Ralf Waltram von BMW spricht auf dem automotiveIT Kongress

Digitalisierung ist für Ralf Waltram, VP IT Delivery DevOps for Production bei BMW, der Key Enabler für die Produktion der Zukunft. (Bild: Marko Priske)

Lean, Green und Digital sind Buzzwords, die im Zusammenhang mit einer modernen Automobilfertigung beinahe inflationär genutzt werden. Bei der BMW Group wurden sie gar zur Maxime für das Konzept der iFactory. Dass hinter den Begriffen ordentlich Substanz stecken kann, verdeutlichte Ralf Waltram, VP IT Delivery DevOps for Production bei BMW, auf dem diesjährigen automotiveIT Kongress in Berlin.

Getreu der thematischen Ausrichtung der Veranstaltung konzentrierte sich Waltram dabei nicht auf die flexible und schlanke Fertigung verschiedener Antriebsarten oder den schonenden Umgang mit Ressourcen, sondern auf die Digitalstrategie des Autoherstellers. Sie sei der Key Enabler für die Produktion der Zukunft und eine Notwendigkeit für innovative Produkte. „Die iFactory ist kein Musterwerk, das es nur ein Mal gibt. Jede unserer Fabriken ist eine iFactory“, betonte er bei seinem Vortrag.

Eine Frage der Unternehmenskultur

Auf dem Weg zu diesem Zielbild greife BMW vor allem auf drei Technologiefelder zurück: Data Science, Virtualisierung und künstliche Intelligenz. Dafür müsse die Datenflut zunächst aus unterschiedlichsten Quellen – wie Produktion, Engineering, Logistik oder Sales – in die Data Analytics-Umgebung überführt und dort miteinander verschränkt werden. In Verbund mit der Virtualisierung der Werke schaffen die Münchener dadurch einen umfassenden digitalen Zwilling, der sich einerseits für die Planung von Greenfield-Standorten wie im ungarischen Debrecen, andererseits aber auch für Verbesserungen oder Modellanläufe im Brownfield nutzen lässt.

Künstliche Intelligenz unterstützt derweil den Fertigungsprozess an sich. Das bekannteste Beispiel sei sicherlich die Qualitätssicherung, erläutert Waltram, der im Anschluss vier konkrete Beispiele für Digitalisierungsprojekte vorstellt. Im Fokus würden dabei immer agile Arbeitsmodelle auf Basis von BizDevOps, Prozessstandards und Datenzentrierung sowie Self Service Solutions mit übersichtlicher UI/UX stehen. Digitalisierung ist eben nicht nur reine Technologie, sondern auch eine Frage der Unternehmenskultur.

BMW denkt die IT in Plattformen

Den Anfang machte Waltram mit der Basis für derzeit rund 500 Applikationen – das Edge Ecosystem. Dabei handle es sich um genormte Edge-Systeme, die über eine Plattform in der Cloud betrieben werden und eine einfache Anbindung von speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) sowie anderen Ökosystemen gewährleisten. Rund 40.000 Anwender an 31 Produktionsstandorten würden das neue System bereits am Shopfloor nutzen. Da von Beginn an im großen Stil gedacht wurde, können sie über den App-Store mittlerweile auf rund 500 Applikationen zurückgreifen. „Es wird nicht das letzte Mal sein, dass in meinem Vortrag von Plattformen die Rede ist“, scherzte der IT-Experte. Schließlich habe BMW stets die Skalierbarkeit vor Augen, anstatt sich nur auf Einzelanwendungen zu konzentrieren.

Das zweite Beispiel verdeutlichte diese Denkweise noch besser: Begonnen hat alles mit der automatischen Überprüfung der Typenschilder an Fahrzeugen. Mittlerweile umfasst Artificial Intelligence Quality Next (AIQX) rund 200 Use Cases und wird unter anderem im Werk Dingolfing zur Qualitätssicherung eingesetzt. Kamerasysteme und Sensoren überprüfen die Montageschritte und geben den Mitarbeitern unmittelbares Feedback über Smart Devices. Neben der Bilderkennung greife der OEM zudem auf Geräuschdaten zurück, um Anomalien in der Fertigung zu identifizieren. Auch hier habe BMW frühzeitig in Plattformen gedacht, so Waltram.

