Das Logo der ZF Group auf einer Flagge vor dem Unternsehmenssitz in Friedrichshafen.

Die ZF Group will sich zum vollständig datengetriebenen Unternehmen entwickeln. (Bild: ZF)

automotiveIT Kongress 2024

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Die IT-Transformation eines Unternehmens ist ein ganzheitliches, aber kein einheitliches Unterfangen. Eine Vielzahl an Plattformen, Prozessen und Projekten müssen mit teils unterschiedlichen Geschwindigkeiten integriert werden. Was langer Hand geplant wurde, muss unter Umständen in kürzester Zeit hintenanstehen oder bedarf der erneuten Anpassung. „Wir durchlaufen eine Reise zum durchweg datengetriebenen Unternehmen, bei der Daten aus teils heterogenen Systemlandschaften zusammengeführt werden“, versinnbildlicht Jürgen Sturm, CIO der ZF Group. Kleinere Änderungen der Route oder Zwischenstopps gehören dazu, dies lehrten nicht erst die Datenanforderungen zur Bewältigung der jüngsten Versorgungsengpässe.

Eine wichtige Etappe hat der Zulieferer nach der Akquisition von TRW Automotive und Wabco bereits hinter sich. Mit einer recht heterogenen Altlandschaft konfrontiert, wurden Daten und Prozesse der beiden Unternehmen in den letzten Jahren zusammengeführt. Als Copilot auf dem Beifahrersitz: die IT. „Aus der IT-Perspektive gleichen Post-Merger-Integrationen einer Gehirnchirurgie“, verdeutlicht Sturm. Jeder Handgriff muss sitzen. Etliche Prozesse wurden auf den Prüfstand gestellt, Altlandschaften eliminiert und das Beste aus beiden Welten vereint. Dies reiche von Workplace-Applikationen oder HR-Systemen bis hin zu Finanzprozessen, Kommunikation, Controlling, Materialwirtschaft, Logistik, Produktion oder Entwicklung, erläutert Sturm. Auch die infrastrukturelle Ausrichtung in Bezug auf eigene Rechenzentren und die Cloud sei damals überdacht worden.

ZF verfolgt hybriden Multi-Cloud-Ansatz

Die IT soll bei ZF somit den Platz als strategischer Enabler einnehmen. Sie navigiert und unterstützt die Geschäftsbereiche bei ihren Digitalvorhaben – sei es mit Plattformen oder Expertise. Das Ziel der Reise ist klar: „Der Umgang mit Daten muss zu einer Kernkompetenz in allen Businessfunktionen werden“, so Sturm. Die notwendigen Aufgaben unterteilt der CIO in drei Bereiche: erstens die großen Transformationsvorhaben von Datenplattformen, also den Zielort der Reise, zweitens Brückentechnologien, welche die Fahrt bis dahin erleichtern, und drittens die Entwicklung von integrierten Datenketten über die Unternehmensgrenzen hinaus.

Als Grundlage für diese Roadmap verfolgt ZF einen hybriden Multi-Cloud-Ansatz. Der Zulieferer arbeitet dafür mit mehreren Partnern zusammen. In China würden die Kunden eine Anbindung an die Alibaba-Cloud erwarten, in westlichen Gefilden soll es Microsoft Azure richten, führt Jürgen Sturm aus. Nur mit einer mehrgleisigen Ausrichtung bleibe man anschlussfähig gegenüber den Kunden und Ökosystemen. Daneben existieren weiterhin On-Premise-Lösungen, doch die Investitionen in ein eigenes Rechenzentrum sind Geschichte. Stattdessen mietet ZF die Kapazitäten an und bewahrt sich mittelfristig die Flexibilität, weitere Workloads in die Cloud zu verlagern.

