Portraitfoto Marc Votteler, CIO bei Schaeffler

"Wir müssen so attraktiv sein, dass die Fachkräfte zu uns kommen wollen. Dies haben nur wir selbst in der Hand", betont der Leiter des Bereichs IT & Digitalization und CIO der Schaeffler-Gruppe, Marc Votteler. (Bild: Schaeffler)

Herr Votteler, wofür steht die Digitalisierung beim Unternehmen Schaeffler?

Digitalisierung ist neben Nachhaltigkeit eines der strategischen Schlüsselthemen der Schaeffler-Roadmap 2025 und in der gemeinsamen Verantwortung aller Sparten, Funktionen und Regionen. Wir sehen in der Digitalisierung die Zukunft und haben hier durchaus unsere Stärken. Jüngere Unternehmen, wie Startups, mögen in manchen Bereichen zwar sehr schnell sein. Wir verfügen aber über eine einzigartige Kompetenz in der industriellen Fertigung, durch die wir sehr spezifische, hochwertige und weltweite Lösungen anbieten können.

Sie bezeichnen sich als digitaler Surfer. Wie darf man sich das vorstellen?

Schaeffler ist kein Unternehmen, das im Bereich der Digitalisierung alles neu erfindet, vielmehr eines, das Leading-Edge-Technologien sinnvoll für sich und die Kunden zu nutzen weiß. Ich bin für die IT verantwortlich, mein Bereich konzentriert sich darauf, aus unseren Angeboten ausdifferenzierte Lösungen zu machen. Hierfür müssen wir kontinuierlich auch auf Trends und Wellen achten, um das für uns Passende zu identifizieren und dann zum richtigen Zeitpunkt zu nutzen, quasi zu surfen. Digitalisierung sehen wir nicht nur als Herausforderung, sondern als entscheidenden Hebel, mit dem wir noch schneller und durchsetzungsfähiger werden und einen Mehrwert für unsere Kunden schaffen.

Wie groß ist die IT bei Schaeffler?

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, weil die Übergänge von der IT-Organisation zu den Fachbereichen zunehmend fließender werden. Nehmen wir das Beispiel Low Code, durch das viele Anwenderinnen und Anwender von Konsumenten zu digitalen Mitgestaltern werden. Um eine ungefähre Zahl zu nennen: In den zentralen IT- und  Digitalisierungsbereichen, ohne den Produktbereich mit seinen Embedded-Anwendungen, sind wir mehr als 2.000 Kolleginnen und Kollegen.

Die digitale Transformation Schaefflers steht auf den Säulen: Digital Workplace, Cyber-Physical Equipment, Digital Value Chain und Smart Products. Wichtige Ziele sind die digitale Vernetzung Ihrer Produktionsanlagen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und auf der Produktseite die digitale Abbildung des Produktlebenszyklus. Wie gelingt dies?

Zu diesen vier Säulen gesellen sich drei Enabler: zum einen die grundlegende Infrastruktur als Digital Foundation, zum zweiten die Digital Competencies aller Mitarbeitenden und drittens das Digital Ecosystem, also das Engagement in Partnerschaften. Zusammen bilden sie die digitale Agenda, die unsere Strategie und den Leitfaden für alle Aktivitäten beschreibt. Innerhalb dieses Rahmens evaluieren Expertinnen und Experten aus allen IT-, aber auch Fachbereichen neueste digitale Technologien und Marktentwicklungen und identifizieren gewinnbringende digitale Lösungen für Schaeffler. Ein Beispiel für Smart Products: Bei Produkten wie Optime aus unserer Sparte Industrial geht es um das Überwachen von Anlagen. Durch die Symbiose unseres industriellen Knowhows und unserer digitalen Kompetenz entstand dieses Ergebnis: ein Produkt, das Anlagen überwacht und dank cleverer Netzwerktechnologie und Cloudservices im Hintergrund einen hohen Mehrwert bietet.

Marc Votteler spricht auf dem automotiveIT Kongress 2023

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Sie interessieren sich für die Rolle der Digitalisierung in der Autoindustrie und wünschen sich weitere Einblicke in die Strategien der Hersteller und Zulieferer? Neben Schaeffler-CIO Marc Votteler werden zahlreiche weitere Branchenexperten auf dem automotiveIT Kongress 2023 am 20. September im Vienna House Andel's Berlin über den digitalen Wandel der Industrie sprechen.

 

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Zur digitalen Roadmap 2025 von Schaeffler zählt das Identifizieren profitabler digitaler Lösungen. Diese sollen auf die Optimierung der Wertschöpfungskette bei Ihnen  wie auch bei den Geschäftspartnern einzahlen. Auf welche technischen Instrumente setzen Sie dazu?

