Mercedes-Benz auf der CES in Las Vegas, 2024 // Mercedes-Benz at the CES in Las Vegas, 2024

Auf der CES 2024 präsentiert Mercedes-Benz eine Reihe neuer Systeme - Allen voran den MBUX Virtual Assistant auf KI-Basis. (Bild: Mercedes-Benz)

Eigentlich hat Volker Wissing so recht keinen Vertag mit Las Vegas. Denn als Disneyland für Erwachsene ist ihm die Spielermetropole eher suspekt und hat ihm zu wenig Bodenhaftung. Doch Anfang Januar sitzt er neugierig im Flieger gen amerikanische Westküste und kann seinen Besuch in Sin City kaum erwarten: Schließlich ist er Bundesminister für Digitales und Verkehr und nirgendwo sind die beiden Fakultäten seines Ressorts so eng verwoben wie auf der Consumer Electronics Show. Auch für die PS-Branche ist sie längst zur Leitmesse geworden und für Autobauer wie für Tech-Companies markiert die CES den Auftakt des neuen Jahres.

CES ist neue Leitmesse für Autoindustrie

Während herkömmliche Automobilausstellungen – wenn sie denn überhaupt noch stattfinden - zur biederen Blechbeschau verkommen sind, werden hier die großen Trends deutlich, die das Verkehrsgeschehen auf der Straße in den nächsten Jahren prägen. Natürlich gibt es auch ein paar neue Autos wie die 0-Serie, mit der Honda ab 2026 einen Neuanfang auf der Electric Avenue wagen will, die schmucke türkische Elektrolimousine Togg T10F oder die beiden kompakten Kia-Stromer EV3 und EV4. Mercedes oder VW nutzen mit geschickt inszenierten Prototypen-Präsentationen die globale Aufmerksamkeit, um auf anstehende Premieren wie die elektrische G-Klasse oder das so wichtige Facelift des Golf einzustimmen.

Doch interessiert sich hier kaum mehr jemand dafür, wie ein Auto aussieht, oder welche Kraft es antreibt. Sondern statt der Hardware rückt in Las Vegas mehr und mehr die Software in den Fokus. Denn sie definiert jene Eigenschaften, die in den Augen der Analysten und Experten künftig den Unterschied ausmachen und so die Kaufentscheidung prägen werden.

KI wird ständiger Begleiter im Auto

Dabei geht es diesmal im Gegensatz zu den letzten Jahren immer weniger ums autonome Fahren. Denn je näher die Hersteller dem Autopiloten tatsächlich zu kommen scheinen, desto kleiner werden die Entwicklungsschritte und desto größer der Frust über enttäuschten Erwartungen. Lenken muss der Mensch also wohl noch eine Zeit lang selbst, doch dafür nimmt ihm sein Auto jetzt das Denken ab: Künstliche Intelligenz ist zum alles bestimmenden Thema geworden und hält auf breiter Front im Auto Einzug.

Dabei nutzen Mercedes, VW & Co die selbstlernenden Server nicht nur für eine weiter verbesserte Sprachsteuerung mit natürlicheren Dialogen, empathischen Stimmungswechseln und einem dank des kollektiven Internetwissens dramatisch erweiterten Themenspektrum. Sondern die künstliche Intelligenz soll helfen, das Auto gar vollends zu einem digitalen Begleiter des Besitzers zu machen, der Routinen erkennt, Wünsche und Vorgaben antizipiert und die Insassen umsorgt, als wäre er Freund oder gar Familie. Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer schwärmt da schon von einem ganz neuen, weil „hyperpersonalisierten Kundenerlebnis.“ Mit dem eigenen Betriebssystem, erstklassigen Kollaborationen und den jüngsten Entwicklungen in generativer KI würde die Beziehung verändert, die Menschen mit ihrem Mercedes haben.

Vor zwei Jahren noch ein Thema für Nerds und Programmierer, heute in aller Munde und schon morgen dann in bald allen Autos – dass es die künstliche Intelligenz so schnell ins Fahrzeug geschafft, ist auch eine Bestätigung für die neuen Elektronik-Architekturen und Betriebssysteme, die mittlerweile die Interaktion zwischen Mensch und Maschine definieren: Erst diese offenen und online aktualisierbaren, mit Cloudservern vernetzten Software-Pakete machen es möglich, ChatGPT & Co quasi über Nacht zu integrieren – und erschließen damit ein riesiges neues Geschäftsfeld.

„ChatGPT im Auto wird die User Experience holistisch auf ein neues Level heben hinsichtlich Qualität, Umfang, Individualität und Sicherheit“, ist Timo Littke vom Strategieberater Berylls in München überzeugt: „Dieser hohe Nutzermehrwert wird zu einer hohen Nachfrage führen und die Hersteller antreiben, eigene Integrationen anzubieten und für sich Kosten- und Vermarktungsmodelle zu finden.“

Das Auto wird zum Entertainment-Hub

Während solche Chatbots dabei vor allem der Information dienen, die Kommunikation verbessern und den Tiefgang der Beziehung mit neuen Themenfeldern stärken sollen, zeugen viele andere Beispiele in Las Vegas vom Streben nach mehr und neuer Unterhaltung im Auto. Damit Fahren auch dann ein Erlebnis bleibt, wenn von Fahrspaß im klassischen Sinne keine Rede mehr sein kann, integrieren die Hersteller immer mehr Streamingdienste auf immer größeren Displays. Sie holen immer mehr Spiele ins Auto und nutzen dabei immer öfter die Fahrzeugelektronik, Sensorik oder gar die Bedienelemente bis hin zum Lenkrad als Teil des Spiels.

