber auf der anderen Seite bekommen wir damit auch neues Wissen ins Unternehmen“, so Bentele. In der Umschlagsgeschwindigkeit von Technologie und Software könne ein solcher Knowledge Refresh sogar förderlich sein. Das Problem sei nur, diesen schnell auf die Straße zu bekommen. „Wie optimieren wir das Onboarding?“, fragt Bentele und beantwortet die Frage zugleich selbst. Automatisierung und Prozesseffizienz sollen Mahle befähigen, mit einer hohen Fluktuationsquote umgehen zu können und die Auswirkungen auf die tägliche Servicefähigkeit und den Kundenbedarf zu minimieren.

Als wären die Krisen der letzten Jahre nicht Herausforderung genug, war es auch im Management von Mahle zuletzt nicht gerade ruhig. Während Bentele selbst der Fluktuation trotzt und seit sechs Jahren für Konstanz sorgt, sind sein direkter Vorgesetzter, CFO Markus Kapaun, sowie CEO Arnd Franz erst seit November 2022 im Amt. Zuvor war die Stelle seit April unbesetzt, weil Franz’ Vorgänger, Matthias Arleth, Mahle nach nur vier Monaten im Amt im April 2022 verlassen musste. Fest steht, dass Bentele noch da ist und für die Zukunft weiterhin klare Ziele verfolgt. Dabei sollen für Mahle Automation und künstliche Intelligenz die wichtigsten Change-Faktoren und auch Motivatoren werden. „Künstliche Intelligenz wird ein neuer, eigenständiger Baustein der Workforce sein. Und es wird die Herausforderung und die Notwendigkeit für alle sein, diese Workforce-Ergänzung zu managen und zuzulassen.“ Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen werde in Zukunft von dem besten Allokationsverhältnis dieser Workforces getragen.  

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