Das ist Audis neue Strategie für China
Der AUDI E5 Sportback auf der Auto Shanghai 2025.
(Bild: Audi)
Der chinesische Markt für Elektroautos entwickelt sich rasant – und zwingt Audi zu neuen Ansätzen. Statt auf bewährte Modelle zu setzen, entstehen lokal entwickelte Fahrzeuge, neue Markenidentitäten und Plattformkonzepte.
Erwartungsgemäß galt die Aufmerksamkeit der meisten Besucher dem Feuerwerk neuer Modelle chinesischer Hersteller: die jährlich stattfindende Auto Shanghai 2025 stand im Zeichen rasch weiterentwickelter chinesischer EVs. Als mobile, entsprechend hochwertig eingekleidete Wohnzimmer buhlen sie mit neuesten AI-gesteuerten Technologien um Kunden, denen am Selbstfahren zunehmend weniger zu liegen scheint. In den Vordergrund rücken Hochleistungschips, Sensoren und immer komplexere Verarbeitungsprogramme, die durch möglichst umfangreiche Verkehrsszenarien führen – während sich Passagiere mit Unterhaltungsprogrammen vergnügen. Der Weg zu vollautonomem Fahren, zu Roboter-Autos ist eingeschlagen.
Versalien ersetzen die vier Ringe
Die dramatisch rückläufigen Verkaufszahlen deutscher Marken im Reich der Mitte erwecken dagegen den Eindruck, dass die „De Goa Ren“, wie Deutsche in China genannt werden, abgehängt sind vom Trend. Doch in Shanghai ist ein erstes Aufbäumen erkennbar. Während nicht alle überzeugen, verspricht die Volkswagen-Marke Audi in die richtige Richtung zu gehen: Audi probt einen Neustart in China. Nach Jahrzehnten im Markt mit in Deutschland entwickelten Autos, deren Derivate zum Teil in China hergestellt werden, gründet Audi nun eine komplett neue Marke nur für China. Sie bringt in China entwickelte und produzierte Elektromobile ausschließlich für den heimischen Markt hervor. Unter dem Markennamen AUDI (in Versalien geschrieben), doch ohne die ikonischen vier Ringe. Dafür sucht die neue Marke Schützenhilfe beim langjährigen Kooperationspartner SAIC. Wir schauen uns das erste Fahrzeug näher an und sprechen mit dem Audianer Fermin Soneira, der das AUDI & SAIC Project als CEO in China führt.
320 individuell konfigurierbare LEDs
Die erste Überraschung: Der neue AUDI E5 Sportback ist weder ein SUV, wie meistens nachgefragt, noch eine Limousine, vielmehr einem Audi Avant Allroad fürs D-Segment ähnlich. Exklusiv für diese Baureihe entwickelt wurde die Advanced Digital Platform (ADP), wobei Soneira nicht leugnet, dass auch Komponenten der SAIC-eigenen Nebula Basis sowie der in China entwickelten VW-eigenen Compact Main Platform (MP) verbaut sind, um Vorteile der gut geölten chinesischen Lieferketten zu nutzen. So wird die vergleichsweise kurze Entwicklungszeit von kaum mehr als zwei Jahren möglich.
Das sportliche Design des E5 sei in Ingolstadt entstanden, sagt Soneira. Es spiegelt mit den riesigen beleuchteten Rahmen im Front- und Heckabschluss ästhetische Vorlieben moderner China-Autos wider. Individualität verleihen vorne 320 LEDs, die eine Matrixeinheit bilden. Sie lassen sich individuell konfigurieren. Analog sorgen hinten OLED-Leuchtkörper für Eigenständigkeit.
Zwei Kernbaugruppen positionieren die Topversion des AUDI E5 in der Spitzengruppe chinesischer Premium-EVs: das E-Antriebssystem und die intelligente Vernetzung von ADAS- und Unterhaltungskomponenten. So bilden zwei E-Motoren mit zusammen 570 kW/775 PS und 800 Nm Drehmoment den Audi-typischen Quattro-Antrieb ab und katapultieren den E5 in nur 3,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Gespeist werden sie von einer 100 kWh Ternary Lithium NMC Batterie, die eine maximale Reichweite von 700 km (CLTC) verspricht. Dank der 800-V-E-Plattform soll ein nur 10-minütiges Nachladen die Reichweite um 370 km aufstocken.
Audi setzt auf Assistenzsystem von Huawei
Von Huawei stammt das in zahlreichen anderen China-EVs verbaute und einer ständigen Datenerweiterung unterliegende Vernetzungs-Tool Qiankum für teilautonomes Fahren in Hunderten von chinesischen Städten, den meisten Schnellstraßen und für vollautomatisches Einparken. Sein Reifegrad stellt in Deutschland für China entwickelte Systeme in den Schatten, wie wir aus Testfahrten in EVs anderer chinesischer Marken wie BYD erfahren. Fürs Detektieren der Umgebung sind insgesamt 29 Kameras, Ultraschall-Sensoren und ein Lidar Watchtower auf dem Dach verantwortlich. Verarbeitet und dem Fahrer übers (sprach- und gestengesteuerte) AUDI Assist System im Interieur zugänglich gemacht, werden die Informationen mit Hilfe eines Qualcomm Snapdragon 8295 Chip, der 30 Milliarden Rechenvorgänge pro Sekunde erledigt. Natürlich ist das System OTA-updatefähig.
Die Innenausstattung bedient konsequent chinesische Vorlieben. Beherrschendes Element ist der zwischen den A-Säulen aufgespannte riesige 27-Zoll-4K-Bildschirm. In dessen äußeren Segmenten werden Bilder von Kameras eingespielt, die die Außenspiegel ersetzen. Auf mechanische Schalter wird nahezu komplett verzichtet. Mit Holzapplikationen garniert, wirkt das Interieur puristisch und bedient Premiumansprüche.
Fahrwerk aus Deutschland, doch wen interessiert's?
Auf die Frage, was neben dem Design an deutschem Know-how eingebracht wird, verweist Soneira auf hohe Produktqualität und die typisch deutschen Fahreigenschaften des E5. Dank adaptivem Luftfeder-Fahrwerk, mitlenkenden Hinterrädern und hoher Lenkpräzision sollten wir typisch deutsche Fahreigenschaften erwarten, verspricht er. Eine Qualität, die chinesischen Autos fremd ist – von deren Fahrern, die mit extrem frühem Eingreifen von Regelsystemen leben müssen und sänftenhaftes Cruisen lieben, allerdings auch nur selten nachgefragt wird. Dieses Thema verlangt Überzeugungsarbeit des AUDI-Marketing.
Drei schwächer motorisierte, abgespeckte Versionen ab 42.300 Euro folgen auf das hier vorgestellte Topmodell, das 54.500 Euro kosten dürfte. So positioniert AUDI den E5 Sportback auch preislich über das in China beliebte Tesla Model S. Ob das gut geht, wird auch davon abhängen, wie chinesische Kunden die AUDI-SAIC Kooperation vor dem Hintergrund beurteilen, dass SAIC in China keine Erfahrungen im Premiumsegment hat, weil das Staatsunternehmen bislang nur untere und mittlere Marktsegmente bedient. Beobachter fürchten, dass darunter das Image der neuen Marke AUDI leiden könnte. Dem hält Soneira entgegen, dass alle AUDI neben den bereinigten Audi-Derivaten für China in der eigenen Produktionsstätte Anting/Shanghai nach deutschen Qualitätsvorgaben entstehen. Bleibt zu hoffen, dass diese auch für in China konfigurierte Software greifen, die in Autos anderer einheimischer Marken gern einmal „stottert“.