Was ist Catena-X?
Catena-X ist ein kollaboratives und offenes Daten-Ökosystem für die Automobilindustrie. Es vernetzt globale Akteure zu durchgängigen Wertschöpfungsketten. Gemeinsames Ziel ist ein standardisierter, globaler Datenaustausch auf Basis europäischer Werte. Ein Kernziel ist die Datensouveränität: Wer Daten zur Verfügung stellt, soll die Kontrolle behalten und individuell entscheiden, wer wie, wann, wo und unter welchen Bedingungen am Datenaustausch teilnimmt. Catena-X soll dabei für die sichere und zuverlässige Umsetzung sorgen.
Seit dem 16. Oktober 2023 ist Catena-X live. Damit haben die Initiatoren Wort gehalten. Ein halbes Jahr zuvor läutete das Team um Oliver Ganser, Vorstandsvorsitzender von Catena-X, auf der Hannover Messe die Beta-Phase ein. "Wenn man hier auf dem Stand schaut, sind die Hälfte internationale Partner", freute sich Ganser. Es sei besonders schön, dass das deutsche Projekt sehr schnell auch international akzeptiert wird. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck unterstrich im Rahmen der Messe, welchen Stellenwert das Projekt hat. „Catena-X ist das industriepolitische Leuchtturmprojekt für die Digitalisierung der Lieferketten“, so der Vizekanzler. Ein Jahr später: gleicher Ort, anderer Entwicklungsstand. Im Rahmen der Hannover Messe 2024 verkündet Catena-X den Anschluss von E2open. Die vernetzte Supply-Chain-SaaS-Plattform kommt mit einem großen Multi-Enterprise-Netzwerk daher und ist nun für Catena-X-zertifiziert. Bereits vor der Bekanntgabe der Kooperation sagte Oliver Ganser zu automotiveIT, dass E2open nicht in Konkurrenz zu Catena-X stehe. Denn die Plattform habe zwar viele Automobilhersteller in der Wertschöpfungskette, verfolge jedoch einen klassischen Ansatz und stoße in Bezug auf n-Tier-Fähigkeiten an ihre Grenzen. Umso glücklicher dürfte er nun über die Ausweitung von Catena-X in Richtung Amerika sein. Darüber hinaus existieren mittlerweile mehrere Use-Cases im Realbetrieb, wie beispielsweise im BMW-Werk Landshut. So weit so gut. Doch warum ruhen so viele Hoffnungen auf der Automotive-Cloud made in Germany?
Vier Anwendungsszenarien verdeutlichen die Potentiale der Kollaborations-Initiative: Erstens: Eine gemeinsame Verwaltung von Geschäftspartnerdaten. Sie soll eine effiziente Lösung zur Aktualisierung von Lieferantendaten ermöglichen. Zweitens: Traceability Apps versprechen eine durchgängige Rückverfolgbarkeit. Drittens: die Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette. Diese soll durch Lösungen unterstützt werden, die bei Steuerung und Berichterstattung helfen sollen. Das letzte Anwendungsszenario zielt auf die Kreislaufwirtschaft ab. Dabei sollen neue Kollaborationsmodelle und digitale Lösungen eine umweltschonende Mobilität und Ressourcenschonung fördern.
Wie hängt Catena-X mit Gaia-X zusammen?
Catena-X und Gaia-X arbeiten gemeinsam an einer sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur und teilen Werte wie Transparenz, Datensouveränität, Offenheit und Vertrauen. Die Zusammenarbeit umfasst die Harmonisierung von Architekturen, die Entwicklung und Integration von Referenzdiensten sowie harmonisierte Onboarding- und Zertifizierungsdienste. Catena-X ist kompatibel mit Gaia-X durch die ersten Catena-X Services, die von einem Gaia-X Betreiber angeboten werden.
Wie entwickelt sich Catena-X?
