Wie KI die Kostenkalkulation beschleunigt und präzisiert
KI kann auch bei der Kostenkalkulation helfen.
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Die Kostenkalkulation für neue Produkte oder im Änderungsmanagement ist in der Branche derzeit für viele ein wunder Punkt. In ersten OEM-Projekten kommt nun KI zum Einsatz, um Kosten und Aufwand zu prognostizieren.
Durch den oft beschworenen „China Speed“ steigt insbesondere
der Druck auf Produktentstehungsprozesse. Die passende Antwort kann nur lauten,
durch Technologieeinsatz die Prozesse zu verkürzen und Kosten zu verringern,
ist sich Philipp Wibbing sicher, Vorstandsmitglied beim Beratungshaus Unity.
Momentan sei man in Automotive-Projekten dabei, hier einzelne Use Cases
miteinander zu vernetzen, um größere Prozessstränge im Sinne von Agentic AI
zusammenzuziehen. „Durch GenAI lässt sich für Entwickler*innen überhaupt
schneller identifizieren, welche Änderungen auf welche Aspekte einen Einfluss
haben“, erklärt Roman Dumitrescu, Direktor am Fraunhofer IEM (Institut für
Entwurfstechnik Mechatronik) und Professor für Advanced Systems Engineering an
der Universität Paderborn. Teilweise sei es bereits möglich, den Modellen
entsprechende Fragen zu stellen.
Die Folgen von Änderungen ließen sich bisher ohne
KI-Unterstützung aus Komplexitätsgründen schlicht nicht richtig durchspielen
oder durchsimulieren, konstatiert Dumitrescu. In der Automobilindustrie leide
man momentan mit am meisten darunter, dass es zu lange dauere, an den nötigen Erkenntnisgewinn
mit Blick auf das Produkt zu gelangen. Derzeit werde etwa in der Regel nach
Masse kalkuliert, nicht nach Komplexität eines Bauteils. Oftmals lägen den
Ingenieuren und Ingenieurinnen keine ausreichenden Daten vor. „Das können wir
mit GenAI viel exakter und auch in einer viel größeren Menge machen, sodass ein
deutlich besseres Bild entsteht“, so Dumitrescu. Dafür sorgt dem Experten
zufolge, dass einerseits sehr viel mehr Datenpunkte einbezogen werden können,
andererseits das auf Statistik beruhende, semantische Verständnis der Modelle,
auch „Attention“ genannt. Schon um ein Viertel besseres Prognostikwissen mache
ersten Projekten zufolge einen entscheidenden Unterschied.
Daten sind der
entscheidende Knackpunkt
„Wir sehen in den aktuellen Projekten, dass wir diese Hürde
erst einmal nehmen müssen, um die Daten, die wir haben, den Maschinen
verständlich zu machen“, berichtet Philipp Wibbing. Entsprechende KI-Ansätze würden
vergleichsweise halluzinationsfrei auf historischen Daten aus ERP und PLM
arbeiten, aber auch mit den Daten aus unzähligen selbstgebauten, oft
Excel-basierten Kostenkalkulations-Tools, die sich in der Branche finden. Die
Experten raten auch mittelständischen Unternehmen, jetzt die „Quick Wins“ mitzunehmen,
die sich mit der GenAI-Nutzung für Requirements-Abgleiche oder Kalkulation
erreichen lassen und den Grundstein für anspruchsvollere KI zu legen.
Kurz: Das Potenzial ist hoch, doch es braucht sinnvolle
Ansätze. „Man kann jetzt nicht mit GenAI auf die Daten losgehen – das wäre so,
als wolle man mit einem Düsenjet vom Kartoffelfeld starten“, scherzt
Dumitrescu. Gerade in der Entwicklung gelte, dass Daten immer noch eine
Herausforderung seien. „Interessanterweise kann die KI selbst uns jetzt auch
helfen, diese Daten in der für die KI nötigen Qualität, Transparenz und
Verbindung sicherzustellen. Auch Fragmentierungs- und Annotierungsprobleme
fokussieren wir momentan in unserer Forschungsarbeit sehr stark: Denn ohne
vernünftige Stammdaten wird es auch nichts mit der KI“, resümiert der
Fraunhofer-Experte. Künftig könne die KI sogar helfen, sehr viel leichter das
PLM-System zu wechseln, weil eine automatisierte Datenmigration möglich werde.
