Max Senges, Headmaster Wolfsburg 42 und Berlin 42 auf dem automotiveIT Kongress 2022

Bereits auf dem automotiveIT Kongress 2022 war Max Senges als Referent vor Ort und diskutierte in einer Expertenrunde die Demokratisierung der Arbeitswelt und neue Recruiting-Ansätze der Automobilindustrie. (Bild: FacesByFrank)

Über 42 Wolfsburg

42 Wolfsburg bildet die nächste Generation von Software-Ingenieuren aus. Der pädagogische Ansatz ist speziell: Keine Professoren, keine Klassen, keine Kosten. Letzteres funktioniert vor allem, weil allein Volkswagen elf Millionen Euro für die ersten fünf Jahre beisteuerte. Dazu kommen Gelder von weiteren Sponsoren. Mit einem besonderen Fokus auf Automotive & Mobility Ecosystems bildet 42 Wolfsburg zukünftige Software-Experten für die Automobilindustrie aus. Wolfsburg ist Teil des globalen 42-Netzwerks,mit mehr als 46 Standorten weltweit.

Herr Senges, was erwarten Absolventen heutzutage und was sollten Unternehmen bieten, damit sie sich die besten Talente sichern können?

Die Arbeitnehmer sind heutzutage sehr daran interessiert, zu verstehen, zu welchem größeren Zweck sie beitragen. Sie erwarten eine gewisse Selbstbestimmtheit, man will nicht mehr nur ausführende Kraft sein. Diese Wahrnehmung spiegelt sich dann sowohl in der Arbeitsweise als auch in den Zielen der Arbeit wider. Das heißt beispielsweise, dass man seinen Tagesablauf unabhängig strukturieren kann, dass man hybrid arbeiten kann. Wichtig ist auch die Frage, wie divers, wie offen der Raum ist, in dem man arbeitet. Sind da alle gleich oder ist man umgeben von Menschen, die ganz unterschiedliche Perspektiven beitragen und unterschiedliche Hintergründe haben. Das ist zumindest das, was uns die Studierenden widerspiegeln, was ihnen das in der Community hier sehr gut gefällt. Auch Mitbestimmung ist wichtig, welche ganz praktisch im einzelnen Team auch gelebt werden muss. Hier gibt es neue Möglichkeiten, das auch digital zu tun. Diese zu nutzen und dabei nicht das Ziel aus dem Auge zu verlieren, auch super Produkte zu liefern und effizient zu sein, das sind die Dimensionen, die mir dazu einfallen.

Was hat Sie persönlich überzeugt, Ihren jetzigen Job anzunehmen?

Als sich die Möglichkeit ergeben hat, selbst ein Schulkonzept zu entwickeln und dabei das Thema Mobilität ins Zentrum zu stellen, hat mich das unheimlich gereizt. Mobilität ist heute im Stadium wie Computer Networking in den Achtzigern. Es gibt ganz viele Standards und jeder kocht sein eigenes Süppchen. Wenn wir aber einen globalen Mobilitätsraum haben wollen, also beispielsweise mit dem Auto in der Zukunft von Wolfsburg bis Peking durchfahren wollen, dann brauchen wir digitale Systeme, die interoperabel sind. Und bei dieser Frage - wie lernt die nächste Generation von Software-Ingenieuren, Mobilitätsräume zu gestalten, die kooperativ und nachhaltig sind und eben nicht in kleinen Insellösungen bestehen – da mit dabei sein zu können, das hat mich unheimlich gereizt.

Vor allem Volkswagen sorgt dafür, dass die Schule in Wolfsburg so sein kann, wie sie ist. Gibt es da keinerlei Klauseln, dass die besten Absolventen zu VW kommen müssen?

Nein, denn wir sind 100 Prozent studierendenzentriert – das ist eine Vorgabe aus unserem Netzwerk, von der 42-Organisation, dass alle Studierenden frei entscheiden können, wo sie hingehen, für die Praktika und natürlich auch für Jobs. Das führt dazu, dass unsere verschiedenen Partner miteinander im Wettbewerb stehen, Angebote machen und die Studierenden dann entscheiden, welche die attraktivsten sind. Wir können sagen, dass von den 30, die bislang ihr Praktikum gefunden haben, sechs im VW-Universum gelandet sind.

Wie oft haben Sie selbst noch Kontakt zu den Studenten?

Der Kontakt mit den Studierenden ist mir total wichtig. Weniger im Kernstudium, da sollen sie ja untereinander lernen, aber wir machen ja viele Angebote, die darüber hinausgehen. Es gibt Office Hours, die die Studierenden nutzen, um einfach mal was nachzufragen und meine Meinung einzuholen, und das ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit.

Was ist das Piscine?