Die erste Betreibergesellschaft heißt Cofinity-X. Das Joint Venture aus zehn Partnerunternehmen aus der Automobilindustrie will die Umsetzung von Catena-X vorantreiben. Ziel ist es, Aktivitäten in Bereichen wie Nachhaltigkeit, Rückverfolgbarkeit oder Kreislaufwirtschaft effizienter zu gestalten. Cofinity-X könne beispielsweise das On-Boarding übernehmen, indem es Hilfestellung bei der Erstellung einer digitalen Identität in einem Datenraum leiste und Credential oder eine IP-Adresse vergibt, so Oliver Ganser.
Auf der Hannover Messe 2024 haben die Information Technology Promotion Agency Japan (IPA) und Catena-X im Rahmen einer Absichtserklärung vereinbart, bei der Vorbereitung und Bewertung von Proof of Concept (PoC) zur Interoperabilität zusammenzuarbeiten. Beispiele könnten Systemverbindungsmethoden, Verfahren zur Benutzerauthentifizierung, Methode der Datenübertragung, Semantiken und Datenmodelle sowie Datenzugangs- und Nutzungsrichtlinien sein. Bis Ende 2024 soll ein Ergebnis stehen.
Aktuell sind es vor allem die großen Unternehmen, die Catena-X bereits nutzen und beginnen, davon zu profitieren. Für Ganser ist dies der logische Ablauf beim Aufbau des Netzwerks. Catena-X diene nicht dem Peer-to-Peer-Austausch, sondern der Erstellung von Datenketten über mehrere Wertschöpfungsstufen hinweg. Eine Wertschöpfungsstufe werde erst bedeutsam, wenn klar ist, in welches Endprodukt sie eingeht bzw. wo sie startet und endet, so Ganser. Man beginne mit der Transformation, entweder von ganz unten oder von ganz oben, und baut die Kette nach unten auf. Mit Lieferanten wie Bosch, ZF, Schaeffler und Dräxlmaier, die große First-Tier-Lieferanten sind, folge der nächste Schritt darin, dass zum Beispiel ZF AG seine direkten Lieferanten einbinde.
Seit Ende Januar 2023 bietet Catena-X die Plattform für die Zusammenarbeit am Konsortialprojekt Future Sustainable Car Materials (FSCM). Unter der Leitung von BMW arbeiten dabei Forschungsinstitute und Unternehmen aus verschiedenen Branchen zusammen. Das Ziel: nachhaltige Materialien entwickeln und den CO2-Fußabdruck bei der Gewinnung und Verarbeitung von Materialien senken. Man will innovative Prozessrouten und Materialkonzepte entwickeln, die auf Recycling, biobasierte Wertstoffe und nachwachsende Rohstoffe setzen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Stahl und Aluminium, die einen großen Teil der CO2-Emissionen verursachen. Catena-X liefert einen digitalen Fingerprint der Materialien in einem einheitlichen Datenformat.
Catena-X will weltweit expandieren
Seit Mitte 2023 arbeitet das Team um Oliver Ganser mit Galia, einer französischen Initiative von 400 Partnern, zusammen. Mit den Franzosen bestehe eine sehr gute Zusammenarbeit, ebenso wie mit Schweden. Mit amerikanischen Firmen, die ein deutlich größeres Netzwerk als das in Europa haben, strebt Catena-X eine auf Augenhöhe basierende Kollaboration an, die, wenn alles gut läuft, Mitte des Jahres realisiert werden soll. "Mit China bin ich ebenfalls sehr zuversichtlich. Unsere Bemühungen, eine Lösung für und mit China zu finden, waren Thema unseres dritten Besuchs dort, da eine industrielle Wertschöpfungskette ohne China nahezu undenkbar ist und das Netzwerk ohne chinesische Beteiligung erheblich an Wert verliert", sagt Oliver Ganser. Man sei sehr daran interessiert, mit chinesischen Partnern eine Lösung zu finden, die aufgrund regionaler Anforderungen wahrscheinlich angepasst werden müsse. Dennoch zeigt Ganser sich zuversichtlich, bis Ende des Jahres regionale Andockstellen und Hubs etablieren zu können. Solch regionale Vertretungen sollen Catena-X in ihrem Land repräsentieren und die ersten Datenketten aktiv steuern. Das Ziel lautet, bis Ende des Jahres einen Ansatz und einen Vertrag für die großen Weltregionen, die für die Umwelt relevant sind, zu haben. "An diesem Ziel lasse ich mich gerne messen", so Ganser.
