Blechteil im Presswerk Ingolstadt mit Kamera

Im Ingolstädter Presswerk setzt Audi schon seit 2018 auf KI-gestützte Qualitätsprüfung der einzelnen Bauteile. (Bild: Audi)

Am Ende jedes Hypes um eine innovative Technologie steht die Frage: Lässt sich ihr Potenzial in der unternehmerischen Realität wirklich ausschöpfen und bietet sie einen echten Mehrwert in Sachen Produktivität? An diesem Punkt befindet sich derzeit die künstliche Intelligenz. Die Analysten von Gartner, die den Hype Cycle einst erfanden, prognostizieren, dass einige KI-Technologien wie zum Beispiel maschinelles Lernen (ML), Chatbots oder Computer Vision nun endlich den Gipfel der überzogenen Erwartungen hinter sich gelassen haben und Unternehmen beginnen, mithilfe von entsprechenden Lösungen Prozesse zu optimieren – und das nicht nur im Leuchtturm unter Laborbedingungen.

Bislang wurden nur wenige KI-Ideen operationalisiert

Genau zu dieser positiven Erkenntnis ist man auch innerhalb der Audi-IT gelangt. „Der anfängliche Hype um die utopischen Erwartungen einer künstlichen Intelligenz ist schon länger vorbei“, sagt Thomas Knispel, Leiter Data Engineering/ Data Products Development bei Audi. „Wir kommen aus einer Phase der Konsolidierung, in der man ein kreatives und realitätsnahes Bewusstsein entwickelt hat, welchen Nutzen, aber auch welche Grenzen die KI für uns hat. In den letzten Jahren hat man gesehen, dass es zwar viele Use-Case-Ideen gibt, aber nur wenige davon operationalisiert wurden. Einigen musste erst bewusst werden: KI ist keine Black Box, die Wunder vollbringt.“

Die Abteilung sieht sich als Dienstleister innerhalb des Ingolstädter Autobauers und bearbeitet unterschiedliche Fragestellungen – egal ob im Vertrieb, in der Qualitätssicherung oder der Produktion. Ganz oben auf der Agenda steht mit Blick auf KI die Frage, wie sich mögliche Anwendungsfälle operationalisieren lassen, damit sie nicht gleich wieder im Tal der Tränen verschwinden.

„Wenn die Fachbereiche mit einer Projektidee auf uns zukommen, evaluieren wir zunächst gemeinsam, ob sich daraus ein lohnender Business Case bauen lässt. Die Kernfrage, die wir uns dabei immer wieder stellen, lautet: Ist es sinnvoll, das Problem mit einer Machine-Learning- Methode zu lösen oder reichen auch weniger komplexe Verfahren der Datenanalyse“, so Knispel. Bislang ließen sich noch gut 80 Prozent der Problemstellungen mit klassischer Business Intelligence beantworten, „nun gilt es, die übrigen 20 Prozent zu identifizieren, bei denen wir das Potenzial von KI-Algorithmen sinnvoll ausspielen können“.

Warum KI-gestützte Qualitätsprüfung kein Selbstläufer ist

Ein Anwendungsfall findet sich im Bereich der Qualitätsprüfung innerhalb der Fertigung. Schon seit 2018 setzt Audi im Presswerk am Standort Ingolstadt eine Computer-Vision-Software ein, die in der Lage ist, mittels Deep Learning feinste Risse in Blechbauteilen zu erkennen und diese zu markieren. Bei diesem Schritt der Qualitätsprüfung kam es in der Vergangenheit in erster Linie auf die geschulten Augen des Werkers und die begrenzten Fähigkeiten von einfacher Bilderkennung mittels Kamera an. In Zukunft soll ein komplexes neuronales Netz den Prozess beschleunigen und weniger fehleranfällig sein.

Kamera an einem Belchbauteil
Kameras nehmen Bilder der Blechbauteile auf und die Computer-Vision-Software erkennt mittels Deep Learning mögliche Risse.

Doch der Aufbau ist alles andere als ein Selbstläufer. „Der hohe Qualitätsstandard, den wir in der Produktion bei Audi vorweisen können, stellte uns vor die Herausforderung, einen hinreichend großen Datensatz für die Risserkennung aufzubauen“, erläutert Johannes Schniertshauer, Machine-Learning-Engineer und verantwortlich für die Computer-Vision- Projekte in der Produktion. „Als Engineers brauchen wir sehr viele Beispieldaten, um die Algorithmen adäquat trainieren zu können.“ Im Falle der Qualitätsprüfung im Presswerk waren dies Millionen von Prüfbildern mit und ohne Risse, die für das Training des neuronalen Netzes verwendet wurden.

Der Faktor Mensch ist für die Datenqualität entscheidend

Doch das Sammeln von Daten allein macht das Prüfsystem nicht smart. In einem zweiten Schritt müssen die Beispielbilder von einem Menschen begutachtet und die Risse nachgezeichnet werden. „Das Annotieren der Daten muss von einer Person mit ausgeprägtem Domänenwissen durchgeführt werden – nur so erreichen wir für das spätere KI-Modell eine hohe Datenqualität“, betont Schniertshauer.

Daher hat Audi Mitarbeiter mit einem großen Erfahrungsschatz in der Qualitätsprüfung speziell für diesen Job qualifiziert. Das menschliche Zutun ist also auch bei komplexen Deep-Learning-Anwendungen immer noch vonnöten und soll – das ist Schniertshauer wichtig zu betonen – niemals komplett aus der Gleichung getilgt werden: „Unsere Modelle sind nur unterstützend und treffen keine eigenmächtigen Entscheidungen. Der Optimierungsgrad hängt letztlich davon ab, wie gut wir die Algorithmen trainieren.“

KI soll konzernweit Prozesse verbessern

Die KI-Lösung, die von Schniertshauer und dem Team von Thomas Knispel komplett selbst entwickelt wurde, hat inzwischen Anklang im gesamten Volkswagen-Konzern gefunden. „Wir sind jetzt bereit zu skalieren. Dafür nutzen wir unsere konzernweiten Plattformen, um unseren Use Case auch auf andere Presswerkstraßen an anderen Standorten ausrollen zu können“, sagt Schniertshauer. Im Rahmen der digitalen Produktionsplattform (DPP) hat Volkswagen dafür die Lösung Vision Workbench entwickelt, mit deren Hilfe Computer-Vision-Systeme über mehrere Standorte aller Konzernmarken ausgerollt werden können. So wird die KI-Anwendung in der Qualitätsprüfung bereits für den Einsatz im Audi-Werk Neckarsulm vorbereitet und soll noch in diesem Jahr an einem VW-Standort zum Einsatz kommen.

Für Thomas Knispel ist derweil klar, dass entsprechende KI-optimierte Systeme nicht auf die Qualitätssicherung in der Fertigung beschränkt bleiben: „Wir arbeiten schon heute daran, dass smarte Algorithmen künftig in allen Geschäftsbereichen Prozesse und Produkte optimieren. Die Entwicklungsgeschwindigkeit in Sachen KI ist enorm.“

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