In einem unscheinbaren Gebäude direkt neben der Autobahn arbeiten auf zwei Etagen kaum mehr als die Dutzend Menschen. Doch hier im BMW Tech Office in Mountain View haben sie auf die Autos von morgen vielleicht sogar mehr Einfluss als die 10.000 Experten in der Denkfabrik des Forschungs- und Innovationszentrums FIZ daheim in München.
„Denn hier sitzen wir im Herzen der Hightech-Welt“, sagt Entwicklungsvorstand Frank Weber, der dort gerade den 25. Geburtstag des ersten und größten Tech Office in seinem Ressort gefeiert hat und die Nähe zu den Apples, Microsofts und Googles lobt, aber auch zu den Dutzenden von Startups, die hier Monat für Monat antreten, um die Welt zu verändern - von der Stanford University, fünf Autominuten vom Tech Office entfernt, oder der University of California in Berkeley sowie den Heerscharen von Investoren, Analysten und Beratern ganz zu schweigen. Oder den anderen Tech- und Trendscouts, die Newsfeeds, Podcasts und Websites füttern und so das Klima weiter anheizen: „Hier ist man 24 Stunden am Tag Goldgräberstimmung ausgesetzt“, hat Joachim Stilla die „Vibes“ im Valley umschrieben, als er vor 20 Jahren im Büro das Sagen hatte. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Was hat BMW mit den Tech Offices vor?
Mittlerweile gibt es solche Büros auch in Tokio, Seoul, Shanghai oder Tel Aviv, weil das Silicon Valley längst nicht mehr der einzige Hotspot ist für Hightech und Digitalisierung ist. Und Webers Team scannt ständig die Weltkarte, wo sie noch einen Standort brauchen könnten. Sogar in München haben sie ein entsprechendes Büro installiert. Denn seine Mannschaft muss, so Webers Credo und die Mission der Tech Offices, raus aus dem Elfenbeinturm und raus aus dem eigenen Saft, muss die Augen aufmachen, muss neue Trends antizipieren und dafür auch mal neben den Schubladen schauen. „Innovationen entstehen nicht in Silos“, wiederholt er sein Mantra, „sondern dazwischen, da wo sich Knowhow begegnen und befruchten kann.“
„Wir sind nicht besser als die Kollegen in München, aber wir sind näher dran“, hat Stilla mal gesagt, als das Tech Office noch in Palo Alto residierte und gerade mal 16 Mitarbeiter hatte. Und diese Nähe ist es, auf die es ankommt. Nicht nur, weil es dann mehr als ein paar Stunden Überlappung im Arbeitstag zwischen München und Kalifornien gibt. „Sondern nur hier vor Ort bekommt man ein Gespür für die Trends und kommt zugleich in Kontakt mit denen, die sie treiben“, sagt Claus Dorrer, der das Büro mit jetzt zwischen 30 und 40 Mitarbeitern leitet. Nicht umsonst teilt er sich das Gebäude mit Marcus Behrendt, der als Chef von BMW iVentures den Startup-Inkubator der Bayern unter seinen Fittichen hat und dort über 800 Millionen Euro in mehr als 75 Firmen investiert hat.
In Mountain View bastelt BMW an der Batterie der Zukunft
Gerade erst hat er damit wieder für Schlagzeilen gesorgt. Denn mit dem Startup ONE - Our Next Energy will er der Reichweitenangst endgültig ein Ende machen und Strecken von mehr als 1.000 Kilometern ohne Zwischenstopp ermöglichen: Dafür haben sie gemeinsam eine Art Hybrid-Akku entwickelt, der zweigeteilt ist und unterschiedliche Fahrprofile abdeckt: Der kleinere Teil des Akkus besteht aus Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen, die vor allem auf den vielen Kurzstrecken zum Einsatz kommen, die den Alltag eines Akku-Autos ausmachen. „Schließlich fahren wir selten weiter als 150 Meilen am Tag,“ sagt Batteriechef Peter Lamp.
Erst wenn deren Kapazität erschöpft ist, kommt der zweite Zellensatz ins Spiel. Der hat mit einer neuen annodenfreien Zelle eine sehr viel höhere Energiedichte und speichert so den Strom für noch einmal 450 Meilen, kann die Energie aber nicht so schnell aufnehmen und abgeben und füttert deshalb nur langsam zu wie ein Hybrid beim Verbrenner. Zwar mussten die Projektpartner dafür einen neuen DC-DC-Konverter entwickeln, der die beiden Ströme in Einklang bringt und den Mix erst möglich macht. Doch kommen die Zellen so auf eine gemeinsame Kapazität von mehr als 180 kWh und haben auf dem Prüfstand bereits eine Fahrt über 978 Kilometer ermöglicht. Dem Serienmodell wäre nach der haben Strecke der Strom ausgegangen.