Damit sprechen Sie ein weites Feld an. Es gibt die klassischen Systeme, mit denen wir unsere Produkte designen. Diese entwickeln sich stetig weiter. Unter anderem im Rahmen unserer Partnerschaften, wie etwa mit PTC, generieren wir in diesem Bereich Mehrwert durch Digitalisierung. Bereits beim Design der Produkte entstehen sehr viele Daten. Wenn wir sie um die bei der Produktion mithilfe von Sensorik gewonnenen Daten ergänzen und verknüpfen, entsteht ein digitaler Repräsentant, ein Digital Twin. Dem physischen Element fügen wir also ein digitales Abbild hinzu. Zum Digital Twin gehören auch Daten, die das Produkt im Einsatz liefert. Diese können wir zu seiner kontinuierlichen Verbesserung nutzen. Auf Daten setzen wir auch in umgekehrter Richtung, zum Beispiel wenn wir eine Maschine in Betrieb nehmen: In einem virtuellen Raum können wir dank der Konstruktionsdaten der Maschine etwa unsere Mitarbeitenden aus dem Shop­floor frühzeitig trainieren, was vor allem die Ramp-up-Zeiten deutlich verkürzt.

Zu den Neuheiten-Wellen der jüngsten Zeit zählen Chat-GPT und das Metaverse. Wie erkennt man Innovationen dieses Ausmaßes rechtzeitig und vor allem, woran kann man deren Wert für einen Zulieferer festmachen?

Das ist digitales Surfen. Es bedeutet, dass man neue Technologien, Trends und Themen bewertet. Man muss sich dabei immer die Frage nach geeigneten Anwendungsfällen stellen. Mit Blick auf das Metaverse, das in seiner vollen Ausprägung und Güte noch nicht existent ist, haben wir bereits einzelne Anwendungsfälle, zum Beispiel in der Produktion: in Form von virtuellen Räumen für Trainings oder für die Instandhaltung von Maschinen. Bei Generative AI ist bereits klar, dass damit eine große Veränderung einhergehen wird. Noch können wir nicht exakt definieren, wo und wie genau der größte Hebel bei uns ansetzt. Daher versuchen wir einen möglichst niederschwelligen Zugang zu Technologien zu schaffen, also sie für möglichst viele Bereiche in unserem Haus zugänglich zu machen. Dadurch sehen wir, wie die Kolleginnen und Kollegen die Technologie für sich einsetzen und neue Use Cases erschließen. Mit SchaefflerGPT schaffen wir zum Beispiel so ein Angebot, um Menschen zum Mitmachen zu motivieren. Einzelne solcher Anwendungen können dann bereits zu einem Produktivitäts-Boost führen.

Neue Entwicklungen, neue Technologien benötigen bisweilen auch einen langen Atem, wenn man sie innerhalb eines Unternehmens einsetzen möchte. Stoßen Sie dabei auch auf Skepsis?

Wir sind uns im Unternehmen darüber einig, dass es sich bei Digitalisierung um kein bloßes Mittel zum Zweck handelt. Daher steht dieses Thema im Unternehmen auch ganz oben auf der Agenda. Digitalisierung bedeutet auch Veränderung. Und dabei ist es besonders wichtig, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen. Unser Engagement reicht dabei weit über Kurse für Programmierer hinaus und startet bereits mit recht niederschwelligen Angeboten. Organisiert sind unsere Digitalisierungsschulungen unter anderem in der Lernlandschaft „Fit4Digital“.

Beim Blick auf die bei Schaeffler angestellten Menschen ist der Digital Workplace ein Stichwort. Was verbirgt sich dahinter?

Als globales Unternehmen mit unterschiedlichen Funktionen und Sparten gibt es auch eine große Spannbreite an Nutzerprofilen und Anforderungen an den Digital Workplace. Deshalb haben wir ein breites Angebot an digitalen Lösungen für den Arbeitsplatz, von Kollaborationsplattformen wie Microsoft Teams bis hin zu Virtual- oder Augmented-Reality-Lösungen. Mit Blick auf die Technologien selbst möchte ich eine vereinfachte Formel nennen: Die IT macht dann einen besonders guten Job, wenn der Anwender überhaupt nicht wahrnimmt, dass es sich dabei um IT handelt. Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass sich die IT an den User anschmiegt. Das verlangt den Spagat aus Standardisierung und dem Bereitstellen von Daten für etwa 84.000 Beschäftigte. Dabei sollen die Anwendungen für jede Einzelne und jeden Einzelnen so individuell nutzbar sein, dass sie oder er den jeweiligen Job bestmöglich erledigen kann. Das beschriebene SchaefflerGPT ist ein Beispiel für eine solche breitenwirksame Anwendung.