Darum setzt Volkswagen auf Catena-X
Volkswagen möchte in den Aufbau dieser Dateninfrastruktur seine Cloud-Erfahrung aus der Vernetzung des Fabrikverbunds einbringen und an Anwendungen von der Lieferkettenoptimierung bis zum Geschäftspartner-Stammdatenmanagement mitarbeiten. „Uns ist bewusst, dass wir nur in einer großen Community und mit einer Gruppe von gleichgesinnten Firmen lange Datenketten aufbauen können, die uns alle besser machen“, erklärte Frank Göller, Head of Digital Production bei Volkswagen, im Rahmen des Automobil Produktion Kongress. Insbesondere in Krisenzeiten habe sich innerhalb der Branche gezeigt, dass oftmals immense Manpower nötig sei, um für Ausfälle in der Lieferkette möglichst schnell adäquate Alternativen zu finden.
Über den Ansatz von Catena-X, mit Hilfe von einheitlichen Schnittstellen eine "single source of truth" für alle Partner zu schaffen, lasse sich dies sehr viel effizienter umsetzen als mit bestehenden Systemen, so Göller weiter. „Mit durchgehend verbundenen Datenketten vom Lieferanten bis zum Hersteller lassen sich zum einen Materialflüsse effizienter organisieren und damit Lieferengpässe frühzeitig erkennen“, ergänzt Murat Aksel, Volkswagen-Konzernvorstand für den Bereich Einkauf. „Zum anderen unterstützt uns die Digitalisierung dabei, Prozesse zur Einhaltung von Umweltschutz- und Menschenrechtsstandards zu stärken und die Lieferketten an diesen neuralgischen Punkten noch transparenter zu machen.“
Catena-X soll Ökosystem-Wildwuchs beenden
Klingt nach hehren Absichten, doch bis die Erkenntnis einer unternehmensübergreifenden Cloud-Plattform bei den wichtigsten Playern der Branche reifte, ist viel Zeit ins Land gegangen. In der Vergangenheit lieferten sich OEMs und Zulieferer eher ein Rennen, wer die beste in sich geschlossene Datenplattform vorweisen kann – ein Heer an Insellösungen war die Folge. Die einzelnen Ökosysteme waren zwar innerhalb der Konzerne logische Aufbauten, ihnen fehlte jedoch in der Regel die Anbindung zu externen Akteuren. In der global verzweigten Automobilindustrie mit kleinteiligen Lieferketten und diversen IT-Prozessen also eher ungünstig.
Als Tier-1-Zulieferer begegnet auch ZF im täglichen Austausch mit den Autoherstellern immer noch einer Vielzahl an unterschiedlichen Schnittstellen, zu denen die eigenen Services letzten Endes aber passen müssen. Der Wildwuchs an Ökosystemen könne in Zukunft mit Catena-X beendet werden, sagte Jürgen Sturm, CIO beim Friedrichshafener Unternehmen und gleichzeitig Vorstandsmitglied im Catena-X Automotive Network, auf dem automotiveIT-Kongress in Berlin.
Catena-X hilft, kleine Unternehmen zu integrieren
Gemeinsame Standards sollen dabei laut Sturm zu einer Harmonisierung in der gesamten Branche beitragen. Darüber hinaus würden Daten und künstliche Intelligenz zur Kernkompetenz der Branche werden, hebt der IT-Experte hervor. In multidisziplinären Teams sollen neue digitale Lösungen für alle Geschäftsfelder beim Zulieferer entwickelt werden. Während es in der Vergangenheit vorrangig darum ging, die Schatten-IT zu bekämpfen, fokussieren sich die Friedrichshafener aktuell auf ein neues Prozessmanagement. Dabei spielen Plattformen wie beispielsweise die Open Manufacturing Platform (OMP) eine entscheidende Rolle, um cloudbasierte Lösungen im gesamten Konzern zu etablieren. „Wir müssen in der Multi-Cloud-Umgebung anschlussfähig bleiben“, verdeutlicht Sturm beim Kongress.