KI muss
Expertenwissen rezipieren
Die großen Potenziale entstehen aus Sicht von Philipp
Wibbing derzeit durch die Kombination von Generativer KI mit spezialisierten
Machine-Learning-Algorithmen. Während etwa Large Language Models stark im
Kontextverständnis und in der Sprachverarbeitung sind, aber nicht durch
mathematische Qualitäten glänzen, übernehmen klassische KI-Algorithmen die
präzisen Berechnungen.
Wenn beispielsweise ein Scheinwerfer geändert werden soll,
dann übernimmt GenAI die Suche am Markt und klärt, welche Regeln zu beachten
und welche Stellen in der Entwicklung betroffen sind. Die Schätzung des
Arbeitsaufwands auf Basis vorhandener historischer Zahlen erfolgt hingegen
mittels Machine Learning. „Bisher müssen die Expertinnen aus den einzelnen
Silos wie Fahrwerk, Karosserie, Innenraum selbst Zeit- und Kostenschätzungen abgeben, was mit hohem
Zeit- und Abstimmungsaufwand verbunden ist“, erläutert Wibbing. Wenn es
gelinge, diese Informationen in eine KI hineinzubringen, dann könnten jeweils
die Rahmenbedingungen definiert werden und das Ergebnis stünde praktisch auf
Knopfdruck zur Verfügung.
Eine praktische Herausforderung besteht jedoch darin, dass
Daten zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen Systemen gepflegt werden,
erläutert der Unity-Vorstand. Es gebe zum Beispiel Datenbanken, in denen in
einer frühen Designphase geplant wurde, wie viele Modelle gebaut werden oder
welche Modelle in welchen Märkten verfügbar sein sollen.
KI mit
Engineering-Expertise: Die nächste Stufe zünden
Hinzu kämen Prozessveränderungen. So findet die KI
vielleicht in einer Datenbank, in der mal Umrüstungen bei Testfahrzeugen
geplant wurden, nur Daten zu einem älteren Modell – weiß aber nicht, wo die
aktuellen Daten jetzt zu finden sind. Doch die KI soll natürlich alle
verfügbaren Daten rezipieren. „Dieses Expertenwissen ist für die KI derzeit
noch in keinem Datentopf zugreifbar und es wird bei gewachsenen Unternehmen nur
durch harte Arbeit gefunden“, stellt Wibbing klar. Alles, was man zum
Trainieren verwende, müsse zueinander stimmig sein. Gerade mit Blick auf die
Kostenkalkulation gelte es zudem, alle Daten auf einen spezifischen Zeitraum
wie Jahr X abzubilden.
Als weitere große Herausforderung für die
Industrieunternehmen in Deutschland sieht Roman Dumitrescu jedoch vor allem die
Anpassung der meist auf Software-Engineering ausgelegten KI-Modelle. Jetzt gehe
es darum, diese Modelle mit Engineering-spezifischem Wissen nachzutrainieren –
eine Aufgabe, die für einzelne Unternehmen im Grunde zu aufwendig sei.
„Eigentlich bräuchten wir in Deutschland eine Art offenes
Open-Source-Engineering-Modell, das als Layer über den bestehenden bekannten
LLMs liegt und ‚deutsches Ingenieurswissen‘ mitbringt – durch viele Unternehmen
gemeinsam entwickelt“, folgert Dumitrescu. Zusätzlich komme dann noch das
eigene Spezialwissen aus dem einzelnen Unternehmen hinzu. Hier nehme das Thema
digitale Souveränität stark an Bedeutung zu.