Reinhard Stolle, Argo, Robert Henrich, Moia, Christian Senger, VWN, Verkehrssenator Anjes Tjarks vor einem ID. Buzz AD

In Hamburg präsentierten die Projektpartner den autonomen ID. Buzz, der noch dieses Jahr in einigen Stadtteilen der Hansestadt im Testbetrieb zu sehen sein wird. (Bild: Moia)

Winterhude, Uhlenhorst und Hohenfelde heißen die Stadtteile, in denen Hamburgs Bürger noch in diesem Jahr mit Kamera- und Sensorsystemen ausgestattete VW ID. Buzz erblicken können. Die von Volkswagen bislang noch nicht auf den Markt gebrachten elektrischen Bulli-Nachfolger sind Teil eines autonomen Ridepooling-Projekts von Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), der Mobilitätstochter Moia und dem Technologie-Startup Argo AI, mit dem der Wolfsburger Konzern schon seit einiger Zeit Automatisierungstechnologien erprobt. In Hamburg ist nun der Startschuss für die vierjährige Erprobungsphase gefallen, die 2025 in einem kommerziellen Betrieb mit Fahrgästen münden soll.

Dann soll in der Hansestadt ein autonomes, international skalierbares Ridepooling-System stehen, das nach dem Willen der Beteiligten einen wahrnehmbaren Beitrag zur Mobilitätswende leisten soll. „Wir richten das autonome Fahren ganz konsequent auf die Anforderungen des Klimaschutzes und eine höhere Lebensqualität in den Städten aus“, sagt Moia-CEO Robert Henrich bei der Präsentation der Projektziele. Die Technologie könne einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Ridepooling wirklich zum Durchbruch zu verhelfen. Denn dank Automatisierung werde der Flottenbetrieb deutlich effizienter, preisgünstiger und damit zugänglicher für breitere Gesellschaftsschichten, so Henrich. „Wir sehen hier Potenzial für die gesamte Gesellschaft.“

Selbstlenkende VW-Busse sollen Stadtverkehr meistern

Doch die muss sich erstmal gedulden. Denn noch sind die selbstlenkenden ID. Buzz technologisch noch nicht so reif, komplexe Verkehrssituation in urbanen Räumen komplett autark meistern zu können. Noch in diesem Jahr will das US-Unternehmen Argo zunächst „eine Handvoll“ Testfahrzeuge im manuellen Betrieb in den Hamburger Innenstadtbereich östlich der Alster schicken, um die Straßenzüge zu kartografieren und lokale Verkehrsvorschriften zu erfassen. Mit an Bord sind zwei speziell geschulte Sicherheitsfahrer, die das Mapping und die anschließenden Tests zum autonomen Fahren überwachen sollen.

„Wir wollen dahingehen, wo es für autonome Fahrzeuge schwierig wird“, sagt Moia-Chef Henrich. Man wolle das Ridepooling unter realen Bedingungen weiterentwickeln; die Stadtteile Winterhude, Uhlenhorst und Hohefelde böten dafür ideale Voraussetzungen, da sie über komplexe Straßenverhältnisse mit vielen verkehrlichen Herausforderungen verfügten. Das Testgebiet liegt darüber hinaus in der Nähe des Moia-Betriebshofs in Wandsbek, wo die aus circa 30 autonomen Fahrzeugen bestehende Testflotte ihren Ausgangspunkt haben wird. Das initiale Streckennetz soll über 50 Kilometer lang sein und während der Erprobungsphase kontinuierlich ausgebaut werden.

Mit welcher Technik sind die Robotaxis ausgestattet?

Damit die Ridepooling-Shuttles ab Mitte dieses Jahrzehnts Fahrgäste sicher von A nach B befördern können, gilt es für die Entwickler jetzt, das Zusammenspiel zwischen autonomem Fahrsystem – dem „Digital Driver“ –, der Sensorik und der HD-Karten auf den Straßen Hamburgs nach und nach zu optimieren. „Das fahrerlose Robotaxi ist angesichts der Komplexität der Operationen heute die größte Herausforderung für die Industrie“, betont Christian Senger, ehemaliger Software-Chef beim Volkswagen-Konzern und heute verantwortlich fürs autonome Fahren bei der Nutzfahrzeugtochter der Wolfsburger. „Das Fahrzeug muss in jeder Situation sicher, komfortabel und souverän reagieren können. Dafür braucht es in Sachen Umfelderkennung und Rechenleistung die höchsten technologischen Standards.“

Für die technologische Weiterentwicklung autonomer Technologien arbeitet VWN seit letztem Jahr mit Argo AI zusammen, in das zu gleichen Teilen auch US-Autobauer Ford investiert ist. Das mit ordentlich Entwicklungserfahrung ausgestattete Startup aus Pittsburgh hat in den ID. Buzz-Prototyp sein Self Driving System (SDS) installiert, das das Fahrzeug auf Autonomie-Level 4 heben soll. Erste Tests absolvierte der selbstlenkende Kleinbus, der im Namen nun auch ein „AD“ trägt, bereits auf einem Testfeld nahe München. Einen ersten Blick auf das Robotaxi konnte die Öffentlichkeit auf der IAA Mobility Anfang September werfen.