Gleichzeitig ermögliche Catena-X eine bessere Integration mit kleineren und mittelgroßen Unternehmen, die zum Erfolg der deutschen Autobranche einen erheblichen Teil beitragen, ergänzte Sturm im Rahmen des Automobil Produktion Kongress. Insbesondere im Hinblick auf die Transparenz einer nachhaltigen Lieferkette müsse man niederschwellige Datenmanagement-Systeme anbieten können, die kleinere Unternehmen nicht überfordern. „Wir haben den Anspruch und das Ziel, über Ansätze der Standardisierung und der Interoperabilität ein offenes, kollaboratives Datenökosystem zu bilden“, so Sturm.
In Krisenzeiten soll die Verzahnung der Systeme künftig für bessere Planbarkeit sorgen. Während der Hochphase der Pandemie und des anhaltenden globalen Halbleitermangels hat sich gezeigt, wie anfällig die Lieferketten der Industrie für exogene Ereignisse sind. Eine grundlegende Vernetzung über eine gemeinsame Automotive-Cloud könnte dafür sorgen, dass in Zukunft ein drohender Ressourcenmangel frühzeitig erkannt wird und die Autobranche geschlossen gegensteuern kann. Denn im Wettrennen um das rare Gut der Halbleiter sind die einzelnen OEMs im Vergleich zu den großen Tech-Playern nur kleine Lichter und müssen sich hinten anstellen. Als Gesamtbranche wäre die Schlagkraft gegenüber anderen Industrien deutlich höher.
Warum entstand Catena-X?
Die Idee hinter Catena-X entstand 2020 aus der Notwendigkeit, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, die es den ermöglicht, Daten auszutauschen und zu nutzen, ohne sich über Datenschutz- und Sicherheitsfragen Gedanken machen zu müssen. Der Verein Catena-X Automotive Network e.V. wurde im Mai 2021 als rechtssichere Organisation und Träger der Marke Catena-X gegründet. Durch den Einsatz von Technologien wie Blockchain und Distributed Ledger wurde ein sicheres und dezentrales Daten-Ökosystem geschaffen. Dieses besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Komponenten wie Datenspeichern, Daten-APIs, Analysewerkzeugen und eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen, die es den Nutzern ermöglichen, Daten auf kreative und innovative Weise zu nutzen.
In den letzten Jahren hat sich Catena-X zu einem wichtigen Akteur im Bereich dezentraler Datenökosysteme entwickelt und wird von einer wachsenden Zahl von Organisationen und Einzelpersonen genutzt, die sich für einen sicheren, transparenten und nachvollziehbaren Datenaustausch einsetzen. Durch die Förderung von Innovation und Zusammenarbeit innerhalb des Catena-X-Ökosystems soll es weiterhin dazu beitragen, den Datenaustausch sicher, effizient und nutzerfreundlich zu gestalten.
Was heißt Catena-X?
Catena ist das lateinische Wort für Kette und das X symbolisiert das gesamte Netzwerk der Partner. Zusammen bezeichnet der Name das Netzwerk zwischen den Partnern der Automobilbranche entlang der Wertschöpfungskette.
Welche Unternehmen gehören zu Catena-X?
Die wichtigsten Automotive-Mitglieder bei Catena-X (Stand 05.06.2024):
Allgemeiner Deutscher Automobil-Club (ADAC)
Alexander Thamm GmbH
Audi AGBMW AG
BMW AG
Brembo S.p.A.
Continental AG
Denso Automotive Deutschland GmbH
Faurecia SE
Ford Werke GmbH
Hella GmbH
Magna International GmbH
Mercedes-Benz AG
Renault SAS
Robert Bosch GmbH
Schaeffler Technology AG & Co.KG
Siemens AG
Stellantis N.V.
Valeo Management Services GIE
Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA)
Vitesco Technologies GmbH
Volkswagen AG
Volvo Car AB
Volvo Purchasing Group AB
Witte Automotive GmbH
ZF Friedrichshafen AG