Sie entwickeln Lösungen, mit denen AR-Brillen auch dann funktionieren, wenn sich der Bezugsraum mit 120 Sachen über die Autobahn bewegt – und sie machen den Fahrer sogar zum Musiker. Dafür ist Mercedes-Ableger AMG mit dem US-Künstler Will.i.am eine Kooperation eingegangen und hat eine Software entwickelt, die Fahrsituationen wie Bremsen oder Beschleunigen in Sound übersetzt und das Auto so zum Musikinstrument macht.

Aber es geht auch seriöser. Jan Becker, CEO von Apex.AI, erwartet in naher Zukunft noch eine ganze Reihe anderer Anwendungen, bei denen die maschinellen Lernverfahren unter anderem Anomalien entdecken können, beispielsweise akustische Abweichungen vom Normalzustand. „Denn jedes Auto besitzt ein eigenes Geräuschprofil, ändert sich dies, weil beispielsweise ein Radlager oder ein Reifen einen Schaden aufweisen, könnte die Maschine dies detektieren, bevor das Bauteil endgültig versagt.“ Außerdem erwarte er, dass maschinelle Lernverfahren bereits in wenigen Jahren in der Lage sind, einen Hackerangriff auf die Systeme des Autos zu detektieren. „Auch das wäre eine für den Kunden sehr sinnvolle Anwendung.“

Hyundai zeigt Fortschritte beim Software-Defined Vehicle

Aber die Software macht bei der User Experiece nicht halt, sondern will künftig das gesamte Fahrzeug und am liebsten sogar das gesamte Verkehrssystem definieren. Hyundai jedenfalls hat dafür eine „Software-defined Everything“-Strategie (SDx) angekündigt, mit der alle Fahrzeuge, Flotten und Ökosysteme durch fortschrittliche Software und künstliche Intelligenz zu wertvollen Gütern werden sollen. Basis dafür wird das Software-Defined Vehicle (SDV), bei dem das Betriebssystem gegenüber dem Antrieb und der Karosserie an Bedeutung gewinnt. Ähnlich wie beim neuen MB.OS von Mercedes, das seinen Einstand in dem auf der CES noch einmal angeteaserten CLA-Nachfolger gibt, werden Hardware und Software damit entkoppelt und können unabhängig voneinander aktualisiert und weiterentwickelt werden.

„Als Anbieter von Mobilitätslösungen geht unsere Vision über das Thema Fahrzeuge hinaus“, sagt Chang Song, President & Head of Hyundai Motor Group’s SDV Division. „Denn wir sehen Mobilität als eine neue Quelle von Wissen und Innovation. Und unsere Lösungen und Produkte machen dieses Wissen universell nutzbar.“

Wem das alles zu abstrakt ist, dem macht es Karim Habib etwas leichter. Denn wenn der Kia-Designchef in Las Vegas ein halbes Dutzend verschiedene Schuhkartons auf Rädern vorstellt, geht es ihm um mehr als nur um drei Baureihen einer extrem modularen Familie von Kastenwagen und Kleinbussen, die als PV3, PV5 und PV7 mit unterschiedlichen Aufbauten zum Teil auch während des Betriebes den unterschiedlichsten Bedürfnissen angepasst werden können.

Sondern auch dahinter steht ein Konzept von Software und künstlicher Intelligenz, mit denen diese Flotten gesteuert und bedarfsgerecht immer in der richtigen Ausprägung bereitgestellt werden. Und bevor jemand diese Vision zu weit in der Zukunft verortet, macht Habib es konkret: Schon im nächsten Jahr soll die Produktion beginnen und bereits die erste Fabrik hat eine Jahreskapazität von 100.000 Fahrzeugen.

Wird das Flugtaxi endlich Realität?

Digitale Plappermäuler und Besserwisser, Limousinen, in denen einem auch im längsten Stau nicht mehr langweilig wird, neue Elektroautos, vernetzte Verkehrssysteme in software-definierten Fahrzeugen und dazu jede Menge Sensoren und Software, damit das autonome Fahren vielleicht irgendwann mal doch noch kommt – bei seinem Rundgang über die CES dürfte der Minister für Digitales und Verkehr kräftig gestaunt und sein Urteil über Las Vegas als Disneyland für Große revidiert haben. Denn während bei Disney fast alles Fiktion ist, werden es viele der CES-Neuheuten schon bald auf die Straße schaffen.

Oder eben davon weg. Denn ein weiterer Trend, der sich in der riesigen Westhall manifestiert hat, ist der zum Flugauto. Gleich drei Hersteller haben dort entsprechende Entwürfe gezeigt und Hyundai als größter davon die konkreteste Vorstellung gegeben: Bereits 2028 soll der elektrische Fünfsitzer Supernal SA-2 abheben und bis zu 100 Kilometer weit dem Stau davonfliegen. Auch darauf sollte der Minister ein Auge haben. Schließlich gehört die Luftfahrt ebenfalls in sein Ressort.

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