Herr Lorenz, 2017 sind kaum Nachrichten aus der Porsche-IT an die Öffentlichkeit gedrungen. Hatten Sie nichts zu berichten?
Ganz im Gegenteil: Es ist extrem viel passiert. Wir haben zusätzliche Aufgaben übernommen, unser Budget hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt und wir sind personell stark gewachsen. Der Grund, warum Sie nichts gehört haben, ist einfach: Wir packen lieber zu, statt lange zu reden.
Der für die IT zuständige Vorstand Lutz Meschke sagt, Porsche müsse ein Stück weit zu einem Internetunternehmen werden. Was bedeutet das für den Bereich Informationssysteme?
Wir sind bei der digitalen Transformation von Porsche als Vorreiter und als Enabler gefragt – egal ob es darum geht, neue Produkte und Services an den Start zu bringen, integrierte Möglichkeiten der Kundeninteraktion auszuloten oder klassische Unternehmensprozesse zu beschleunigen. Tatsächlich ist der Anteil an IT-Komponenten, die wir im Umfeld Connected Car entwickeln, kräftig gewachsen. In digitale Dienste, mit denen Porsche mittelfristig Geld verdienen will, investieren wir bereits ein Drittel unserer Projektbudgets.
Wird dieser Anteil weiter steigen?
Ich rechne damit, dass wir künftig knapp die Hälfte unserer Projektausgaben für Produkt-IT aufwenden.
Einerseits erleben wir einen starken Trend zur Individualisierung von Produkten und Services, andererseits sind Unternehmen in der Automobilindustrie mehr denn
je auf Kooperationen angewiesen. Wie passt das bei Porsche zusammen?
Darin sehen wir überhaupt keinen Widerspruch, sondern vielmehr eine Ergänzung. Um innovative neue Services anbieten zu können, gehen wir zielgerichtet Partnerschaften ein. Denken Sie an Porsche Passport, eine einfache und flexible Mobilitätslösung, die wir seit Herbst mit US-Kunden im Großraum Atlanta pilotieren. Für einen monatlichen Fixpreis können sie unterschiedliche Porsche-Modelle fahren und beliebig oft wechseln. Im Basispaket mit dem Namen Launch hat man zum Beispiel jederzeit Zugriff auf eine von acht Modellvarianten, darunter 718 Boxster, Cayman S, Macan S und Cayenne. Der monatliche Mietpreis deckt nicht nur die Nutzung, sondern auch Versicherung, Zulassung, Steuern, Wartung und Reparaturen ab. Das Interesse ist größer als erwartet.
Wie genau funktioniert diese Flatrate?
Mitglieder von Porsche Passport können via Smartphone das Modell, das sie gerade fahren, gegen ein beliebiges anderes aus ihrem gebuchten Paket tauschen. Über die Porsche-Passport-App, die unser Partner Clutch Technologies entwickelt und betreibt, vereinbaren sie dann einen Wunschtermin für den Wechsel und ein Mitarbeiter liefert ihnen das neue Modell zum vereinbarten Zeitpunkt an einen beliebigen Punkt in Atlanta. Theoretisch kann ich morgens in einem Elfer ins Büro fahren und auf dem Heimweg meine Kinder mit einem SUV abholen.
Gibt es noch mehr solcher Kooperationsbeispiele?
Natürlich. Im September haben wir uns über unsere Tochtergesellschaft Porsche Digital an dem Stuttgarter B2B-Startup Home-iX beteiligt, das zwei ehemalige Porsche-IT-Mitarbeiter gegründet haben. Home-iX ermöglicht es uns, individualisierte Smart-Living-Lösungen anzubieten, die unsere Fahrzeuge und das Zuhause der Kunden vernetzen. Und noch ein anderes Beispiel: Auf Branchenebene ist der Volkswagen-Konzern mit Audi und Porsche Teil des neu gegründeten Joint Ventures Ionity. Gemeinsam mit BMW, Daimler und Ford treten wir an, um ein Netz zuverlässiger und leistungsstarker Ladestationen entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen zu realisieren.
In Tel Aviv hat Porsche damit begonnen, ein Innovation Office einzurichten, um Zugang zu Technologietrends und Talenten zu erhalten. Was finden Sie dort, was es in Deutschland nicht gibt?
