Das klassische Mietwagengeschäft von Sixt ist längst nur noch eine Säule neben Share-, Ride- und Abo-Angeboten. Welchen Anteil haben Sie persönlich am neuen Gesicht von Sixt?
Wir verstehen diese Transformation als Reise. Da stehen wir sicherlich noch ganz am Anfang. Der Markt wird sich in den kommenden Jahren massiv verändern, so viel ist klar. Und wir wollen uns dieser Herausforderung nicht nur stellen, sondern den Wandel aktiv gestalten. Die Diskussion, wer welchen Anteil daran hat, halte ich aber für verfehlt an dieser Stelle. Bei uns ist es wirklich so: Vom Vorstand über die Entwickler bis zu unseren Mitarbeitern am Counter tragen alle diese Vision mit.
Wie zahlen die vier Säulen auf den Umsatz von Sixt ein?
Sie müssen verstehen: Mit Sixt Rent, Sixt Share, Sixt Ride und unserem Abo-Modell Sixt+ bieten wir ja ein Gesamtkonzept für die Mobilität. Zwischen den einzelnen Angeboten gibt es eigentlich keine großen Unterschiede. Sicherlich unterscheidet sich die Dauer der Nutzung und ob der Kunde selbst fährt oder gefahren wird. Aber aufgrund der digitalen Vernetzung wachsen die Produkte letztlich stark zusammen. Wir nutzen ja auch eine große, digital vernetzte Flotte. Hinzu kommen Cross-Selling-Effekte: Jedes neue Angebot steigert die Attraktivität der gesamten Marke. Sie sehen: Die Unterscheidung der vier Säulen existiert eigentlich nur schematisch. Faktisch sehen wir unglaublich viele Kunden, die alle unsere Produkte nutzen.
Inwiefern?
Nehmen Sie die Akquisekosten pro Kunde: Früher wurden diese transaktional auf die Vermietungskosten eines Fahrzeugs gerechnet. Heute haben wir auf den sogenannten Customer Lifetime Value umgestellt. Durch die Vielzahl der Produkte, die wir im Angebot haben, generieren wir ja einen ganz anderen Wert. Damit sinken natürlich die Akquisekosten. Der typische Kunde von Sixt hat früher zweimal im Jahr ein Auto gebucht – einmal zuhause und einmal im Urlaub auf Mallorca. Heute halten wir den Kunden dauerhaft in unserem Ökosystem. Wir haben ja bewusst eine Plattform geschaffen, mit einem Login, einer Zahlungsmethode, ohne Absprünge auch bei Drittanbietern. Und jedes Angebot, das wir hinzufügen, erhöht die Relevanz für den Kunden.
Apropos Ökosystem: Immer mehr Autohersteller fühlen sich als digitale Unternehmen, nur weil sie neue Fahrzeugmodelle mit mehr Elektronik und Software ausstatten. Mit welchem Selbstverständnis operiert Sixt?
Zunächst finde ich, dass man die Transformation der Autobauer nach meinem Geschmack oft etwas zu klein redet. Was in Wolfsburg, München und Ingolstadt passiert ist schon bemerkenswert und sehr komplex. Mein Gefühl ist, dass da derzeit die richtigen Personen am Steuer sitzen, die verstanden haben, wohin die Reise hingehen muss. Ich bin froher Hoffnung für die deutsche Autobranche, auch wenn es jetzt sicherlich noch einmal an die unternehmerischen Reserven geht. Was unser Selbstverständnis betrifft, fällt mir gerade ein Zitat von unserem Strategievorstand Alexander Sixt ein, der mal gesagt hat: Wir sind ein Autohinsteller, kein Autohersteller. Das beschreibt unser Selbstverständnis ganz gut und schließt das Thema Software und IT mit ein.
Haben Sie Beispiele für uns, welche Produkte noch kommen werden?