Jürgen Sturm, CIO der ZF Group, unterteilt beim Gespräch mit automotiveIT die aktuelle Transformation in einen Dreiklang.
ZF-CIO Jürgen Sturm unterteilt die aktuelle Transformation in einen Dreiklang. (Bild: ZF)

Digital Manufacturing Platform vereint alle Standorte

In diesem Sinne überlagert die Cloud-Transformation auch die wohl größten Umbrüche im Unternehmen, wie etwa den Rollout von SAP S/4HANA als zentrales ERP-System oder den eines neuen PLM-Systems. Inklusive Data Lake und Datenanalyse-Plattform sollen diese allesamt an die eigene Digital Manufacturing Platform (DMP) auf Basis von Azure angebunden werden. Aktuell liefern die IIoT-Plattform und ihre Applikationen bereits einen einheitlichen und datenbasierten Überblick über die Produktion an 17 ZF-Standorten. Andernorts sind noch individuelle IT-Lösungen im Einsatz. „Aus Sicht des Gesamtkonzerns war das ineffizient. Doch in der Produktion geht es genau darum: die Effizienz immer weiter zu verbessern“, gesteht Joachim Sprinz, Program Manager IIoT - Digital Manufacturing Platform bei ZF.

Langfristig sollen alle Produktionsstandorte und deren Fachbereiche auf die DMP zugreifen – eine Single Point of Information. „Wir haben jetzt die Prozesse, das Mindset und die Strukturen geschaffen, um technisch und organisatorisch agil zu skalieren“, so Sprinz. Dies spiegelt sich zunächst in der alltäglichen Routine wider: Rüstvorgänge, Fehlerdiagnose, Stillstände oder Tagesoutput müssen nicht mehr manuell erfasst und eingepflegt oder gar auf Papier ausgedruckt werden. Stattdessen werden die Daten der Produktionsanlagen automatisch im Azure Data Lake gespeichert und zur Analyse aufbereitet. Sollte eine Maschine noch nicht mit der Cloud verknüpft sein, können die Mitarbeiter dies quasi auf Knopfdruck nachholen, sofern sie sich bereits im Netzwerk befindet.

Im Frontend der Azure Active Directory können die Anwendungen der DMP schließlich aufgerufen und die Kennzahlen in Power BI Dashboards nutzerfreundlich eingesehen werden. Beispiele für derartige Anwendungen und ihre Verzahnung untereinander sind das Worker Cockpit, der OEE Analyzer und das Condition Monitoring. Das Worker Cockpit dokumentiert nahezu in Echtzeit alle Kennzahlen der Produktion – darunter Qualitätsverluste, Maschinenstillstände oder Störgründe. Über den OEE Analyzer werden diese Daten ausgewertet und die Grundlage für Optimierungen geschaffen. Mittels Condition Monitoring beugt der Instandhalter zudem gezielt vor. Erreichen die Daten einer Maschine einen Schwellenwert, erhält er automatisch eine Push-Benachrichtigung und kann drohende Stillstände frühzeitig erkennen. Eine Anomalie-Erkennung soll die menschliche Expertise künftig ergänzen und mittels Predicitve Maintenance abrunden.

Low Code wird bei ZF zum Garant für Innovationen

Der zweite Teil, der von Jürgen Sturm skizzierten Reise, ist damit bereits angeklungen – Brückentechnologien im Bereich Low Code. Die IT muss Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Schließlich wüssten die Fachbereiche am besten, wo der Schuh drückt, so der ZF-CIO. Nicht jeder Mitarbeiter müsse deshalb zum Programmierer werden. Es gehe vielmehr um die grundlegende Fähigkeit, digitale Plattformen und Anwendungen zu nutzen oder weiterzuentwickeln. Der Mitarbeiter außerhalb der IT wird dadurch zur Keimzelle von Innovationen. In diesem Sinne wurden in den vergangenen zwei Jahren rund 10.000 ZF-Mitarbeiter dazu befähigt, Low-Code-Applikationen als sogenannte Citizen Developer zu entwickeln. Und das Unternehmen erntet bereits die ersten Früchte.

„Viele dieser Applikationen haben sich inzwischen als Best Practices bewährt und können weltweit skaliert werden – wie zum Beispiel eine Lösung zum Digitalen Shopfloor Management, die heute bereits in 100 Fabriken zum Einsatz kommt“, berichtet Sturm. Anstatt als Auftragsgehilfe lediglich die technischen Plattformen bereitzustellen und damit der Flaschenhals der Transformation zu werden, positioniert sich die IT durch solche Qualifizierungen als wahrer Enabler. Passgenaue Lösungen entstehen dort, wo sie gebraucht werden. So kann sich die IT auf das Vermitteln von Expertise sowie die Bereitstellung und Vernetzung von Daten konzentrieren.