Tel Aviv verfügt über eine unglaubliche Dichte an interessanten Technologie-Startups. Das ist keine Modeerscheinung, sondern das Ergebnis einer zielgerichteten Förderpolitik durch den israelischen Staat seit Beginn der 1990er Jahre. Die Ergebnisse, die wir heute sehen, sind bemerkenswert: Von Telekommunikationsnetzen über IT-Security und künstliche Intelligenz bis zu Sensorik und Batterietechnologien finden wir dort vieles, was für uns als Automobilhersteller interessant ist. Deshalb wollen wir gemeinsam mit unseren Venture-Partnern Grove und Magma die Entwicklungen vor Ort hautnah begleiten.
Andere Unternehmen in der Autoindustrie setzen ebenfalls auf den Innovationsstandort Israel. Es scheint, als könne man sich diesem Hype kaum mehr entziehen?
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass wir nicht jedem Trend hinterherlaufen sollten. Allerdings: Wir stecken in einer gewaltigen Umbruchphase und müssen deutlich explorativer vorgehen als in der Vergangenheit. Es gibt heute nicht mehr nur ein allein glücklich machendes Geschäftsmodell. Als traditionsreicher Sportwagenbauer müssen wir uns links und rechts des Transformationsweges orientieren und sehen, welche Varianten und Neuerungen sich am Ende des Tages rechnen. Die Impulse, die wir aus Technologiezentren wie dem Silicon Valley, aus Israel oder China bekommen, helfen uns dabei.
Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Aber alles, was digital ist, lässt sich auch leicht kopieren. Ist der Markenkern von Porsche in Gefahr?
Wir sehen die Digitalisierung als Chance, nicht als Bedrohung. Der Name Porsche steht für exklusive Sportlichkeit und ein Mobilitätserlebnis, das Kunden begeistert. Mit digitalen Mitteln lässt sich dieser Markenkern sogar erweitern. Wir haben den Anspruch, uns auch bei digitalen Angeboten Porsche-typisch vom Wettbewerb zu unterscheiden.
2019 soll der Bereich Digitalisierung rund 900 Beschäftigte haben – Porsche AG und Töchter wie die Digital GmbH zusammengerechnet. Sind Sie auf Kurs?
Allein der Bereich Informationstechnologie wird 2018 auf über 600 Mitarbeiter anwachsen. Dazu kommen immer mehr Softwareentwickler in Fachbereichen wie der Elektrik/Elektronik-Entwicklung, die für die digitale Produktsubstanz im und um das Fahrzeug herum sorgen. Wenn wir alles zusammenzählen, haben wir die Marke von 900 Mitarbeitern, die die Digitalisierung des Unternehmens aktiv vorantreiben, sicherlich schon überschritten.
Heißt, die Fachbereiche sind nicht untätig?
Ganz im Gegenteil: Alle sind aufgerufen, ihre Ideen einzubringen. Wir wollen digitale Technologien noch viel stärker dazu nutzen, um die Prozesse effizienter zu machen und Vorteile zu heben.
Ob digitales Büro oder hochautomatisierte Produktion – die beste technische Lösung bringt nichts ohne Akzeptanz der Mitarbeiter. Wie geht Porsche damit um?
Qualifizierung und Weiterbildung spielen eine wichtige Rolle. Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Digitalisierung kein reines IT-Thema ist, sondern die Art und Weise, wie das gesamte Unternehmen tickt, dauerhaft verändern wird. Wir versuchen den Spagat hinzubekommen, gewisse Freiheiten – zum Beispiel bei der Wahl der Endgeräte oder der Kommunikationswerkzeuge – zuzulassen und gleichzeitig in Nutzungsszenarien aufzuzeigen, welches Tool wofür am besten geeignet ist. Ob ein Team dann den webbasierten Instant-Messaging-Dienst Slack nutzt, um sich schnell abzustimmen, oder eine der inzwischen mehr als 180 000 Skype-Sessions pro Monat aufsetzt, kann es dann im gewissen Rahmen selbst entscheiden. Andererseits wollen wir aber natürlich die eingesetzten Werkzeuge mit gleichartigen Funktionen nicht beliebig ausufern lassen.
Es verändert sich aber nicht nur die Technik, sondern auch die Art und Weise, wie im Unternehmen zusammengearbeitet wird.
Natürlich. Die neue Arbeitswelt bei Porsche geht Hand in Hand mit räumlicher Offenheit, bunteren Farben und mehr Flexibilität und Agilität. Auch das ist wichtig, weil wir zuletzt viele jüngere Mitarbeiter in unsere Reihen aufgenommen haben, die eine klare Erwartungshaltung haben.
Auf welchen Arbeitsfeldern sehen Sie als Dirigent der digitalen Transformation Porsche am weitesten?
Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir von Grund auf verstehen, wie digitale Märkte und Geschäftsmodelle funktionieren. Auf der Produktseite und bei den Services lernen wir wie alle anderen OEMs Schritt für Schritt dazu, was machbar ist und funktioniert. Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Bereich der Connected Car Services nennen: Im aktuellen Cayenne haben wir die Vernetzung auf ein neues Niveau gehoben – alle Funktionen, Dienste und Apps sind Bestandteil von Porsche Connect Plus und gehören in diesem Modell zur Serienausstattung. Am weitesten sind wir mit der Transformation sicher bei der Digitalisierung unserer unternehmerischen Kernprozesse in Entwicklung, Produktion und Vertrieb. Dort ist es Porsche gelungen, in einigen Bereichen Benchmarks zu setzen.
Für die IT gilt das nicht?
(Lacht) Die IT bei Porsche war schon immer digital … Im Ernst: Auch die IT-Managementprozesse werden natürlich digitalisiert. Gerade bei der präventiven Anlagenwartung – und da beziehe ich unsere Hardware- und Softwaresysteme ausdrücklich mit ein – spielt eine hochautomatisierte Datenanalyse in komplexen Wirkketten eine große Rolle. Wir nutzen zum Beispiel Splunk als Monitoring- und Analytics-Plattform, um Warnindikatoren zu erkennen und frühzeitig eingreifen zu können. Das ist ein interessantes Thema, weil wir die zusammengeführten Datenströme mithilfe von KI-Algorithmen und neuronalen Netzen künftig noch besser auswerten können, um noch genauere Vorhersagen zu erhalten.
Was lässt sich damit alles anstellen?
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Zum Beispiel ist in unserem Digital Lab in Berlin ein sogenannter Sound Detective entstanden. Dahinter steht eine automatisierte Geräuschanalyse auf Basis neuronaler Netze, mit der komplexe mechanische Geräte, Komponenten und ganze Anlagen überwacht werden können. Die typischen Betriebsgeräusche in der Normalfunktion werden ständig auf Anomalien hin untersucht. Toleranzabweichungen oder notwendige Wartungsarbeiten kündigen sich tatsächlich oft mit Störgeräuschen an, die aber nur die wenigsten von uns zuordnen können. Ich bin mir sicher, dass wir Anwendungen des Sound Detective 2018 in einem unserer Werke einsetzen werden.
Bleiben wir in der Produktion: Hat die industrielle Fertigung mit einem starren Einlinienkonzept weiterhin Zukunft? Oder werden wir in Zukunft auch bei Porsche flexibel kombinierbare Stationen sehen?
Als CIO kann ich sagen, dass wir beide Produktionsmodelle unterstützen können. Stand heute aber sind Fließprinzip und Reihenfolgestabilität Kernelemente des Porsche-Produktionssystems – und ich denke, das werden sie bleiben, bis bewiesen ist, dass andere Prinzipien bessere Ergebnisse liefern. Natürlich schauen wir uns Modelle zur modularen Produktion an, bei denen einzelne Stationen nicht mehr an einen gemeinsamen Takt gebunden sind und das Produkt sich auf fahrerlosen Transportsystemen selbstständig durch die Werkshallen bewegt, um sich seine nächste Arbeitsstation zu suchen. Wir tauschen uns hierzu auch intensiv mit unseren Schwestermarken im Volkswagen-Konzern aus.
Zum Schluss: Sie haben Ihre Doktorarbeit über wissensbasierte Verarbeitung natürlicher Sprache geschrieben. Was halten Sie beispielsweise von Amazons Alexa? Volkswagen und Seat haben den Dienst ja bereits an Bord geholt.
Ich finde digitale Assistenten faszinierend. Die Technik hat eine bemerkenswerte Entwicklung hingelegt, seit ich mich in meiner Zeit am Institut für maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart intensiv damit beschäftigt habe. Das Spracherkennungs- und Übersetzungsprogramm Verbmobil zum Beispiel, für das das DFKI 2001 den Deutschen Zukunftspreis gewonnen hat, brauchte in den 90ern noch mächtige Server im Backend, um maschinelle Übersetzungen in einem relativ eng definierten sprachlichen Kontext in Echtzeit bewältigen zu können. Heute steckt eine deutlich alltagstauglichere Funktionalität in einem Lautsprecher, der auf jeden Schreibtisch passt, seine Analysen aber zugegebenermaßen auch aus einem mächtigen Backend bezieht. Ich persönlich habe Alexa zuhause schon ausprobiert. Aber zu Ihrer Frage, ob sie als Beifahrerin in einem Porsche Platz finden wird, kann ich heute noch nichts sagen.
Das Interview führten: Ralf Bretting und Hilmar Dunker
Fotos: Claus Dick