Wir sind ja momentan schon im Bereich Mikromobilität über die Integration des E-Scooter-Anbieters Tier aktiv. Da sehen wir aber noch weiteres Potenzial. Im Bereich Ridehailing wollen wir gerade im Ausland unseren Footprint noch ausbauen. Und letztlich geht es uns auch nicht nur darum, dass wir weitere Mobilitätsanbieter sozusagen „unten“ mit reinnehmen in unser Angebot, sondern dass wir „oben“ als White-Label-Lösung unser Gesamtangebot auch weiteren Partnern zur Verfügung stellen.
Jetzt wird es interessant …
Die Plattform war von vornherein so konzipiert worden, dass sie unten offen ist für Partner, die Interesse daran haben, ihre Produkte in unserem Portfolio zu präsentieren. Gleichzeitig wollen wir unsere Plattform anderen Unternehmen anbieten. Für die Fluggesellschaft Etihad Airways haben wir beispielsweise unseren Ride-Bereich in deren Aftersales-Buchungsmaske integriert. Und für Audi haben wir den On-Demand-Service aufgesetzt, der im Grunde den Rent-Aspekt abbildet. Aktuell sind wir mit weiteren Partnern im Gespräch – sei es für die Integration einzelner Verticals als White-Label-Lösung oder aber als Angebot über die ganze Bandbreite.
Was ist für Sixt lukrativer?
Beides zahlt sich für uns aus. Neue Angebote im Portfolio erhöhen die Relevanz für unsere Kunden. Das hat natürlich Abstrahleffekte auf unsere Autovermietung. Nebenbei bemerkt ist das noch immer klar unser Kerngeschäft und generiert die größten Umsätze. Und White-Label-Kunden zahlen sich natürlich aus, weil wir damit über andere Kanäle Transaktionen generieren.
Die geografische Expansion ist eines der erklärten Ziele von Sixt. In Deutschland und Europa ist die Ihr Angebot natürlich verfügbar. Wie steht es um die USA?
Wir sind auch in den USA vertreten, allerdings nicht mit allen Angeboten. Wir haben unseren Fokus auf bislang ganz klar Deutschland gelegt. Zudem kommen jetzt die Benelux-Staaten hinzu. Aber vor allem im Ride-Bereich schauen wir auf Märkte außerhalb von Europa, in den USA zum Beispiel gemeinsam mit Lyft als Partner. Mit dem Ride-Hailing-Anbieter haben wir gerade erst eine Rückwärtsintegration implementiert. Künftig wird nicht nur das Lyft-Angebot über unsere Plattform buchbar sein, sondern auch unser Mietwagengeschäft über die Lyft-App. In den USA wächst Sixt aber auch im klassischen Geschäft: Wir haben gerade die Konzession für zehn wichtige Flughäfen übernommen, unter anderem Boston, New York, Hawaii, aber auch Denver und Houston. Das ist für uns natürlich ein Riesenschub, wenn wir Kunden in den Vereinigten Staaten nicht nur Off-Airport bedienen können.
Blicken Sie auch Richtung Asien?
Wir haben verschiedene Franchise-Partner im asiatischen Raum. Allerdings nicht in China. China ist kein klassischer Autovermietungsmarkt und die Player in den anderen Mobilitätsthemen, etwa Didi Chuxing und noch einige andere, sind einfach sehr dominant. Ich denke, dass wir in absehbarer Zeit nicht auf dem chinesischen Markt agieren werden und uns mit unserem Ökosystem weiter auf Europa und die USA konzentrieren.
Wann und warum reifte denn die Entscheidung, sich auch auf den umkämpften Markt der neuen Mobilitätsdienste zu wagen?
Nach meinem Verständnis sind wir schon immer ein Mobilitätsdienstleister gewesen. Bislang mit einem etwas anderen Portfolio, sicher. Aber wir fragen uns immer, mit welchen Spielarten der Mobilität wir uns beschäftigen müssen. Mit Blick auf die Konkurrenz haben wir meiner Meinung nach drei entscheidende Vorteile. Der erste ist, dass wir bereits eine Marke haben, die für Mobilität steht. Aus eigener Erfahrung bei DriveNow weiß ich, wie teuer und aufwendig es ist, eine Marke im Premiumsegment aufzubauen. Der zweite Punkt ist: Wir kommen ja aus einem profitablen Geschäftsmodell. Dadurch sind wir natürlich nicht darauf angewiesen, unsere laufenden Kosten aus Kommissionen zu decken. Das macht Gespräche mit Partnern leichter, weil man erstmal in Ruhe eine gemeinsame Basis schaffen kann. Und drittens verfügen wir bereits über eine der größten Fahrzeugflotten weltweit, die wir aufgrund ihrer Vernetzung flexibel der Nachfrage anpassen können. Die bereits vorhandene IT- und Prozessstruktur kommt noch hinzu.
