Ein Tesla fährt auf der Straße.

Tesla geht auch bei HD-Karten einen Sonderweg. (Bild: esla, Illustration: Andreas Croonenbroeck)

Durch die Entwicklung des hochautomatisierten und autonomen Fahrens prosperiert ein Markt, dessen erwartete jährliche Wachstumsraten sich wahrlich sehen lassen können. Die Rede ist von HD-Karten, die präzise 3D-Informationen der Fahrzeugumgebung liefern. Knapp 32 Prozent jährliches Umsatzwachstum erwartet die Marktforschungsfirma Markets and Markets für das Geschäft mit solchen hochauflösenden Karten: ausgehend von 1,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 auf 16,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030.

„HD-Karten sind fundamental anders als klassische Navigationskarten“, erklärt Henning Lategahn. Er ist Managing Director bei Atlatec. „Sie sind digitale Repräsentationen der Straßenumgebung. Sie stellen damit eine zweite Quelle dar, um das sichere Vorankommen eines vollautomatisierten Fahrzeugs zu gewährleisten, ergänzend zu den Echtzeitdaten, die dessen Bordsensorik liefert.“ Dank HD-Karten weiß das Fahrzeug auch von dem Schild, das vom rechts parkenden Lkw verdeckt wird, oder erkennt ein Schild trotz blendender Sonne.

Der Ursprung der HD-Karte:

Laut einem Autorenteam der kanadischen Ontario Tech University in Oshawa wurde das Konzept der High-Definition-Karten erstmals 2010 in der Mercedes-Benz-Forschung geprägt und später von Here für das eigene Angebot als Bezeichnung aufgegriffen. HD-Karten enthalten alle unveränderlichen Bestandteile, die fürs hochautomatisierte Fahren relevant sind, etwa Straßen, Gebäude, Ampeln oder Fahrbahnmarkierungen – inklusive verdeckten Objekten, die Bordsensorik zwangsläufig nicht detektieren kann.

Die bedeutendsten Märkte für HD-Karten

Nordamerika gilt laut Markets and Markets mit seinen weit fortgeschrittenen Fahrdiensten à la Cruise und Waymo als der größte Markt für HD-Karten, Asien/Ozeanien als der am schnellsten wachsende. Zu den aktuell wichtigsten Playern zählt die Marktforschungsfirma in Europa Here und TomTom, in den USA Waymo und Nvidia, in China Baidu und NavInfo sowie in Japan Dynamic Map Platform und Zenrin.

Es ist Bewegung im Markt: So übernahm im vergangenen Jahr Toyotas Woven Planet Holdings das Start-up Carmera, Nvidia schluckte das Start-up DeepMap. Dynamic Platform und der Zulieferer Valeo beschlossen, gemeinsam Technologien und Geschäftsmodelle für die präzise Verortung von Fahrzeugen und für Karten-Updates zu entwickeln. Bereits 2019 ist TomTom mit dem Zulieferer Denso übereingekommen, mit TomToms HD-Karten und Densos Fahrzeugsensorik ein komplettes Level-5-System zu entwickeln. Und in diesem Jahr hat Bosch Atlatec übernommen. Das junge Unternehmen soll das Technologieportfolio des weltweit größten Zulieferers in Sachen Karten komplettieren, vor allem mit Blick auf den Autonomie-Level 4.

Ohne Messfahrzeuge geht nichts

Verschiedene Datenquellen fließen in die Erstellung von HD-Karten ein. Als „Ground Truth“ dienen die Daten von Messfahrzeugen, die mit Beschleunigungssensoren, Kameras, Radaren, Lidaren und per Satellitennavigation ihr Umfeld dreidimensional erfassen. Die Zusammenführung dieser Daten, vor allem aus den Messungen der Beschleunigungssensoren und der Satellitennavigation, sorgt letztlich für die hohe erreichbare Positionsgenauigkeit im Zentimeterbereich. Um auf diese Weise das außerörtliche Straßennetz eines ganzen Kontinents erstmals zu kartieren, ist laut Branchenkennern mindestens eine siebenstellige Summe erforderlich.

Doch es gibt noch mehr Datenquellen für HD-Karten. Hochaufgelöste Satellitenaufnahmen können ebenfalls Informationen liefern, etwa Richtungspfeile oder Spurmarkierungen auf Fahrbahnen. Von der öffentlichen Verwaltung lassen sich Daten einkaufen, die sonst nur mühsam zu ermitteln wären. Beispiele sind Postleitzahlen und Hausnummern. Selbst Autobahnmeistereien können Daten liefern, genauso wie die Medien – wenn etwa über neue Baustellen informiert wird.

Die Crowd soll die Karten aktuell halten

Nicht zuletzt ist auch die Crowd nützlich: „Wir verwenden für Aktualisierungen der HD-Karten per Crowdsourcing hauptsächlich die Daten unserer Kunden, können aber bei Bedarf auch Daten von Nicht-Kunden zukaufen“, sagt Philip Hubertus, Direktor Produktmanagement Automated Driving beim Kartenspezialisten Here. Bei diesen Crowd-Daten handelt es sich um Sensordaten, die gewöhnliche Fahrzeuge während ihrer täglichen Nutzung erheben und anonymisiert weiterleiten. Anders als bei Messfahrten sind die Fahrstrecken und -häufigkeiten dann nicht beeinflussbar. Auch nicht die Qualität. Man muss nehmen, was kommt. „Daher ist bei der Aufbereitung solcher Crowd-Daten für HD-Karten sehr viel Nacharbeit nötig“, so Hubertus.

