Marco Kollmeier und Johann Jungwirth

Marco Kollmeier, Geschäftsführer von Holon und Johann Jungwirth, Senior Vice President Autonomous Vehicles im "Mover" auf der CES 2023.

Herr Jungwirth, als wir auf der CES zusammen im neuen Holon Mover saßen, haben Sie sich ausgiebig umgeschaut. Wie oft haben Sie das Fahrzeug denn überhaupt schon gesehen?

Jungwirth: Ich habe ihn auf der CES das erste Mal live gesehen, er ist wirklich toll geworden. Natürlich kenne ich die Designs auf Papier, wir arbeiten immerhin schon über ein Jahr zusammen. Den Mover jetzt aber auch zu erleben ist fantastisch. Bisher hat die Zusammenarbeit mit Holon viel Spaß gemacht. Jetzt ist wichtig, die Erprobungsträger auf der Straße zu sehen. Erleben und Erproben sind letztlich am wichtigsten, um auf der Straße jeden Tag Fortschritte zu machen.

Herr Kollmeier, Anfang 2022 sprachen Sie im Interview mit automotiveIT noch vom Produktionsstart 2024. Jetzt peilen Sie 2025 an. Was ist passiert?

Kollmeier: Wir befinden uns in sehr volatilen Zeiten: geopolitische Krisen, Lieferengpässe, Logistik. Bei den notwendigen Vorlaufzeiten einer Industrialisierung müssen wir diesen Entwicklungen entsprechend Rechnung tragen. Und wir sind realistisch genug, dies zu akzeptieren. Das heißt, was wir nicht tun, ist aus Marketinggründen beim Produktionsstart 2024 zu bleiben, nur weil sich das besser anhört. Wir wollen sauber kommunizieren und keine Erwartungen erzeugen, die wir nicht bedienen können. Das ist unser Stil. Insofern haben wir den Produktionsstart verschoben – und machen dies auch transparent.

Welche Schritte müssen Sie bis dahin noch gehen? Was sind aktuell die größten Herausforderungen?

Jungwirth: Von der Technologieseite her sind die nächsten Schritte Erprobung, Validierung, Freigabe und dann die Zulassung sowie Genehmigung. Unser Mobileye Drive System mit Lidar-, Radar- und Kamerasensoren sowie Steuergerät steht. Das wird jetzt im gesamten Fahrzeugkonzept integriert. Es ist zwar ein neues Fahrzeug mit einem neuen Lenkungs- und Appsystem, die Integration ist jedoch kein Hexenwerk, Holon und wir wissen, wie es geht. Mit unserem NIO ES8 Robotaxi haben wir bereits gezeigt, wie die Integration gelingt. Das Gute ist, dass wir jetzt mit dem neuen Fahrzeug auf der Straße erproben. Am Ende geht es dann darum, den Regulierungsbehörden wie dem Kraftfahrtbundesamt zu demonstrieren, dass wir mindestens so sicher fahren wie der Mensch. Das schreibt das Gesetz vor und das stellen wir gemeinsam sicher.

Der "Mover" von Holon auf der CES 2023 in Las Vegas.
Der "Mover" von Holon auf der CES 2023 in Las Vegas. (Bild: Holon)

Vor rund einem Jahr hat Benteler die Zahl vergleichbarer People Mover als gering eingeschätzt. Schaut man sich auf der CES um, sieht man jedoch viele ähnliche Prototypen. Hat sich in einem Jahr so viel verändert?

Kollmeier: Das Momentum hat definitiv zugenommen. Als wir vergangenes Jahr sprachen, gab es eigentlich nur die üblichen Verdächtigen im Markt. Nun finde ich es sehr aufregend, dass auf der CES nicht nur wir unseren autonomen Mover gelauncht haben. Was ich wahrnehme – und das spiegeln uns auch unsere Kunden – ist unsere Klarheit: Wir sind mit die einzigen, die einen klaren Produktionsstart und -standort nennen. Als Industrie- und Fertigungsunternehmen sagen wir klar: Wir wollen das Fahrzeug bauen.

Jungwirth: Einige People Mover, die sich auf Grund geringer Fahrgeschwindigkeiten nicht in den fließenden Verkehr integrieren lassen, sind keine vergleichbaren Produkte. Das hören wir auch aus dem Markt, das Interesse ist einfach nicht mehr da. Was der Markt jetzt braucht, was Städte, ÖPNV-Anbieter und private Betreiber wie etwa Flughäfen wollen, sind Fahrzeuge, die sich im normalen Verkehr einfügen, weil sie agieren wie ein menschlicher Fahrer. Wenn ein gewisses Tempo erlaubt ist, muss das autonome Fahrzeug also auch so schnell fahren können.

Der People Mover hat zehn Sitzplätze und fünf Stehplätze. Wieso genau diese Größe?

