Auch wenn es nach vier Gewinnwarnungen und Rückrufaktionen so langsam wieder etwas ruhiger im Hause Daimler zu werden scheint, kann von Entspannung noch keine Spur sein. Ola Källenius hat auf der Guangzhou Motorshow im November seinen ersten Auftritt in Asien als Konzern-CEO. Von dem hängt viel ab und daher ist die Anspannung groß. Die Chinesen wollen gute Nachrichten und Visionen. Daher mit Källenius auf der Bühne: die Konzeptstudie des Mercedes Vision EQS, der einen Ausblick auf das elektrische Serienmodell geben soll, das Mitte 2021 seine offizielle Weltpremiere feiert. Nach seiner Enthüllung auf der IAA im vergangenen September rollt der EQS kurzfristig auf die Bühne der Tokyo Motorshow – schließlich muss die noch hinkende EQ-Familie in die Köpfe der potenziellen Elektrokunden gebracht werden. Da heißt es, Messeklinken zu putzen.
Sollte die kommende Mercedes S-Klasse an sich im Februar 2020 enthüllt werden, wurde die Premiere nunmehr auf den Frühsommer geschoben und auch der EQS kommt etwas später als geplant. Der Mercedes EQS, Aushängeschild der Elektrofamilie EQ, wird auf einigen Märkten sogar das Prunkstück der Marke mit dem Stern und damit eine gefährliche Konkurrenz S-Klasse, längst mehr Submarke als Luxuslimousine allein. Aufgrund der internen Konkurrenz zur ebenso imageträchtigen wie ertragreichen S-Klasse soll der Abstand zwischen beiden Modellen möglichst groß erscheinen, da die gleiche Fahrzeugklasse bespielt wird. Und dann drückt da natürlich auch noch die elektrische E-Klasse. Der Mercedes EQ E sollte als fünftes Elektromodell der Schwaben an sich Ende 2021 seine Premiere feiern.
Der Mercedes EQS ist etwas kürzer als die kommenden S-Klasse mit langem Radstand; wird aufgrund der Akkus im Fahrzeugboden, des fehlenden Kardantunnels und des nicht benötigten Motorraums jedoch ein größeres und flexibleres Innenleben haben. Da der kommende Mercedes CLS keinen Nachfolger bekommen soll, kann der EQS mit rahmenlosen Türen und einer flachen Silhouette glänzen, bei der die Frontscheibe beinahe nahtlos in die Motorhaube übergeht. Am Heck sieht es nicht anders aus, denn auch hier läuft die große Heckscheibe flach in den kurzen Kofferraumdeckel aus, und erinnert so an eine Mischung aus Mercedes CLS und Porsche Panamera. Die Instrumententafel ist kaum mehr als solche zu bezeichnen. Die wichtigsten Informationen werden in die Zierflächen hinter das Lenkrad projiziert, wobei es im Serienmodelle klassische Instrumente tun müssen. Die konturierten Sitze erinnern an die Studie des Maybach Ultimate Luxury. Auch bei Mercedes will man die Kunden mehr und mehr vom Leder entwöhnen. Ist im Armaturenbrett Riegelahorn verbaut, bestehen die Sitze aus einer Mikrofaser, die aus recycelten PET-Flaschen hergestellt wurde. Dazu kommt artifizielles Leder, dessen feine technische Oberfläche einem Nappaleder gleichkommt. Der Dachhimmel ist mit einem Textil bespannt, das zum Teil aus Plastikabfällen aus dem Meer besteht.
Die Karosserie selbst präsentiert sich flach und bullig, wobei die mächtigen Räder ebenso ins Gewicht fallen, wie die flächige Front mit großen Lichtmodulen in Scheinwerfern sowie Kühlergrill und ein Heckleuchtenband, das in Form von 229 kleinen Mercedes-Sternen ausgeführt ist. Angetrieben wird die allradgetriebene Studie von zwei Elektromotoren, die zusammen 350 kW / 476 PS und 760 Nm maximales Drehmoment leisten. 0 auf Tempo 100 schafft der Mercedes Vision EQS zumindest imaginär in 4,5 Sekunden und soll mit seinem im Boden verbauten Akkupaket mit rund 100 kWh eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern realisieren. Anders als beim Mercedes EQC soll die Höchstgeschwindigkeit beim über fünf Meter langen EQS bei über 200 km/h liegen. Auf langen Strecken wird der Fahrer durch einen Autobahnassistenten der Fahrerassistenzstufe drei entlastet. Mit einer in Aussicht gestellten Ladeleistung von 350 Kilowatt soll sich das Akkupaket in 20 Minuten bis auf 80 Prozent seiner Leistung aufladen lassen.
Um gegen das klassenniedrigere Tesla Model S antreten zu können, sind zudem stärkere Versionen mit über 600 PS im Gespräch. Davon ist beim ersten Testrollen jedoch noch wenig zu merken, denn auch wenn der Prototyp auf Gaspedaldruck durchaus flott beschleunigt, ist gefühlt bei weniger als 50 km/h Schluss. Einer der Techniker winkt und will zeigen, dass es nicht noch schneller gehen soll. Bleibt nicht mehr als ein kurzer Eindruck, eine vergleichsweise hohe Sitzposition und Spannung, wie modern sich der Innenraum im Serienzustand präsentieren wird. Eines dürfte aber feststehen: Mercedes hat ab Mitte 2021 zwei Topmodelle – die neue S-Klasse und ein elektrisches Gegenüber, den EQS.