Schauen wir auf den deutschen Mobilitätsmarkt: Uber hat es hierzulande schwer und kämpft mit der Bürokratie. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht? Oder ergibt sich das Problem für Sie nicht, weil Sie mit Partnern arbeiten, die diese Diskussionen bereits hinter sich haben?
Sie haben die Frage tatsächlich schon beantwortet (lacht). Wir haben uns ganz bewusst für das Taxigewerbe als Partner für unser Ride-Produkt entschieden, weil wir genau diese Problematik erkannt haben. Erstens ist es schwer, solche Angebote im Regulierungsrahmen selbst umzusetzen. Ein Punkt ist aber auch, dass das Taxi in Deutschland einen ganz anderen Status hat im Vergleich zu anderen Ländern. Die Flotte besteht zum großen Teil aus Premiumfahrzeugen, nicht zu vergleichen mit den USA zum Beispiel. Deshalb schauen wir im Ausland für unser Ride-Geschäft eher: Wer ist der lokale Champion, wer erfüllt unseren Premiumanspruch? In den USA ist das Lyft, in Großbritannien Addison Lee, in Spanien Cabify. Aber in Deutschland haben wir ein klares Bekenntnis zum Taxigewerbe.
Wo entsteht da die Wertschöpfung?
Wir bekommen eine klassische Vermittlungsprovision. Aber es geht uns wie gesagt auch nicht darum, ein einzelnes Geschäftsmodell tragfähig zu bekommen. Wir wollen unseren Kundenstamm auf der Plattform vergrößern. Kunden, die dann auch unser Mietwagengeschäft oder andere Produkte nutzen, weil sie den Einstieg in unser Ökosystem schon gefunden haben. Unsere Partner profitieren letztlich von weiteren Transaktionen. Eine klassische Win-win-Situation.
Entwickelt Sixt seine Software inhouse und wie groß ist ihr Entwicklerteam?
Ja, wir entwickeln intern. Unsere IT ist auf drei Entwicklungszentren aufgeteilt: Bangalore, Kiew und hier in Pullach. Wobei wir uns um das Frontend primär hier vor Ort kümmern. Wir sprechen von etwa 600 bis 800 Mitarbeitern über alle drei Standorte hinweg. Wir sagen inzwischen gern, wir sind ein Softwarehaus mit angebundener Autovermietung (lacht).
Wie schnell verändert sich die Sixt-App? Schicken Sie im Zwei-Wochen-Rhythmus Updates raus?
Wir haben kürzere und längere Releasezyklen. Da wären wir wieder beim Thema Trial and Error. Das Schöne an einer App ist ja, dass man ganz schnell und unkompliziert Dinge ausprobieren kann. Übers Tracking sehen wir, ob Änderungen ankommen oder ob wir die Funktion besser wieder rausnehmen sollten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Zuletzt haben wir eine Funktion aufgesetzt, die „City Search“ heißt. Bislang wurde der Kunde in unserer App eher zu einer bestimmten Vermietstation auf Basis der geringsten Entfernung dirigiert. Aber viele Kunden haben gar keine Präferenz für eine bestimmte Station, sondern sind eher preisgetrieben. Dafür haben wir jetzt eine neue Umkreissuche aufgesetzt, die sämtliche Stationen und ihre Angebote anzeigt. Das sind so kleinere Themen, die wir sehr kurzfristig einspielen können. Da deployen wir teilweise täglich. Ein App-Relaunch oder die Integration eines neuen Verticals sind natürlich langfristiger geplant.
Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Coronasituation. Geteilte Fahrzeuge und ein grassierendes Virus vertragen sich nicht sehr gut. Wie navigieren Sie durch die Coronazeit?
Mit einer Mischung aus guter Kommunikation und Maßnahmen. Wir stellen die Sicherheit unserer Kunden, Mitarbeiter und Partner immer in den Vordergrund und halten uns streng an die Vorgaben und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der WHO. Konkret haben wir die Reinigungszyklen und Desinfektion unserer Flotte angepasst. Letztlich ist es aber eine Frage des Vertrauens. Wir müssen dem Kunden deutlich machen, dass das Risiko mit den entsprechenden Hygienekonzepten überschaubar ist. Ich bin ja selbst Kunde unserer Produkte und natürlich habe auch ich ein Interesse daran, mich nicht anzustecken. Was uns zugutekommt: Das Sicherheitsgefühl in einem Fahrzeug ist aktuell natürlich höher als zum Beispiel in einem Bus oder der U-Bahn.
Sie sagen es: Der ÖPNV wird derzeit gemieden. Befürchten Sie coronabedingt einen Mentalitätsrückschritt in der Bevölkerung zurück zum eigenen Pkw?
Ich denke, das ist eher ein mittelfristiger Effekt. Der ÖPNV ist als Verkehrsmittel in Städten unverzichtbar. Sobald sich die Situation wieder etwas normalisiert, würde der innerstädtische Verkehr allein mit Autos zusammenbrechen. Ohne den ÖPNV geht es nicht.
Unabhängig von Corona spielen nicht wenige Städte mit dem Gedanken, Autos aus ihrem Zentrum zu verbannen ...
Ich denke, wir haben einen entscheidenden Vorteil: Wir arbeiten gerade im Bereich Carsharing schon seit Jahren eng mit den Städten und Verwaltungen zusammen. Ich kann Ihnen sagen: Sixt wird als Teil der Lösung wahrgenommen, nicht als Teil des Problems. Wir haben immer gesagt: Wenn wir unser Angebot ausrollen, dann machen wir das grundsätzlich mit der Stadt, nicht gegen sie. Das hat bisher gut funktioniert. Teilweise werden wir von Städten kontaktiert, um Lösungen zu finden oder Erfahrungen zu teilen.
Geht es dabei auch um Daten?
Da geht es auch um Daten aus unserer Flotte, klar. Die Stadt München zum Beispiel wollte von uns wissen, wie lange an bestimmten Hotspots unsere Fahrzeuge stehen. Da ging es um die Planung von Ladesäulen für Elektroautos: Wo müssen Schnellladesäulen errichtet werden, weil die Parkdauer in der Regel sehr kurz ist? Oder wo können AC-Säulen mit längeren Ladezeiten errichtet werden, weil die Fahrzeuge ohnehin länger stehen? An solchen Fragestellungen beteiligen wir uns natürlich gerne, weil wir schließlich so auch ein Ergebnis mitgestalten können. Wir haben ja selbst ein Interesse daran, dass an solchen Hotspots Ladesäulen stehen – schließlich haben wir bereits einen Elektroanteil von 25 Prozent in unserer Share-Flotte.
Zur Person:
Nico Gabriel steuerte in den vergangenen Jahren abteilungsübergreifend sämtliche New-Mobility-Themen im Sixt-Konzern. Von Juni 2018 bis September 2019 bekleidete er die Position als Bereichsvorstand Sixt X, im Anschluss die des Bereichsvorstands Mobility Solutions. Im Januar 2021 wurde er schließlich in den Vorstand berufen und agiert nun als Chief Operating Officer (COO). Gabriel kam bereits im November 2004 ins Unternehmen. Nach Stationen als Franchise Operations Manager und Business Development Manager beim Sixt-Franchisenehmer in Australien begann er im Jahr 2008, das spätere Sixt-Carsharing-Produkt vorzubereiten und zu implementieren. Von 2011 an war Gabriel Geschäftsführer von DriveNow und etablierte das frühere Joint Venture von Sixt und BMW als Innovationstreiber in der europäischen Mobilitätslandschaft.