Nacharbeit, das ist klar, bedeutet Handarbeit. Natürlich streben die Hersteller an, ihre Karten möglichst automatisiert zu erzeugen. Das klappt auch viel besser als noch vor einigen Jahren. Aber unabhängig davon, ob die Daten von der Crowd oder einer anderen Quelle stammen: „Oft bedarf es für den gewünschten Sicherheits-Level eben doch noch einer Überprüfung durch den Menschen“, sagt Atlatec-Manager Lategahn. „Wir wollen schließlich ein hochverlässliches Produkt in den Markt bringen, keinen Demonstrator.“

Die Crowd gilt als wichtiger Faktor, um künftig rasch aktuelle HD-Karten bereitstellen zu können. Auf bereits erfassten Strecken wäre eine permanente Messflotte viel zu teuer und langwierig. So kommt es, dass mit solchen Crowd-Daten bereits viele Unternehmen eifrig experimentieren. Zum Beispiel sammelt Mobileye sie mit Hilfe der eigenen Sensorik, die laut dem Unternehmen in mehr als 300 Fahrzeugmodellen von 27 OEMs verbaut ist. Bislang scheinen diese Informationen primär für Entwicklung und Test genutzt zu werden.

Wie sind HD-Karten aufgebaut?

Die meisten HD-Karten haben einen ähnlichen Aufbau aus drei Schichten. Auf der untersten Ebene werden die Straßeneigenschaften festgelegt: Topologie, Fahrtrichtungen, Höhenangaben, Gefälle und Steigungen, Fahrbahnbegrenzungen und Gehwege, Verkehrsregeln sowie Kreuzungen. Die mittlere Schicht definiert Eigenschaften auf Fahrspurebene: Straßenarten, Fahrbahnmarkierungen, Straßenbreiten, Halteplätze und Geschwindigkeitsbeschränkungen. Auf der oberen Ebene befinden sich die Informationen, die einem autonomen Fahrzeug bei der eigenen Verortung auf einer HD-Karte helfen, etwa Gebäude, Ampeln oder Verkehrszeichen.

Ab wann HD-Karten relevant sind

Atlatec-Manager Lategahn sieht die Bedeutung von HD-Karten erst mit der Autonomiestufe 4 kommen. Here-Manager Hubertus glaubt dagegen, dass solche Karten sehr wohl auch bei Level 2 und 3 von Vorteil sein können: „Sie erhöhen den Komfort.“ Es gebe OEMs, die sich dafür interessierten. Muss ein automatisiertes Fahrzeug zum Beispiel eine Rettungsgasse frei machen, hilft eine HD-Karte dabei, dass sich nach dem Ausweichen an den Fahrbahnrand noch die Tür des Wagens öffnen lässt. „Hierfür brauchen Sie Zentimetergenauigkeit“, sagt Hubertus. Genauso könne ein L2- oder L3-Fahrzeug nur mit HD-Karte entscheiden, ob es noch sinnvoll sei, auf einer mehrspurigen Fahrbahn zu überholen, bevor die Spur ende. Mercedes-Benz war mit seinem L3-Assistenten Drive Pilot, der dieses Jahr auf den Markt gekommen ist, Heres Pilotkunde bei HD-Karten.

Solche Karten aktuell zu halten wird perspektivisch die größte Herausforderung für die Anbieter werden. Ob die bisherigen Konzepte dafür ausreichen, muss sich dann zeigen. Atlatec-Chef Lategahn sieht das aber entspannt: „Die Hersteller von HD-Karten können mit den heutigen Methodiken bereits schneller skalieren als alles andere, was man ansonsten fürs vollautomatisierte Fahren braucht.“ Laut Here-Manager Hubertus wünschen viele Kunden derzeit Karten-Updates im monatlichen Turnus, manche noch deutlich seltener. „Manche signalisieren jetzt Interesse an wöchentlichen oder zweiwöchentlichen Aktualisierungen“, sagt er.

Tesla will sich nur auf die Bordsensorik verlassen

Der einzige OEM, der sich gegen HD-Karten ausgesprochen hat, ist Tesla. Statt sich neben der Bordsensorik mit den Kartendaten einen zweiten, unabhängigen, Informationskanal zu schaffen, will sich das Unternehmen ausschließlich auf die Bordsensorik verlassen. HD-Karten aktuell zu halten, sei quasi unmöglich und vor allem sehr teuer, so Teslas Begründung. Der Beweis, dass dieser Ansatz funktioniert, steht noch aus.

Die Verfechter von HD-Karten entgegnen, dass Teslas Ansatz kaum funktionieren könne: Ein autonomer Tesla wäre im besten Fall mit einem Menschen vergleichbar, der eine Strecke zum ersten Mal fährt, während ein Fahrzeug, das auch HD-Karten nutzt, viele Strecken wie im Schlaf kennt und quasi nur noch auf aktuelle Veränderungen reagieren muss.

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