Kollmeier: Die Größe ist eine bewusste Entscheidung. Wir haben aus dem Markt gesehen, dass der Wunsch nach kompakten Fahrzeugen höher ist als der Wunsch nach größeren Fahrzeugen. Das erscheint bei der Personenbeförderung erstmal widersprüchlich, aber der autonome Mover soll verstärkt im städtischen Raum fahren. Dieser Einsatzzweck ist vorrangig in der Nachfrage. Dafür wollen wir die bestehende, zum Teil auch enge Infrastruktur nutzen - für den Ein- und Ausstieg beispielsweise existierende Parkbuchten. Diese sind meist für normale Autos ausgelegt. Daher hat der Mover bewusst eine Länge von fünf Metern, die einem größeren Auto entspricht. Das war ein klares Feedback von vielen Städten und Betreibern.

Gibt es schon Pläne, auch größere oder kleinere Modelle zu bauen?

Kollmeier: Natürlich wird unser erster Holon Mover nicht der Einzige bleiben. Wir streben eine größere Version mit einer Kapazität bis 22 Personen an. Ein kleineres Modell ist noch nicht in Planung, weil ich glaube, dass es noch etwas dauert, bis die Zeit der Robotaxis gekommen ist. Auf Basis der Technologie denken wir stattdessen zudem über eine Cargoversion nach. Warum können wir das besonders gut? Weil wir einen sehr skalierbaren, modularen Ansatz haben. Wir haben die beiden Powermodule in Front und Heck und sitzen, salopp gesagt, eigentlich auf Nichts in der Mitte. Es befindet sich also keine Batterie drunter. Dadurch kann man sehr leicht die Karosserie skalieren, verlängern und dann ein Konzept bauen. Wir als Benteler wissen, wie man modular entwickelt. Das sagt sich immer leicht, ist aber eine der größten Schwierigkeiten der Entwickler. Das ist eine Kunst.

Welche Hindernisse gibt es, gerade in Deutschland noch zu überwinden?

Kollmeier: Es gibt nicht mehr Herausforderungen in Deutschland als woanders. Wir gehen erstmal nach Nordamerika, weil der Markt und die Nachfrage aus dem Privatsektor hier am größten ist. Zusätzlich wollen wir natürlich den öffentlichen Sektor bedienen. Uns freut aber, dass wir unheimlich viel positives Feedback aus Europa – insbesondere aus Deutschland – erhalten. So ist etwa das jüngst kommunizierte Projekt mit der Hamburger Hochbahn entstanden, das 1.000 Mover umfasst. Dies zeigt: Der Bedarf ist in Europa ebenfalls riesig. Wir haben Städteszenarien, die gehen sogar noch ein Stück weiter. Wir sprechen also plötzlich von Stückzahlen im vierstelligen Bereich, die Wettbewerber haben in den vergangenen zehn Jahren nicht einmal ein paar hundert Fahrzeuge hergestellt. Der Markt steuert auf eine Art Tipping Point zu: Die Nachfrage ist schon vorhanden, nur das Angebot fehlt. Jetzt kommt ein Angebot - und zwar ein solides.

Jungwirth: Die Herausforderung ist ja weniger die Nachfrage, sondern eher das bisherige Angebot. Holon wird daher Teil der Lösung sein – nicht nur als Konzept, sondern auch als Produkt und Marke. Es existiert eben kein vergleichbares Fahrzeug wie der Holon Mover.

Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass ohne die Kooperation mit Mobileye und Pininfarina das Fahrzeug nicht machbar gewesen wäre.

Kollmeier: Wir brauchen uns alle gegenseitig. Es gibt niemanden, der sich über die Partner stellt. Die Wertschöpfungskette beim autonomen Fahren ist so komplex und herausfordernd, dass jeder Teilnehmer gleichwertig gebraucht wird.

Jungwirth: Und wir ergänzen uns perfekt. Es gibt keine Überlappung, wir haben keine Wettbewerbsüberschneidung. Wir glauben, dass das der beste Weg ist, und fühlen uns beim Blick auf andere Anbieter von autonomen Fahrzeugen bestätigt. Wir profitieren gegenseitig von der Expertise aller Beteiligten.

Kollmeier: Wir wollen ein Fahrzeug bauen. Unsere Philosophie bei Benteler und Holon ist, dass jeder das macht, was er am besten kann. Dann kommt das Beste dabei raus. Die Zeiten sind vorbei, in denen gesagt wurde, dass alles, was nicht selbst entwickelt wurde, nichts taugt.

Welche Verhaltensweisen und Eigenschaften sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig, damit Kollaboration erfolgreich sein kann?

Kollmeier: Offenheit und Respekt vor der Expertise des anderen. Wir sind in keiner Konkurrenzsituation, sondern sehen, dass man sich wirklich helfen und ergänzen kann. Natürlich hat man mehr Kontrolle, wenn man etwas selbst macht. Die Frage ist dann aber, zu welchem Preis.

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