Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Litfaßsäule als prominentes Beispiel der Außenwerbung. In Zeiten personalisierter Smartphone-Anzeigen und innovativer Social-Media-Kampagnen wirkt sie mittlerweile ähnlich antiquiert wie ein Werbespot im Fernsehen. Zu passgenau ermitteln Algorithmen im Netz, welches Produkt wir als nächstes kaufen. Doch das vermeintliche Relikt der analogen Welt durchlebt unlängst einen Wandel: Gedruckte Plakate werden nicht nur durch digitale Werbeflächen ersetzt, auch Targeting-Möglichkeiten und Zweck haben sich verändert. Zum einen ergeben sich durch kontextuelles Marketing völlig neue Arten der Kundenansprache, zum anderen lassen sich die Erfolge einer Werbefläche zunehmend analysieren und mittels generierter Daten die Marketingstrategie optimieren.
Drei Varianten des kontextuellen Marketings
“Bei kontextuellem Marketing kann die räumliche oder zeitliche Dimension genutzt und in die Informationen der Kampagne eingebracht werden“, so Jonas Kofahl, Director Digital and Innovation beim Außenwerber WallDecaux. Er unterscheidet dabei zwischen drei Varianten: Erstens die Verwendung online verfügbarer Datenquellen, um mittels eines Triggers gezielt Inhalte auszuspielen, falls gewisse Rahmenbedingungen erfüllt sind. Zweitens die Echtzeiteinbindung solcher Daten in das Werbemittel und drittens eine dynamische Kreation, welche an jedem Standort unterschiedlich ist und bei jeder Ausspielung neue Informationen beinhaltet.
“Es ist wichtig, die Relevanz von Werbemaßnahmen für die eigene Zielgruppe zu erhöhen. Dafür eignet sich die zielgerichtete und individuelle Nutzung unterschiedlicher Datenquellen“, erklärt Kofahl. Wetterdaten können genutzt werden, um bei Kälte oder Schnee eine Anzeige für Winterreifen auszuspielen. Detaillierte Informationen über einen drohenden Stau werden visualisiert und für die Werbung des nächsten Rasthofs verwendet. Je mehr Datenquellen existieren, desto vielfältiger sind die Möglichkeiten.
Anwendungsfälle von Automobilherstellern
Renault nutzte etwa die Daten unterschiedlicher Messstationen, um bei schlechter Luftqualität für die Elektromobilität zu werben. Mittels einer Skala und adaptiven Motiven wurde illustriert, wie hoch der Grad der Luftverschmutzung im Umkreis ist und gleichzeitig ein vollelektrischer Kleinwagen der Marke präsentiert. Hielten sich die Abgase hingegen in Grenzen, fand keine Ausspielung der Kampagne statt, berichtet Jonas Kofahl. Damit unterstreicht der OEM nicht nur den Nutzen seines Produkts, auch das Werbebudget wird gewissermaßen geschont.
Skoda und BMW zielten bei ihren Kampagnen eher auf den direkten Mehrwert für den Fahrer ab. Der tschechische OEM ergänzte seine Werbung für den Service Skoda Connect durch eine Echtzeit-Einblendung der günstigsten Tankstellen im Umkreis – samt dazugehörigem Spritpreis. Im Idealfall können Autobauer demnach ihre eigenen Daten für Werbezwecke einsetzen, wie auch das Beispiel von BMW aufzeigt. Um sein Parksystem (OSPI) zu bewerben, spielte der bayrische Premiumhersteller die Informationen zu freien Parkplätzen in der direkten Umgebung auf digitalen Werbeanlagen aus, sagt Kofahl, dessen Unternehmen alle drei OEMs bei der Umsetzung betreute.
Erfolge der Werbung lassen sich überprüfen
Ausgeschöpft ist das Potenzial jedoch noch lange nicht, obwohl der deutsche und europäische Datenschutz die Umsetzung einiger Visionen erschweren dürfte. So könnten Fahrzeugdaten für zielgerichtetes Marketing genutzt, Geokoordinaten mit Werbeanlagen abgeglichen und dadurch sogar eine Ausspielung im Radio oder dem Display hervorgerufen werden. Selbst Kamerasysteme an Werbeanlagen, die das Fabrikat erfassen und anschließend Kampagnen für dieselbe Marke oder die Konkurrenz anzeigen, sind im internationalen Kontext denkbar. „Letzten Endes ist für die Akzeptanz von Werbemaßnahmen entscheidend, dass der Kunde durch diese Vernetzung einen Mehrwert erhält“, merkt Kofahl an.
Wesentlich neuartiger ist jedoch das Potenzial im Bereich der Analyse: Vorbei sind die Zeiten, in denen der Effekt einer Außenwerbung nur eine Sache des Bauchgefühls war. Bereits der Standort und die Art der Werbung unterliegt mittlerweile einer tiefergehenden Analyse. Um Zielgruppen und deren Bewegungsmuster identifizieren und adressieren zu können, werden Städte etwa in Quadrate unterteilt und diese mit soziodemographischen Informationen aus unterschiedlichsten Datenquellen gefüttert. Statistisch gesehen, werde die Zielgruppe dadurch wesentlich besser erreicht, beschreibt Kofahl die Tätigkeiten des Partnerunternehmens Adsquare.
Analyse von Zielgruppen in Datenquadraten
Würden sich in einem der Quadrate etwa hohes Einkommen, Mobilitätsbedürfnis und überdurchschnittliche Gebrauchtwagendichte decken, „ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass dort ein Neuwagenkauf geschehen wird“, verdeutlicht der WallDecaux-Director. Es lässt sich allerdings nicht nur deutlich besser auswerten, wie viele und welche Personen die Werbetafel passieren, auch der Erfolg ist mittels Smartphone-Lokalisierung theoretisch messbar. Neben GPS oder Bluetooth lässt sich dafür vor allem die WiFi-Detektion nutzen, wie der Marketing-Experte hinsichtlich eines Anwendungsfalls in Russland berichtet.
„Dort wurden die Informationen von Geräten, deren WiFi-Suche nicht deaktiviert war, an der Werbeanlage detektiert und anschließend im Geschäft abgeglichen.“ So konnte gewissermaßen nachverfolgt werden, wie viele Kunden auf Basis der Werbemaßnahme in den Store gekommen sind. Bei Flottenfahrzeugen wären diese Daten noch einfacher nutzbar zu machen. Sie könnten sowohl die Art der Ausspielung als auch deren Auswertung maßgeblich optimieren – ein Geschäftsmodell für Hersteller und Dienstleister zugleich.