ZF engagiert sich maßgeblich bei Catena-X

Eine Aufgabe, die sich nicht auf die Grenzen des eigenen Unternehmens beschränkt. Es reicht längst nicht mehr aus, alle Daten in der ZF-Cloud zu akkumulieren. Sie sollten zudem kontextsensitiv mit Partnerunternehmen geteilt werden. Es ist das große Zukunftsthema, das die Reise zum datengetriebenen Unternehmen vollenden soll. Der Vorreiter für ein solch kollaboratives und offenes Datenökosystem innerhalb der Automobilindustrie ist die Initiative Catena-X, die ZF zu ihren Gründungsmitgliedern und Sturm zu ihrem Vorstand zählt. Mit dem Netzwerk zieht die Branche nun an einem Strang – von den Spezifikationen über das Lösungskonzept bis hin zum fertigen Code. ZF stellt für dieses Vorhaben 70 Mitarbeiter aus verschiedenen Fachbereichen bereit.

„Ich empfinde Open Source und vor allem das unternehmensübergreifende Community Development als äußerst erfrischend“, lobt Jürgen Sturm das Vorhaben. Bislang fanden IT-Projekte innerhalb des Unternehmens nahezu kein Ende, da nach ihrem Abschluss sogleich neue Schnittstellen zwischen den Unternehmen benötigt wurden. Bei Catena-X werden die Daten dennoch nicht zentral gesammelt, sondern verbleiben bei den jeweiligen Firmen und werden je nach Anwendungsfall miteinander verschaltet. Dies gelingt mittels des Eclipse Dataspace Connectors (EDC). Er kontrolliert die entsprechenden Berechtigungen und leitet die notwendigen Daten anschließend weiter. Diese Vernetzung entlang der gesamten Lieferkette mag sich zunächst abstrakt anhören, spätestens seit der diesjährigen Hannover Messe sind die Anwendungsszenarien jedoch sehr konkret.

Welche Anwendungen nutzt ZF bei Catena-X?

Gemeinsam mit anderen Zulieferern und Autoherstellern pflegt ZF seither eine übergreifende Geschäftspartnerdatenbank – den sogenannten Golden Record. Mit ihm wird der Pflegeaufwand der Lieferantendaten gesenkt und diese zugleich aktuell gehalten. Eine zweite Anwendung adressiert indes die Herausforderungen in Zeiten von Lieferengpässen. Sie ermöglicht die Rückverfolgbarkeit der Teile und Komponenten vom Rohstoff bis zum recycelten Material. „Risiken und deren Auswirkungen auf die Produktion können wir somit deutlich früher erkennen“, erläutert Jürgen Sturm. Zugleich sei die Abbildung der vollständigen Lieferkette eine unverzichtbare Grundlage für alle anderen Anwendungen von Catena-X.

Deutlich wird dies bei den beiden anderen Anwendungsfällen: Zum einen ergeben sich aus ihnen neue Kollaborationsmodelle für eine effektive Kreislaufwirtschaft, zum anderen lässt sich mittels Datenketten der reale CO2-Fußabruck anhand einer einheitlichen Systematik ermitteln. Berichterstattung und Steuerung der Dekarbonisierung werden möglich, ohne die Datensouveränität eines Unternehmens zu kompromittieren. Am Ende der Reise ist ZF mit diesen Anwendungen jedoch nicht. Während Catena-X die horizontale Lieferkette abbilden soll, geht mit Manufacturing-X aktuell das vertikale Äquivalent an den Start. Das Projekt soll Maschinen- und Anlagenbauer involvieren und sich über den Austausch von Produktionsdaten über den gesamten Fertigungsprozess ziehen. Die Reise zum datengetriebenen Unternehmen, sie ergibt stetig neue Ziele.

Zur Person:

ZF-CIO, Jürgen Sturm

Jürgen Sturm ist seit 2015 Chief Information Officer der ZF Friedrichshafen AG. Der promovierte Ingenieur hat ein Studium mit den Schwerpunkten Informatik, Produktionssystematik und Automatisierungstechnik absolviert, war als Leiter Business Process Reengineering und Supply Chain bereits für Daimler tätig und verantwortete danach den IT-Bereich der Grundig AG. Bevor er zu ZF wechselte, leitete Sturm zwölf Jahre lang die IT bei BSH Bosch und Siemens Hausgeräte.

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