Wie sehr bemerken Sie den derzeit überall kolportierten Fachkräftemangel?

Schaeffler ist wie viele andere Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. Insbesondere im Bereich IT und Digitalisierung sind qualifizierte Fach- und Führungskräfte stark umkämpft. Dieser Herausforderungen nehmen wir uns an, indem wir zum einen unsere Mitarbeitenden weiterentwickeln und zum anderen Fach- und Führungskräften einen attraktiven Arbeitsplatz anbieten. Fachkräftemangel ist ein Phänomen, das auch viele andere Unternehmen betrifft. In der Konsequenz bedeutet dies: Wir müssen so attraktiv sein, dass die Fachkräfte zu uns kommen wollen. Dies haben nur wir selbst in der Hand.

Schaeffler ist Partner bei Startup Autobahn und Gründungspartner des Datenaustausch-Netzwerks Catena-X. Wie zahlen sich solche Engagements aus?

Wir versprechen uns einen schnelleren Zugang zu interessanten Ansätzen, nicht nur zu den Technologien selbst, auch zu deren Anwendung. Wir sind ein sehr großes Unternehmen, das über viele gute und innovative Köpfe verfügt. Die genannten Netzwerke und viele weitere nutzen wir zum Austausch und für gemeinsame unternehmensübergreifende Projekte. Menschen, die man zum Beispiel bei Startup Autobahn oder Catena-X trifft, haben gemeinsam, dass sie alle vorne mitspielen und sehr viel Expertise mitbringen. Konkret geht es uns um aktives Mitgestalten. Bei Catena-X etwa haben wir früh das Potenzial erkannt, zusammen mit unseren Partnern das Datenökosystem für die Automobilindustrie der Zukunft schaffen zu können. Trotz des Wettbewerbs, den es zuweilen gibt, erachten wir es bei Themen, die für alle gleich herausfordernd sind, als enorm wichtig, an einem Strang zu ziehen. Strategische Partnerschaften und kollaborative Netzwerke sind für uns deshalb enorm wichtig und unsere Partnerschaften ein fester Bestandteil unseres digitalen Ökosystems.

Sie sind nun rund acht Jahre bei Schaeffler. Welche Situation haben Sie damals vorgefunden und was treibt Sie für die Zukunft an?

Bevor ich 2015 zu Schaeffler kam, habe ich auf der anderen Seite des IT-Tisches, auf der Providerseite, gearbeitet und auch für zahlreiche Outsourcing-Kunden IT gemacht. Davor war ich Softwareentwickler. Der Wechsel brachte mir die Erkenntnis, dass man sich als firmeninterne IT in einer sehr charmanten Situation befindet, wenn es um das Voranbringen der Digitalisierung geht. Weshalb? Weil man genau einen Kunden hat, in unserem Fall die Schaeffler-Gruppe, mit ihren unterschiedlichen Funktionen, Sparten und Regionen. Für uns bedeutet das, genau auf diesen einen Kunden all unsere Leistungen zuzuschneiden – in meinen Augen ein riesiges Asset. Mit diesem Fokus hat eine interne IT-Abteilung immer etwas Vorsprung vor einem generellen Outsourcing-Modell. Um Missverständnisse zu vermeiden: Auch wir nutzen Outsourcing, jedoch nicht als strategische Basis, sondern als fokussiertes Werkzeug. An den Stellen, an denen es genau darum geht, den einen Unterschied zu schaffen, entscheiden wir immer selbst.

Zur Person:

Portraitfoto Marc Votteler, CIO bei Schaeffler
(Bild: Schaeffler)

Marc Votteler ist seit 2021 CIO der Schaeffler-Gruppe und Leiter des Bereichs IT & Digitalization. Gemeinsam mit seinem Team treibt er die digitale Transformation des Unternehmens voran. Votteler begann 1991 mit einer Ausbildung zum Kommunikationselektroniker in der Fachrichtung Informationstechnik bei Siemens. Nach der Ausbildung war er als Service-techniker im Bereich Automatisierung tätig. Berufsbegleitend absolvierte er 1998 bis 1999 ein Studium der Fachrichtung Software Engineering an der TU Nürnberg und arbeitete im Anschluss als Java-Entwickler. 2002 übernahm er die Teamleitung des Entwicklerteams und 2006 die Abteilungsleitung eines Bereichs mit Fokus IT-Überwachung. Ab 2011 stellte er bei Atos die IT-Organisation für Managed Services in Deutschland, Rumänien und Indien neu auf. Der Wechsel zu Schaeffler erfolgte 2015. In seiner Rolle als Leiter Global Technology Services verantwortete er fortan die globale IT-Infrastruktur der Schaeffler-Gruppe mit allen Services und Plattformen und gestaltete diese maßgeblich mit.

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