IPS-i vervollständigt den digitalen Zwilling

Eine weitere Plattform wurde im dritten Beispiel skizziert – IPS-i. Sie kommt ebenfalls in Dingolfing zum Einsatz und basiert auf den Echtzeitdaten unterschiedlicher Ortungssysteme wie GPS, UWB oder RFID. Durch sie können alle Bauteile, Fahrzeuge und Roboter in der Fertigung lokalisiert und identifiziert werden. „Die Zahlen sprechen für sich“, so Waltram. Pro Stunde werden 500 Millionen Positionsdaten auf rund 1,3 Millionen Quadratmeter Fläche übermittelt. Täglich werden 20.000 Fahrzeuge getrackt.

Geortete Fahrzeuge können eigenständig RFID-Geräte aktivieren, die Labels einzelner Bauteile zuordnen oder eine AIQX-Überprüfung auslösen. Werker haben bei Schraubprozessen einen unmittelbaren Überblick über die notwendigen Arbeitsschritte. Bei der Montagelinie sei jedoch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht, heißt es im Vortrag. Die Use Cases sollen auf Logistik und Intralogistik ausgeweitet werden – von der Anlieferung der Lkw bis zur Distribution der Autos an die Händler.

Automotive Lean Production Award 2022

Das Werk Dingolfing gilt als Vorreiter bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Zahlreiche Use Cases aus der Montage wurden dort pilotiert oder gar selbst entwickelt. Aus diesem Grund erhielt der Standort im Jahr 2022 den Automotive Lean Production Award von Automobil Produktion und Agamus Consult. Überzeugt hatten die Jury unter anderem die IT-Plattform IPS-i, die Qualitätsüberwachung AIQX, die smarte Logistik sowie weitere Shopfloor-Lösungen wie Takt.Info oder T-Cube.

Oxford wird zum Schneepflug von BMW

Zu guter Letzt führte Ralf Waltram mit dem vierten Beispiel auch den jüngsten Rollout in Oxford an. Im britischen Mini-Werk hatte die BMW Group erst vor wenigen Tagen den Launch von SAP S/4 HANA verkündet. Das neue Template umfasse Finanz-, Logistik- sowie Zoll-Prozesse und soll das Werkmanagement durch die Verknüpfung der Daten auf ein neues Level heben. Waren werden fortan automatisch verbucht. Statt einer gefühlten Entwicklungsplattform baut BMW auf Industriestandard. „Wir wären sonst nicht mehr releasefähig gewesen“, erklärte Waltram auf dem Kongress. Oxford solle nun als „Schneepflug“ für die anderen Werke agieren und der Cloud-First-Ansatz weltweit ausgerollt werden.

Auf die Frage aus dem Publikum, warum dafür ausgerechnet dieser Standort ausgewählt wurde, antwortete der Experte pragmatisch: Aufgrund der Produktanläufe und Verfügbarkeiten habe sich dies so herauskristallisiert. Die IT sei nicht immer auf den großen Knall angewiesen. Das Template wurde mit allen relevanten Partnern erarbeitet, die Fahrzeugwerke wüssten, was bevorsteht. Sie könnten nun bereits erste Prozesse einführen, bevor der vollumfängliche Rollout folgt. Das Setting sei von Anfang an gegeben, nur die Komponentenwerke müsste man im Konzern noch angehen.

Konzern-IT BMW

Der BMW-Vierzylinder in München bei Nacht.
(Bild: BMW)

Bereits vor drei Jahren haben wir die Konzern-IT im Zuge einer Sonderedition unter die Lupe genommen. Vor dem Hintergrund des diesjährigen Vortrags von Ralf Waltram bleiben die Artikel hochaktuell. Wie hat der Autobauer damals seine Weichen für Public Cloud, KI, VR, IoT oder Quantencomputing gestellt?
Alle Artikel auf einen Blick.

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