Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette

Rezepte für zukunftsfähige IT-Strategien

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Softwarekompetenz wird in der Autoindustrie immer wichtiger.
Softwarekompetenz wird in der Autoindustrie immer wichtiger.

Agilität für das Business sollte der entscheidende Treiber dafür sein, wie die IT aufgestellt wird. Erfolgreiche Bausteine dafür sind etwa DevSecOps und höchste Fachbereichsnähe. Noch ist das nicht in der ganzen Branche angekommen.

BMW hatte 2019 als einer der ersten OEMs seine IT-Strukturen in einem Kraftakt in Form eines initialen 100-Tage-Sprints auf agile Methoden ausgerichtet. Alle in der IT sollten ein einheitliches Zielbild verinnerlichen, auf das sämtliche Tätigkeiten einzahlen. Das war nicht für alle Mitarbeitenden einfach – dennoch erwies sich das Vorhaben als erfolgreich. „Wir haben festgestellt, dass die Strategie sehr stabil ist gegenüber dem, was in den letzten Jahren auf uns zugekommen ist“, erklärt BMW Group CIO Alexander Buresch. Ein Kernelement der Strategie bestand darin, die traditionelle Trennung zwischen IT und Fachbereichen aufzuheben. Zudem wurde die IT zunehmend in die Geschäftsstrategie integriert. „IT-Themen werden bei Businessentscheidungen von Anfang an berücksichtigt, und wir sind ein aktiver Prozesspartner. Das ist für mich einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren“, resümiert Buresch. Jährlich findet ein Review der IT-Strategie statt.

Große Mängel im Mittelstand

Ein Blick in die Branche und gerade auch auf die mittelständischen Zulieferer zeigt jedoch, dass auf dem Weg zu einer IT, die ein echter „Value“-Partner für das Kerngeschäft ist, in der Praxis noch viel Luft nach oben ist. „IT-Organisationen in der Automobilindustrie sind eher prozessual fokussiert – sprich eher langsamer als schneller – und sollen gleichzeitig aber Effizienzen heben. Es fehlt jedoch vielerorts an einem klaren Fokus auf Wirksamkeit und Wertbeitrag“, konstatiert Jan Wehinger, Partner beim Beratungshaus MHP. Gerade im Mittelstand fehle oft noch das Bewusstsein für notwendige strukturelle Veränderungen und die strategische Bedeutung einer IT, in der integrierte Teams die Business-, Technologie- und Organisationsperspektiven zusammenbringen.

Denn zu den zentralen Aspekten erfolgreicher IT-Abteilungen gehört neben der agilen Methodik vor allem die enge Verzahnung mit den Fachbereichen. Webasto-CIO Thomas Mannmeusel berichtet etwa, dass neue Lösungen im Headquarter gemeinsam mit den Standorten entwickelt werden, unterstützt durch Teams in den Werken, die ganzheitlich für ein Thema verantwortlich sind. „Durch dieses Setup gibt es eine enge Rückkopplung zwischen Zentrale und Standorten – das hilft uns an vielen Stellen. Gleichzeitig haben wir in den letzten drei Jahren verschiedene technische Disziplinen, die bei uns früher getrennt waren, zu sogenannten Produktteams zusammengeführt“, so Mannmeusel.

Ein Kulturwandel ist nötig

Eine weitere Veränderung ist mit dem Software-Defined Vehicle verbunden. Gerade weil immer mehr IT und Software ins Fahrzeug gewandert sind – und das auch weiterhin der Fall ist – verändern sich die Anforderungen. „Wir bewegen uns gerade zwischen fachbereichsnaher Aufstellung von Produkt- und Ablauforganisationen und übergreifenden Wertschöpfungs-Streams. Unternehmen sollten umdenken, Silos aufbrechen und verinnerlichen, dass nicht die Hardware führend ist, sondern die Software bestimmt“, stellt Wehinger fest. Hier gelte es, Security im Rahmen von DevSecOps schon von Beginn an mit zu berücksichtigen.

Beim Thema Agilität insgesamt haben viele Organisationen noch viel Potenzial. „Aus meiner Sicht wird Agilität nach wie vor zu kurz gedacht und häufig nur als ein Methodenset verstanden. Es geht vielmehr um einen kulturellen Shift und ein passendes Organisationsprinzip“, mahnt Jan Wehinger. Diesen Kulturwandel hält auch die Untersuchung Automotive IT Strategy 2024 von Deloitte für nötig, folgert jedoch, dass es an der organisationsweiten Adaption agiler Methoden hapert. Die Autoren schreiben: „Traditionell begann die agile Transformation innerhalb der IT-Abteilung. Um jedoch ein wirklich agiles Unternehmen zu werden, muss die gesamte Organisation ein agiles Mindset verinnerlichen – mit Fokus auf Produkte und Kundenbedürfnisse.“

Aus Sicht von Wehinger werden neben dem Wandel zur IT als Wertschöpfungspartner auch die technologische Unabhängigkeit und das Thema Sovereign Cloud immer wichtiger. „Ziel ist es, sich unabhängiger von geopolitischen Einflüssen zu machen und die digitale Souveränität zu stärken“, so der Experte. „Seit einiger Zeit gibt es in vielen Teilen der Welt den Trend zur Abkehr von globalen Strukturen. Es entstehen zunehmend wirtschaftspolitische Blöcke mit verschiedenen rechtlichen Vorgaben, und auch die Kundenanforderungen werden differenzierter. Dadurch funktionieren globale Standards nicht mehr so wie früher“, sagt Thomas Mannmeusel etwa mit Blick auf globale ERP-Templates.

Ende der Abteilungsgrenzen

Ein wesentlicher Aspekt für viele IT-Strategien ist darüber hinaus – nicht zuletzt angesichts der schwierigen Marktlage – die Komplexitätsreduktion. Dazu gehören Systemharmonisierung, Standardisierung und die Entscheidung für Plattformen. Auch über zentrale, dezentrale und hybride Strategien wird weiter kontrovers diskutiert.

Thomas Mannmeusel rechnet damit, dass Abteilungsgrenzen und funktionale Strukturen in den nächsten zehn Jahren neu definiert werden: „Aktuell versuchen wir, die komplexen Herausforderungen mit virtuellen Strukturen und Matrixorganisationen zu lösen – ein Versuch, die funktionale Abteilungsstruktur beizubehalten, aber trotzdem funktionsübergreifend zu arbeiten. Das ist eine Art Quadratur des Kreises.“ Der Webasto-CIO geht davon aus, dass man Abteilungen künftig stärker lösungsorientiert organisieren wird. „Organisationen müssen in übergreifenden Wertschöpfung-Streams arbeiten. In diesem Zusammenhang kommen auch Liquid Organizations in Frage – flexible Strukturen, horizontal gedacht mit multidisziplinären Teams, die an Projekten arbeiten und sich nach Zielerreichung wieder auflösen“, nennt Wehinger einen möglichen methodischen Ansatz.

Ein weiterer Umbruch entsteht durch GenAI. Sie ermöglicht nicht zuletzt, dass immer mehr Fach-User selbst Lösungen ohne Programmier-Skills und Unterstützung der IT-Abteilung schaffen können. „Dadurch wird die heutige Rolle der IT aufgeweicht. Sie ist nicht mehr der Gate Keeper, sondern eher Begleiter, Regisseur oder Kurator von IT-Portfolien“, folgert Wehinger. Er rät: Unternehmen sollten dabei auf das Thema Governance Security und auf neue Formen des Test-Engineerings setzen.