Warum Testfahrten alleine nicht ausreichen

Neben den realen Testfahrten auf abgestecktem Gelände und im Straßenverkehr entwickelt Argo auch im Labor: Dort werden die Software-Releases durch Simulation und Re-Simulation vorbereitet, ehe sie auf dem realen Testgelände mit komplexeren Situationen konfrontiert werden. Die Fahrzeuge verwenden eine Kombination aus Lidar-, Radar- und Kamerasystemen, die eine zuverlässige Umgebungserkennung in der unmittelbaren Nähe als auch in einer Entfernung von 400 Metern gewährleisten sollen. Besonderes Feature von Argo: Der patentierte Geiger-Modus soll in der Lage sein, selbst kleinste Partikel zu erkennen, sodass auch sehr schwach reflektierende Objekte erfasst werden können.

Id. buzz ad
Der umgebaute ID. Buzz verfügt über Lidar-, Radar- und Kamerasystemen, die eine zuverlässige Umgebungserkennung gewährleisten sollen. (Bild: Tiedemann)

Doch das sichere Manövrieren durch den hanseatischen Straßenverkehr allein macht die autonomen VW-Busse nicht zu einem echten Ridepooling-Shuttle. Die Entwickler stehen in den kommenden Jahren vor der Herausforderung auch die Betriebsabläufe und die Interaktion mit den Nutzern für einen autonomen Pooling-Service vorzubereiten. Dazu gehören beispielsweise die von Moia so bezeichneten „Fahrernebentätigkeiten“ – also solche Aktivitäten, die bislang von menschlichen Fahrern übernommen wurden.

Künftig muss der Digital Driver in der Lage sein, die richtigen Passagiere zu identifizieren, deren Anzahl zu checken und als Ansprechpartner in jeder Lage zu fungieren. Damit einhergeht auch die durch das neue Gesetz zum autonomen Fahren gestellte Anforderung, eine stetige Funkverbindung zu einer Leitstelle zu gewährleisten, die in Situationen, in der das autonome Fahrzeug nicht weiterweiß, eingreifen könnte. „Daher ist das einzige, was wir von Städten für unseren Dienst fordern, eine stabile LTE-Abdeckung“, erklärt Christian Senger.

Volkswagen bringt autonomes Fahren schrittweise

Bis in vier Jahren tatsächlich Hamburger den autonomen Ridepooling-Dienst nutzen können, gilt es für die drei Projektpartner offenkundig noch einige Probleme zu lösen. Dessen ist sich auch Senger bewusst: „Das autonome Fahren ist nichts, was von heute auf morgen überall zu Realität wird, das wird sich stufenweise etablieren.“ Der ID. Buzz AD sei ein Entwicklungstool, „mit dem wir den Beweis antreten wollen, dass der Digital Driver die Herausforderungen auf öffentlichen Straßen bewältigen kann und sich Passagiere mit einem Robotaxi sicher und komfortabel fortbewegen können.“

Während sich VWN, Moia und Argo in Hamburg also noch Zeit lassen, zeigt sich die Konkurrenz deutlich ambitionierter. In München wollen die Intel-Tochter Mobileye und Autovermieter Sixt schon im kommenden Jahr einen autonomen Taxidienst mit umgebauten Nio-Fahrzeugen in den Regelbetrieb bringen. Zwar noch mit begrenztem Programm und weiterhin einem Sicherheitsfahrer an Bord, doch, sollte die Zulassung vom KBA vorliegen, bereits ab 2022 über die Moovit-Plattform für jeden buchbar.

VWN-Manager Senger scheint dieser ambitionierte Plan nicht zu beunruhigen. „Wir wissen, dass wir nicht die ersten sind, die autonome Shuttles auf öffentliche Straßen bringen.“ Für Volkswagens Ex-Software-Vorstand sei viel wichtiger, wer es schafft, ein solches Konzept zu skalieren. „Es geht um das Zusammenspiel von Technologie und Mobilitätskonzept dahinter. Wir müssen digitales Fahrsystem, autonome Shuttles, Flotte und Buchungssystem als Gesamtlösung begreifen.“ Bis dahin stehen für die drei Unternehmen in Hamburg noch einige Jahre harte Entwicklungsarbeit an.

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