Das Piscine (vom französischen Wort für "Schwimmbad") ist die letzte Phase vor der vollen Aufnahme in das 42 Wolfsburg Programm. Sie dauert vier Wochen und dient dazu, die Grundlagen des Programmierens mit Gleichgesinnten zu erlernen. Das Piscine soll als eine Chance dienen, die Leidenschaft für das Erlernen der Softwareentwicklung im Kontext der von 42 Wolfsburg geförderten Kultur der Zusammenarbeit zu entdecken.

Wie viele Personen werden für das vierwöchige „Piscine“ angenommen und wie viele davon schaffen es am Ende?

Es sind Tausende, die sich erst mal anmelden. Dann kommt zunächst ein zweistündiges Online-Lernspiel. Die, die sich in darin gut anstellen, laden wir zum Piscine ein, das sind ungefähr 450 Personen pro Halbjahr. Davon selektiert sich ein Drittel quasi selbst aus, wenn sie merken, dass es doch nicht das richtige für sie ist. Von denen, die noch übrigbleiben, nehmen wir dann ungefähr die Hälfte. Insgesamt hat jede der 42-Schulen eine Zielmarke von 600 Studierenden.

Welche Eigenschaften sollten Bewerber mitbringen?

Von der Anlage her muss man Lust haben, sich mit anderen auszutauschen und sich gemeinsam Dinge zu erarbeiten. Darüber hinaus muss man schon eine gewisse Selbstorganisation haben. Ich sage immer, mit großer Freiheit kommt auch große Verantwortung.

Was sind Ihrer Ansicht nach die häufigsten Schwierigkeiten für die Studenten? Woran drohen die meisten zu scheitern?

Zunächst mal möchte ich festhalten, dass der Wahnsinn Methode hat und wir das Scheitern ganz explizit in Kauf nehmen. Diese gewisse Resilienz ist eine Fähigkeit, und ich glaube, dass es wichtig ist, dass unsere Studierenden sehr realitätsnah lernen. Ein häufiger Grund für fehlenden Erfolg ist die fehlende Hartnäckigkeit. Viele denken, sie können das nebenbei machen, aber es ist ein Vollzeitstudium. Das andere ist diese Bereitschaft, sich auf die Software-Engineering-Arbeit einzulassen, über diese Hürden hinwegzukommen. Immer mal wieder läuft man gegen eine Wand. Und diese Wände zu überklimmen, indem man die richtigen Kommilitonen anspricht, ist ganz wichtig.

Die Mitarbeiter sollen der letzte Anlaufpunkt sein. Kommt es trotzdem vor, dass die Studenten untereinander nicht mehr weiterkommen?

Wir werden niemals den Fisch für die Studierenden aus dem See holen. Es sind immer Hinweise, in welcher Richtung man suchen kann. Das sind aber Ausnahmefälle, weil mittlerweile fast immer jemand da ist, der das Problem schon als Kommilitone gelöst hat. Das war in der ersten Generation noch ein bisschen anders, als es keine Altvorderen gab, die man ansprechen konnte, aber mittlerweile funktioniert das wirklich sehr gut.

Wie viele der Studenten kommen nach der Praxisphase noch mal zurück?

Aus dem Netzwerk haben wir die Erfahrung, dass ungefähr zwei Drittel, die das Praktikum machen, ein Jobangebot kriegen. Und ein Drittel nimmt dieses dann auch an. Wenn man aber dieses erste Praktikum abgeschlossen hat, also das Grundstudium komplett hat, kann man immer wieder zurückkommen. Selbst wenn man mit 30, 40 noch mal ein Upgrade haben will, kann man immer wieder zurückkommen. Das finde ich im Vergleich zu Universitäten sehr attraktiv.

Muss man sich für die Spezialisierung erneut bewerben?

Nein, wenn man einmal das Grundstudium abgeschlossen hat, kann man immer zurückkommen – und normalerweise bedeutet das sogar, dass man überall im Netzwerk zurückkommen kann.

Ab Juli soll das SEA:ME-Programm starten. Worum geht es dabei?

Wir sind stolz, dass wir in den letzten zwei Jahren ein Curriculum zusammen mit Experten aus Wissenschaft und Industrie entwickelt haben. Das halte ich für entscheidend, dass wir uns das nicht allein überlegt oder recherchiert haben. Das Programm besteht aus drei Modulen sowie einer Aufwärmrunde am Anfang: Zuerst nehmen die Studierenden an einem zweiteiligen Einstieg teil. Dieser besteht aus einem zweiwöchigen Warm-up, - ähnlich dem Piscine, aber in diesem Fall abgestimmt auf Programmieren für Mobilität. Dabei lernen die Studierenden das Modell von Peer Learning kennen und erproben es miteinander. Im Anschluss nehmen sie alle gemeinsam an zwei Modulen teil, in denen sie ihre Lernobjekte, kleine programmierbare Fahrzeuge, zusammenzubauen und ersten Basiscode aufzuspielen. Danach verteilen sie sich auf die drei Modulbereiche.

