Die Geste des vollbärtigen Manns in seinem weißen Mercedes T-Modell ist eindeutig, als er den Volvo Polestar sieht: Daumen hoch. Klar, wenn es um die Optik geht, ist der Polestar 1 ganz vorne dabei. Der Plug-in-Hybrid gibt das klassische Coupé ohne viele Schnörkel oder Schnickschnack - einfach elegant und ansehnlich. Dazu kommt noch jede Menge Dampf: Die Systemleistung beträgt 448 kW / 609 PS und das maximale Drehmoment brachiale 1.000 Newtonmeter. Die Beschleunigung von null auf 100 km/h dauert 4,2 Sekunden und der Polestar 1 ist maximal 250 km/h schnell. Volvos Elektro-Tochter darf, was der Mutter verboten ist - schneller als 180 km/h zu fahren.

Auf freier Straße macht das schon einmal Laune und wir konnten die angegebenen Werte verifizieren: Bei 255 km/h auf dem Tacho wirft die Elektronik den Anker. Im täglichen Einsatz verliert die Höchstgeschwindigkeit an Relevanz, das Durchzugsvermögen und der Komfort rücken in den Fokus. Ersteres ist im Überfluss vorhanden. Vor allem, wenn die vier Motoren zusammenarbeiten - ja, Sie haben richtig gelesen, vier: Zwei E-Maschinen mit jeweils 85 kW / 116 PS schieben an der Hinterachse an und helfen, mit dosierter Krafteinteilung, den Polestar um die Kurve zu wuchten. Warum wir das Wort "wuchten" verwenden, zeigt der Blick auf das Datenblatt. Der schöne Asia-Schwede ist trotz des Einsatzes von Kohlefaserverbundstoffen mit einem Kampfgewicht von 2.350 Kilogramm ein ziemlich feistes Kerlchen und das Gewicht merkt man spätestens in schnellen Kurven. Dafür belohnt der Polestar den Fahrer dank der 34-Kilowattstundenbatterie mit einer elektrischen Norm-Reichweite von 125 Kilometern. Vorne werkeln ein Turbo-Vierzylinder mit 227 kW / 309 PS und ein kräftiger integrierter Starter-Generator mit 52 kW / 68 PS, der bei Bedarf ebenfalls Kraft zum Vortrieb beisteuert.

Rein elektrisch ist das Plug-in-Hybrid immerhin bis zu 160 km/h schnell. Aber dann leeren sich die Akkus genauso schnell wie ein wohlschmeckendes Kaltgetränk im sommerlichen Biergarten. Dennoch ist elektrisch einiges möglich: Wir kamen 78 Kilometer weit und auch der kombinierte Verbrauch von 8,2 Litern pro 100 Kilometer kann sich für ein derart leistungsstarkes Fahrzeug durchaus sehen lassen, zumal wir auch schneller auf der Autobahn unterwegs waren. In der Stadt mit einem höheren elektrischen Anteil fällt der Wert weiter. Die von Polestar angegebenen 0,7 l/100 km sind nur fast durchgängig elektrisch zu erreichen. Wenn die Akkus leer sind, engagiert sich der Verbrennungsmotor mehr. Das erledigt dieser souverän, aber nicht ganz mit der Verve, die vorhanden ist, wenn alle Triebwerke zusammenarbeiten. Auch die Geräuschkulisse wird ein wenig lauter und der Verbrauch schnellt locker um mehr als einen Liter nach oben. Wenn man die Akkus im Power-Fahrmodus mithilfe des Verbrenners vollpumpen will, stehen dann schnell mal 19,6 l/100 km im Bordcomputer-Display. Das zeigt einmal mehr, dass ein PHEV nur wirklich Sinn ergibt, wenn man die Batterien zuverlässig und regelmäßig mit Strom füllen kann. Das bringt uns zur Ladeleistung: Bei Wechselstrom liegen maximal elf kW an und es vergehen gut drei Stunden, bis alle Zellen voll sind, beim Gleichstrom-Tanken ist das Ganze dank 50 Kilowatt in weniger als einer Stunde erledigt.

Schwächen im Detail

Die Rekuperation ist in acht Stufen einstellbar, indem man den Ganghebel nach links oder rechts schiebt. In der stärksten Variante ist die Verzögerung deutlich spürbar und mit vorausschauendem Fahren kann man so die analoge Bremse größtenteils in den Ruhestand schicken. Apropos Automatik: Eine Eigenart des Polestar ist, dass man die Automatik schrittweise bedienen muss, also nicht einfach von "D" auf den Rückwärtsgang wechseln kann. Solange die Akkus voll im Saft stehen, ist das Fahren mit Polestar 1 ein großes Vergnügen. Allerdings schaffen es auch die guten variablen Öhlins-Dämpfer nicht, das Gewicht zu kaschieren: Der Polestar 1 ist eher ein Vertreter des sportlich straffen Fahrwerks. Passt zur Sportlichkeit. Bei der Lenkung haben es die Schweden etwas übertrieben, da sie schnell aus der Mittellage anspricht. Bis man sich daran gewöhnt hat, wirkt das Fahrverhalten nervös.

Wer will, kann die Lenkung und andere Parameter selbst konfigurieren. Bei der Bedienung gibt Polestar nach besten Kräften den Tesla-Klon. Der Großteil erfolgt über den großen zentralen Touch-Screen in Kombination mit den Bedienelementen am Lenkrad. Mit ein bisschen Übung findet man sich auch in den Menüs zurecht, allerdings könnte die Rechengeschwindigkeit des etwas höher sein. Ziemlich cool ist die Tatsache, dass beim Start die Assistenzsysteme wie bei einer Checkliste des Piloten über das zentrale Display scrollen. Sicherheit wird beim Polestar 1 großgeschrieben. Seien es die sieben Airbags oder Assistenten, die den toten Winkel überwachen oder beim Dahingleiten beziehungsweise im Stau helfen. Doch das kann man bei einem Auto, das gigantische 155.000 Euro kostet, auch erwarten. Was dagegen völlig unerwartet kommt, ist der billig wirkende Plastikschlüssel mit seinen fummeligen Tasten und den kleinen Symbolen. Richtig Platz ist im Polestar 1 ohnehin nur für zwei Erwachsene vorne und der Kofferraum ist mit einem Volumen von 143 Litern nicht der Rede wert. Zumal das Gepäckabteil noch durch die Tasche für das Ladekabel teilweise belegt ist und dann das Fassungsvermögen auf 126 Liter sinkt; aber der Blick durch die Plexiglasscheibe auf die orangen Kabelstränge entschädigt wenigstens ein bisschen. Auch die 360-Grad-Kamera liefert die Bilder der umstehenden Autos bisweilen nur verzerrt ab. Es ist halt wie im echten Leben: Einem Beau verzeiht man solche Nachlässigkeiten.

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