Nicht jede Idee schafft es ins Auto
Natürlich muss Büroleiter Dorrer einräumen, dass längst nicht jeder Gedankenblitz aus Mountain View in einem konkreten Produkt mündet und nicht alle Trends zünden. Doch allein das Sensibilisieren der Kollegen, das Stellen der richtigen Fragen sei die Arbeit im Valley wert, pflichtet ihm Etienne Illife-Moon bei, der sich weniger als Ingenieur oder Designer sieht denn als Entdecker und Macher. „Neugierde ist hier die wichtigste Tugend.“
Wenn Illife-Moon vom Innovations-Mindset schwärmt und davon, wie er die Sinne künftiger Kunden reiten will, klingen viele Projekte vergleichsweise abstrakt oder gar abwegig wie elektronische Duftorgeln fürs Auto oder das Comeback des iDrive-Controller als dreidimensionaler Bildschirm. Doch vieles machen sie hier buchstäblich greifbar. Denn was nach München geht, muss fassbar sein: „Unser Output besteht in einem funktionsfähigen Prototyp des projektierten Systems im Fahrzeug,“ sagt Illife-Moon. Wobei das dafür herangezogene Modell eher zweitrangig ist: „Wir ordnen unsere Projekte nur grob in dafür geeignete Fahrzeugklassen ein; erst in München fällt die Entscheidung, ob und für welche Produktlinie es dann weiterentwickelt wird.“
Darunter ist immer mal wieder ein konkreter Vorstoß, der es dann mehr oder minder unverändert bis ins Serienprodukt schafft. Denn es waren die Technologiescouts im Silicon Valley, die als erste den iPod ins Auto integriert, die das Infotainment-System für Apps von Drittanbietern geöffnet oder den Autoschlüssel zu einem Datensatz dezimiert haben, den man aufs Smartphone laden und wie ein Foto mit anderen Nutzern teilen kann.
BMWs Tech Office ist das Versuchslabor für die Neue Klasse
Und wenn in zwei Jahren die lange erwartete Neue Klasse den Standard für künftige BMW-Modelle definiert und dabei gleich eine Generation überspringt, dann wäre das so ohne das Tech Office in Mountain View nicht möglich gewesen, lobt Weber seine Truppe bei der Geburtstagsrede. Der Fortschritt bei der Batterie, die 30 Prozent mehr Reichweite, 30 Prozent mehr Ladetempo und 25 Prozent mehr Effizienz bieten soll, die neue Benutzeroberfläche Panoramic Vision mit der Frontscheibe als durchgehendem Display und vor allem die Verschmelzung von realer und virtueller Welt – all das seien Themen, die hier im Silicon Valley vorangetrieben worden.
Dass das Tech Office vergleichsweise klein ist und dort kaum jemand in den luftigen Büros sitzt, darf niemanden verwundern. Denn mindestens so wichtig wie die Arbeit am Schreibtisch ist die Zeit am Mittagstisch oder am Tresen, sagt Rudolf Bencker. Er ist Leiter Inventionen und Innovationsmanagement der BMW Group und rühmt die Tech Offices vor allem als Knotenpunkte fürs Networking, wo jene Freiräume zwischen den Silos entstehen, die es in Webers Denke für Innovationssprünge braucht. Nicht umsonst sind in viele Projekte Partner involviert und nicht ohne Grund kommen zur Geburtstagsparty in Mountain View gefühlt mehr Mitarbeiter von Fremdfirmen als von BMW.
Zwar leisten sich die Bayern in Amerika für den Geburtstag eine kurze Auszeit. Doch viel Luft für Müßiggang bleibt nicht. Und dass die Neue Klasse zumindest für die Kollegen in Kalifornien fast schon wieder altes Eisen ist, rechtfertigt auch keine „Out of Office“-Meldung. Denn der Anspruch der Kunden wird nicht kleiner, sagt Weber und es ist wirkt ein bisschen so, als sei es für ihn Frust und Freude, Ansporn und Anstrengung zu gleich. Denn mit jeder Innovation schüren sie die Erwartung an die nächste. „Das Leben muss für viele zum anhaltenden und dauerhaften Erlebnis werden und wir müssen dazu unseren Teil beitragen,“ sagt Weber und erklärt damit, weshalb seine Kollegen mit Meta-Brillen auf der Nase um den Block fahren oder in der Mixed Reality einen realen M2 über eine virtuelle Rennstrecke schicken, während der Sportwagen doch eigentlich nur über einen leeren Parkplatz fährt. Grenzen der Vorstellungskraft werden dabei kaum mehr akzeptiert – erst recht nicht hier im Silicon Valley mit seinem unerschütterlichen Can-Do-Spirit: „Wenn wir vom fliegenden Auto sprechen würden“, sagt Weber und zuckt dabei hilflos mit den Schultern, „dann würde hier keiner unsere ernsthaften Absichten bezweifeln. Sondern die einzige Frage wäre, wann wir denn endlich so weit wären.“