Es gleicht einem ewigen Wechselspiel: Erst steht der Durchbruch des autonomen Fahrens bevor, dann rückt die Realisierung erneut in weite Ferne. Automobilhersteller beschließen und beenden strategische Partnerschaften, kündigen dann im Alleingang die Zertifizierung autonomer Fahrfunktionen an und müssen dennoch missmutig auf die Erfolge konkurrierender Tech-Unternehmen blicken. Diese an BMW und Daimler sowie die jüngsten Testfahrten von Mobileye angelehnte Ereigniskette verdeutlicht, dass regulative Rahmenbedingungen nicht mehr lange auf sich warten lassen sollten. Was sich bereits beim Autogipfel der Bundesregierung im September 2020 abzeichnete, wird deshalb mit einem Gesetzesentwurf des Bundesverkehrsministeriums auf den Weg gebracht – Deutschland soll eine Vorreiterrolle beim autonomen Fahren einnehmen.
Rechtliche Voraussetzung für autonome Privat-Pkw
Der Digitalverband Bitkom wertet diesen Schritt als essenzielle Grundlage, um die Technologie aus dem Labor in den Alltag zu bringen und damit eine Blaupause für andere Staaten zu schaffen. „Mit dem weltweit ersten Gesetz zum autonomen Fahren wird erstmals ein gesetzlicher Rahmen für den Einsatz autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Straßenraum geschaffen. Diese dringend benötigte Rechtssicherheit kann dem autonomen Fahren den entscheidenden Schub geben – und Deutschland als Innovations- und Entwicklungsstandort für digitale Mobilität stärken“, bekräftigte Bitkom-Präsident Achim Berg anlässlich der Verbändeanhörung zu dem Gesetzentwurf.
Der Verband begrüßt es ausdrücklich, dass künftig nicht nur autonome Kleinbusse im ÖPNV, sogenannte People Mover, eingesetzt werden können, sondern auch die rechtlichen Voraussetzungen für autonom fahrende Privat-Pkw geschaffen werden. Dadurch könnte etwa auch das automatisierte Einparken in Parkhäusern, das sogenannte Automated Valet Parking eingeführt werden. Erst im Oktober 2020 hatte sich beim Verbundprojekt von Daimler und Bosch ein weiterer Fortschritt in Bezug auf die Funktionen der neuen S-Klasse abgezeichnet, nachdem der Premiumhersteller und andere Hersteller wie etwa Ford seit Jahren derartige Systeme testen.
Kritikpunkte des Digitalverbands Bitkom
Vor Kritik ist der Entwurf dennoch nicht gefeit: So kritisiert der Bitkom etwa die Verpflichtung, dass Fahrzeuge sich im Falle eines Abbruchs der Funkverbindung in einen risikominimalen Zustand versetzen müssen. Dies würde den Verkehrsfluss stören und zusätzliche Risiken schaffen, so der Verband. Autonome Fahrfunktionen seien per Definition in der Lage, das Fahrzeug auch ohne Funkverbindung sicher im Straßenverkehr zu bewegen. „Eine Funkverbindung ist keine technische Voraussetzung, damit Fahrzeuge in einem autonomen Fahrmodus fahren können und sollte somit auch keine gesetzliche Voraussetzung sein“, moniert Berg.
Zudem sieht der Digitalverband noch Klärungsbedarf bei Fragen rund um den Datenschutz. Aktuell sei noch offen, inwieweit einzelne Vorgaben zur Verarbeitung bestimmter Daten in Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) stehen. „Offene Fragen des Datenschutzes müssen während des Gesetzgebungsverfahrens geklärt werden, damit ein entsprechendes Risiko nicht zulasten von Haltern oder Herstellern geht“, erläutert der Bitkom-Präsident. Durch Einschränkungen bei der Weitergabe der generierten Daten sieht er die Entscheidungsfreiheit von OEMs, Zulieferern und Dienstleistern sowie die Zulassung der Fahrzeuge gefährdet.
VDA befürchtet Verschleppung des Gesetzes
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) geht in seiner Kritik noch weiter: Die Chance einer Vorreiterrolle werde vertan, wenn das Gesetz zum autonomen Fahren verschleppt und nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet würde, betonte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Ihr geht die Regelung zu Mobilitätsdaten ebenfalls zu weit. Außerdem stehe die Gesamtprüfung autonomer Fahrzeuge, die alle 90 Tage vorgesehen ist, sowie die halbjährliche Hauptuntersuchung in keinem sinnvollen Verhältnis zu den Regelungen bei „traditionellen“ Autos. Es seien laut VDA keine technischen Gründe ersichtlich, die diese zeitlichen Verkürzungen erforderlich machen.
Da die Ressortabstimmung und die Rechtsprüfung noch nicht abgeschlossen sind, appelliert der VDA deshalb für Anpassungen am Entwurf. „Wenn das Gesetz nicht vor der Bundestagswahl verabschiedet wird, verlieren wir mindestens eineinhalb Jahre und damit unseren technischen Vorsprung", so Müller. Während sich bezüglich Wartung und Datenschutz eine Diskussion entfacht, bleiben bei Haftung und fundamentalen ethischen Überlegungen jedoch zahlreiche Fragen offen. Fragen, die möglicherweise erst Gerichte beantworten werden.