Joachim Mathes von Valeo auf dem car.summit in München.

Die Notwendigkeit einer neu konzipierten Fahrzeugarchitektur benennt Joachim Mathes von Valeo als erster, aber nicht als einziger Referent des car.summit 2023. (Bild: Marko Priske)

Die Autohersteller preisen das softwaredefinierte Fahrzeug, bereit sind dafür aber nur die wenigsten – so der Tenor auf dem automotiveIT car.summit 2023. Aktuelle Fahrzeugarchitekturen werden der Vielzahl an Features in Bereichen wie ADAS oder Infotainment sowie der propagierten Update-Kultur über den gesamten Lebenszyklus nicht mehr gerecht. „Wir kommen aus einer Zeit mit ganz viel Kabelbaum und etlichen Steuergeräten“, erläutert Jan Wehinger, Partner bei der MHP Management- und IT-Beratung. Die E/E-Architektur gerate an ihre Grenzen.

„Die Verkabelung hängt derzeit von der konkreten Ausstattung ab“, sagt Claudio Longo, Vice President Research & Advanced Engineering Software and Central Technologies bei Continental Automotive. In Luxusautos seien über 120 Steuergeräten verbaut, die jeweils eine eigene Software besitzen und sich einer entsprechenden Funktion widmen. Der zunehmenden Komplexität werde dies nicht mehr gerecht. Hochleistungsrechner fänden deshalb schon jetzt ihren Weg ins Fahrzeug. In Verbund mit verschiedenen Zonen könnten sie künftig dabei helfen, Software und Hardware besser zu separieren, so der Continental-Experte.

Die Variantenvielfalt führt in eine Sackgasse

Joachim Mathes, CTO der Geschäftseinheit Comfort & Driving Assistance Systems bei Valeo, schlägt in seinem Vortrag die gleichen Töne an. Sobald der Kunde ein zusätzliches Feature ordert, werde bei der Verkabelung von der Basisversion abgewichen und eine Variante erzeugt. „Die deutschen Hersteller sind sehr stolz darauf, dass sie diese hohe Variantenvielfalt meistern“, berichtet Mathes. „Aber sie führt in eine Sackgasse.“ Auf lange Sicht werde dies nämlich nicht mehr die kostengünstigste Alternative sein. Es benötige vielmehr eine standardisierte und neu konzipierte E/E-Architektur, deren Hardware genügend Reserven bietet.

„Wir müssen uns dieser Veränderung stellen“, fordert Mathes. Die Entwicklung könne nicht länger nur den Produktionsstart vor Augen haben. Wenn die Autohersteller eine Vision der Update- und Upgrade-Kultur verfolgen wollen, seien die aktuellen Architekturen nicht ausreichend. „Das geht rein physisch nicht, denn was auch immer ich auf der Software-Seite nachreiche, kommt gar nicht an.“ Die Hardware eines softwaredefinierten Fahrzeugs müsse genügend Reserven für derartige Neuerungen haben. Und selbst dann sei die Skalierbarkeit nicht endlich, verdeutlicht der Valeo-Experte die notwendige Aufgabenverteilung in der Cloud.

Die Steuergeräte müssen konsolidiert werden

Wie eine neue E/E-Architektur konzipiert sein könnte, präsentiert Lee Bauer, Vice President Mobility Architecture bei Magna International. Heutzutage habe jede Domäne noch ihren eigenen Software-Stack. „Die Domänen sind nach wie vor monolithisch.“ Software und Hardware seien zu eng gekoppelt, worunter die Upgrade-Fähigkeit leide. In einem ersten Schritt gehe der Trend deshalb zu zonalen Architekturen mit einem zentralen Hochleistungsrechner. Der überbordende Kabelbaum würde verkleinert, die Steuergeräte konsolidiert und die Stromverteilung besser geregelt.

In gut zehn Jahren wären auch verteilte Zonen denkbar, die Software und Hardware endgültig entkoppeln, so Bauer. Mehrere Compute-Instanzen könnten auf derselben Software bzw. Middleware basieren. Standardisierung wäre die Maxime. Dafür müsse die domänenbasierte Denkweise einer funktionsorientierten weichen. „Das wird nicht einfach“, weiß der Magna-Experte aus Erfahrung. Viele Autohersteller denken seines Erachtens nicht langfristig genug und zeigen nur bedingtes Interesse für drastische Veränderungen der Fahrzeugarchitektur.

Chinesische Autohersteller werden zu Vorreitern

Diese Zaghaftigkeit könnte den europäischen Herstellern zum Verhängnis werden, mahnt Joachim Mathes von Valeo. „Das softwaredefinierte Fahrzeug ist schon da, nur trägt es eben beispielsweise ein Tesla-Logo.“ Insbesondere chinesische Hersteller hätten die Zeit genutzt, um gleich mehrere Architekturen parallel auf dem Markt zu testen. „So haben sie sich einen Vorsprung von fünf Jahren erarbeitet“, meint Mathes. Das komplette System sei so konzipiert, dass es stetig Daten über das Nutzungsverhalten liefert, fortlaufende OTA-Updates ermöglicht und damit letztlich die Entwicklung unterstützt.

Die Zeit bis zum SOP wird bei den Vorreitern aus China dadurch immer geringer, der Abstand auf die alteingesessen Autobauer im größer. „Ich habe Sorge, dass nicht alle Akteure den Atem haben, um diesen Prozess zu überstehen“, so Mathes. Auch Jan Wehinger von MHP hat die mangelnde Wandlungsfähigkeit erkannt: „Die Umsetzung fällt offensichtlich schwer.“ Eine neue Architektur auf den Weg zu bringen, erfordere schließlich eine Abkehr von der Legacy. „Ich brauche ein Stück grüne Wiese dafür“, bringt er es auf den Punkt. Und die scheinen einige Autohersteller wohl einfach nicht zu haben.  

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