Herr Kollmeier, mit dem Electric Drive System (BEDS) 2.0, einer serienreifen modularen Plattform für Elektrofahrzeuge, sind Sie erstmals auf der Autoshow 2019 in Shanghai aufgetreten, zuletzt auf der IAA vor europäischem Publikum. Welche Ziele verfolgen Sie mit diesem E-Skateboard?
Grundsätzlich ist das Benteler Electric Drive System, also ein Rolling Chassis, für jeden Kunden interessant, der schnell in den Markt will, der auf der Suche nach einer skalierbaren modularen Lösung ist und dabei das Rad nicht neu erfinden will. So denken momentan vor allem die neuen, sehr agilen Fahrzeughersteller. Zum allerersten Mal haben wir das Electric Drive System übrigens 2017 in Shanghai präsentiert – damals noch als Prototyp. Mit diesem haben wir die Marktchancen einer solchen Plattform abgefragt. Aufgrund des sehr guten Feedbacks haben wir dann in den vergangenen zwei Jahren das serienreife Electric Drive System 2.0 entwickelt. Die Partnerschaften mit Herstellern wie Evergrande oder Automobili Pininfarina zeigen uns, dass wir weiterhin auf dem richtigen Weg sind. Sie sparen mit unserem Electric Drive System mehrjährige Entwicklungs- und Testzyklen. Und gehen schneller in Serie.
Was sind die technischen Finessen des Electric Drive Systems 2.0?
Das Electric Drive System 2.0 ist speziell für E-Mobilität konzipiert und beinhaltet verschiedene Funktionen, um die Anforderungen unserer Kunden in diesem Bereich zu erfüllen. Dazu gehören das integrierte Crash-Management und das komplette Batteriesystem, inklusive der Batteriekühlung. Hinzu kommen die elektrischen Achsen vorne und hinten, also das komplette Fahrwerk inklusive Motor, und natürlich das gesamte Thermomanagement. Wir integrieren auch weite Teile der elektrischen und elektromechanischen Fahrzeugarchitektur, wie beispielweise die Fahrzeugkontrollunit und die Lenkung. Hierfür arbeiten wir mit Bosch zusammen. Mit Bosch haben wir zu diesem Zweck eine Entwicklungskooperation gestartet.
Eine besondere Stärke des Benteler Electric Drive Systems ist seine Skalierbarkeit. Der E-Mobility-Markt zeichnet sich heute noch nicht durch die Volumina aus, die wir in der Automobiltechnik gewohnt sind. Und es wird womöglich auch noch einige Zeit dauern, bis sich das ändert. Autos mit Volumina unter 50.000 Stück mit einem Qualitätsniveau und einer Performance wie in großen Serien zu bauen, lässt sich fertigungs- und produktionstechnisch noch nicht abbilden, ohne dass man Geld verliert. Mit modularen skalierbaren Lösungen wie dem Electric Drive System lassen sich hingegen verschiedene Segmente und Fahrzeugtypen relativ schnell umsetzen. Beispielsweise, indem sich recht einfach die Radstände verlängern und die Fahrzeugbreite variieren lassen.
Sie antworten damit auf den starken Bedarf bei OEMs nach skalierbaren, modularen Systemen. Wo gibt es weitere Schnittstellen, bei denen Sie Ihr Know-how einbringen?
Beim Benteler Electric Drive System gibt es natürlich Schnittstellen zum Gesamtfahrzeug, auch zur Karosserie. Wenn wir mit einem Kunden ein Auto entwickeln, dann denken wir immer auf Fahrzeugniveau, denn wir bieten unseren Kunden umfassendes Fahrzeug-Know-how entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Von der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Montage. Neben den Schnittstellen zur Karosserie bestehen noch weitere Schnittstellen, etwa zur Fahrzeugelektronik, zur Konnektivität oder im Bereich des Fahrwerks. Ein Netzwerk aus Kooperationspartnern ergänzt unsere Kompetenzen, wo es erforderlich ist. Neben Bosch ist beispielweise Vibracoustic Teil unseres Partnernetzwerks. Die Kooperation mit Vibracoustic ermöglicht es uns, Automobilherstellern geräusch- und schwingungsoptimierte Fahrwerkslösungen anzubieten.
Sie legen also bereits bei der Entwicklung einen starken Fokus auf die Fertigung. Wie sieht das konkret aus?
Es gibt grundsätzlich zwei Methoden bei der Entwicklung: Man kann etwas entwickeln, ohne Fokus auf die Umsetzbarkeit in der Produktion zu achten. Oder man entwickelt zusätzlich in Richtung Herstellbarkeit. Da wir Komponenten und Module selber produzieren, entwickeln wir fertigungsgerecht. Hier liegt eine unserer Kernkompetenzen: Unsere Kunden profitieren von unserer großen Materialexpertise, denn wir haben über 140 Jahre Erfahrung in der Verarbeitung von Metallen. Besonders fokussieren wir uns auf die Umform- und Fügetechnik. So arbeiten wir zum Beispiel mit Kaltfügetechniken, das heißt: Im Wesentlichen kleben wir die Karosserie und setzen auch sonst kalte Fügetechniken ein. Da die Karosserie nicht verschweißt wird, können wir sie wieder trennen. Ein wichtiges Thema ist die Reparatur eines Elektroautos. Ein Batteriepack muss jederzeit ausgetauscht werden können. Wir müssen unser Augenmerk daher zunehmend auf solche Belange richten. Fahrzeuge müssen auch im Aftersales-Bereich gut handhabbar sein. Mit der ersten Welle dieser Fahrzeuge hat man im Markt bereits einiges dazugelernt.
Mit dem Sportfahrzeughersteller Automobili Pininfarina und dem chinesischen Start-Up Evergrande haben Sie nun Kunden für Ihre Plattform gewinnen können. Wie sieht hier der weitere Fahrplan aus?
Das chinesische Unternehmen Evergrande unterzeichnete einen Vertrag über die Implementierung des Benteler Electric Drive Systems. Evergrande entwickelt auf Basis dieser Plattform die Rolling Chassis Architektur seiner geplanten Elektrofahrzeuge. Unser zweiter Partner ist Automobili Pininfarina, ein neuer Hersteller von Luxuselektrofahrzeugen. Das erste Modell, das Automobili Pininfarina auf Basis des Electric Drive Systems entwickelt, ist ein elektrischer SUV. Er soll 2022 auf den Markt kommen. Darüber hinaus führen wir bereits Gespräche mit weiteren möglichen Kunden. Wir sind überzeugt, dass wir mit unserem Electric Drive System einen relevanten Anteil am Markt erzielen werden.