Welche Bereiche sind das?

Im Modulbereich Embedded Systems beschäftigen sich die Studierenden mit der Verknüpfung von Bauteilen und Systemen im Fahrzeug und Software. Dazu gehören auch Dinge wie die Displays und Infotainment-Systeme in Fahrzeugen. Im Bereich Autonomous Driving geht es wie zu erwarten um autonom fahrende Fahrzeuge. Hier beginnen die Studierenden mit Assistenzsystemen und arbeiten sich immer weiter mit Sensoren und Softwarelösungen in Richtung selbstlenkender Fahrzeuge. Und der Modulbereich Mobilitäts-Ökosysteme bildet die Krönung des Programms, in der die Fähigkeiten der Fahrzeuge übersetzt werden in den öffentlichen Raum, den sie gemeinsam nutzen. Hier arbeiten die Studierenden an Szenarien, die verschiedene Verkehrsträger im selben Raum vernetzen. Wie zum Beispiel in einem Flughafengelände und später in größeren Smart City-Szenarien. Das ist jetzt kein Studium für totale Einsteiger, aber wenn man schon gecodet hat, wenn man schon praktische Erfahrungen mit Unternehmen gesammelt hat, dann kann die Teilnahme gut möglich sein.

Wie ist die Resonanz der anderen 42-Standorte auf das Programm?

Das Interesse ist groß. Wir haben neben Hochschulen und Unternehmen in Deutschland zum Beispiel auch schon Partner im normalen Universitätssystem in Korea, die die Materialien nutzen und unser Lernmodell ohne Lehrende erproben wollen. Das ist eine weitere Eigenschaft des Programms, dass es eine Open Educational Resource (OER) ist. Das heißt, ähnlich wie bei Open Source sind alle Projekte komplett zugänglich, sodass wir sie nicht nur allein aus Wolfsburg erweitern können, sondern neue Projekte und Erweiterungen am Ende auch aus unterschiedlichsten Ecken der Welt kommen können.

Inwieweit war Volkswagen involviert in die Entwicklung des Programms?

Volkswagen ist einer der wichtigen Akteure. Wir sind Volkswagen unheimlich dankbar und wir helfen auch, dass es entsprechend attraktive Angebote bei Volkswagen gibt, aber wir sind auch unabhängig und glauben fest daran, dass es das Beste ist, wenn wir uns auf die Studierenden konzentrieren und Volkswagen sich darauf konzentriert, gute Autos zu bauen.

Im Dezember 2022 begrüßte Volkswagens IT-Vorständin Hauke Stars den neuen Jahrgang persönlich. Welche Rolle nimmt sie für 42 Wolfsburg ein?

Es ist großartig, sie als Unterstützerin dabeizuhaben. Wir arbeiten Hands-on mit ihrem Team, mit den Leuten, die Software-Projekte bei VW besetzen - und wir fragen, welche Skills am Markt gefragt sind. Aber das machen wir genauso mit anderen Partnern. Hauke Stars ist einfach eine gute Schirmherrin, die die Sache unterstützt und in die Öffentlichkeit trägt. Gerade das Thema Diversität und Frauen in der IT liegt uns ja sehr am Herzen.

Gibt es schon Ideen, noch weitere 42-Standorte in Deutschland zu eröffnen?

Im Moment wollen wir jetzt die Standorte erst mal zum Laufen bringen. Diese Frage stellt sich frühestens in ein paar Jahren.

Zur Person:

Max Senges | CEO & Headmaster der Coding-Schulen 42 Wolfsburg und 42 Berlin. Zuvor arbeitete er 10 Jahre lang bei Google in den Bereichen Forschungspartnerschaften und Internet Governance, wo er in Partnerschaft mit u.a. Carnegie Mellon, Cornell Tech und Stanford Googles IoT R&D Expedition aufbaute und leitete. Er denkt und arbeitet leidenschaftlich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Privatsektor, Internetpolitik, Innovation, Kultur und Technologiephilosophie.

Max Senges ist CEO & Headmaster der Coding-Schulen 42 Wolfsburg und 42 Berlin. Zuvor arbeitete er 10 Jahre lang bei Google in den Bereichen Forschungspartnerschaften und Internet Governance, wo er in Partnerschaft mit u.a. Carnegie Mellon, Cornell Tech und Stanford Googles IoT R&D Expedition aufbaute und leitete. Er denkt und arbeitet leidenschaftlich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Privatsektor, Internetpolitik, Innovation, Kultur und Technologiephilosophie.

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