VMW Mixed Reality Technology

BMW verschmilzt Realität und virtuellen Raum, etwa um völlig neue Interaktionsmöglichkeiten in der Entwicklung zu schaffen (Bild: BMW / Andreas Croonenbroek)

Obwohl künstliche Intelligenz noch immer auf einer schier unendlichen Hype-Welle surft, ist sie dennoch bei Weitem nicht die einzige Technologie, die den digitalen Wandel in der Automobilindustrie vorantreibt. Das Stichwort lautet: Spatial Computing. Dieser Begriff bezeichnet die Verschmelzung physischer und digitaler Welten mithilfe von Mixed-Reality-Technologien, wodurch völlig neue Interaktionsmöglichkeiten entstehen. Eine VR-Brille – die für zahlreiche IT-Experten bereits zum routinierten Arbeitsalltag gehört, bei Unerfahrenen jedoch oft zumindest für einen kleinen Wow-Effekt sorgt – öffnet die Tore zu digitalen Welten und interaktiven 3D-Umgebungen, die sich der OEM zunutze macht. 

Ein echter Enabler, so Torsten Schmitt, bei BMW unter anderem für die digitalen Nutzererlebnismodelle zuständig, sei die Verwendung von XR Devices, welche die von VR-Brillen gewohnt hochauflösende Darstellung der digitalen Inhalte mit der realen Welt verschmelzen lassen. Und die hochmodernen Brillen zahlen sich aus: Als hätte er die ganze Zeit schon auf seinen großen Auftritt gewartet, erscheint der BMW 7er beim Aufsetzen der Geräte im Raum und lässt tief blicken – von der Geometrie und Oberfläche über Material- und Lichtthemen können sich Designer und Entwickler durch Varianten des Fahrzeugs navigieren oder zusätzliche Interaktionen ausführen, wie beispielsweise das Öffnen der Fahrzeugtüren, um einen Blick ins Innere, auf Displays und Ausstattung  zu werfen. Entlang aller Entwicklungsphasen unterstützen Technologien wie Virtual und Augmented Reality die Fahrzeugentwicklung beim Automobilhersteller. Bereits in der Konzeptphase von Fahrzeugen werden Innovationen aus den Vorentwicklungsteams mittels XR auf ihre Kundenwirksamkeit erprobt und optimiert.  

BMW Mixed Reality
Einen noch realistischeren Blick aus Kundenperspektive bekommen die Entwickler durch die Möglichkeit, das Fahrzeug in unterschiedlichen Kulissen und Lichtverhältnissen zu betrachten. (Bild: BMW)

Virtuelle Variantenvielfalt statt Hardwaremodelle

Der Schwerpunkt der Nutzererlebnismodelle liege auf der Design-Technik-Konvergenz, erklärt BMW-Experte Schmitt. Hier arbeiten Teams von BMW-Entwicklern und -Designern gemeinsam an der Realisierung des Designzielbilds unter Berücksichtigung der zu erreichenden Funktions- und Eigenschaftsziele. Dieser Prozess erstreckt sich über architekturrelevante Fragestellungen der frühen Phase bis hin zu Präzisionsthemen im Detailbereich. Die Vorteile, die in der Entwicklung sichtbar werden, verdeutlichen das große Potenzial der Mixed-Reality-Technologien. Die verminderte Abhängigkeit von zeit- und kostenintensiven Hardwaremodellen ermöglicht ein entscheidendes Plus an Geschwindigkeit. Denn beispielsweise können die während der Fahrzeugentwicklung erhobenen Daten deutlich schneller aktualisiert werden, so dass bei Modellpräsentationen jederzeit die notwendige Aktualität gegeben ist.

Schmitt ergänzt: „Auch wenn unsere Hardwaremodellaufbauzeiten Benchmark sind, muss man berücksichtigen, dass hier meist nur wenig Varianz abgebildet werden kann, was in der Regel mit Umbauzeiten der Modelle verbunden ist. In der virtuellen Welt haben wir hingegen unbegrenzte Möglichkeiten bei der Abbildung der Varianten“. Auf diesem Wege liefere die Technologie einen wichtigen Beitrag, die Entwicklungszeiten zu reduzieren. Doch das Potenzial von Spatial Computing geht weit über die Grenzen des Entwicklungsressorts hinaus. Susanne Heger, Product Owner der BMW Group IT, ist verantwortlich für die hauseigene XR-Plattform Virtual Portal, die neben anderen Bausteinen auch aus einem eigenen 3D App Store besteht.

Ein besonders erfolgreicher Anwendungsfall wird derzeit im Werksumfeld ausgerollt. Hierbei handelt es sich um ein internes Werks- und Trainingstool, das insbesondere im Rahmen der Elektrifizierung der BMW Group eingesetzt wird. „XR-Technologien sind besonders geeignet, um die Mitarbeiter frühzeitig auf die Reise mitzunehmen und zu qualifizieren. Das Projekt verbreitet sich rasant und macht uns viel Freude“, berichtet Heger stolz. „Spannende Use Cases des App Stores sind aktuell in über 200 Abteilungen etabliert. Wirklich alle Ressorts sind vertreten.“

BMW vereint KI und XR zum Effizienzbooster

Gepaart mit künstlicher Intelligenz entstehen an dieser Stelle wichtige Effizienzbooster. Auf der Hannover Messe 2024 präsentierte BMW gemeinsam mit Microsoft einen Copilot in Microsoft Dynamics 365 Guides. Die vorgestellte Pilotanwendung ermöglicht es, per Sprachsteuerung Daten für die Fahrzeugentwicklung aus unterschiedlichen Systemen zu integrieren, Schlüsse abzuleiten und damit die Entwicklungsprozesse spürbar zu vereinfachen und zu beschleunigen. Über eine XR-Brille werden die datenbasierten Ergebnisse als Hologramme auf reale Bauteile projiziert. „Bestandteil der Vision für unsere Plattform ist, XR-Technologien mit AI-Technologien auf eine Art und Weise zu verbinden, die unseren Nutzern im Entwicklungsprozess den Zugang zu den Datenmengen, mit denen sie in täglichen Arbeiten hantieren, erleichtern“, erklärt Susanne Heger. Nach und nach arbeitet ihr Team an der Integration von KI-Anwendungen in die Bausteine der Virtual-Portal-Plattform, darunter der 3D App Store. 

Letzterer bilde laut Heger den Kern der Virtual Portals und sorgte für die hardwareunabhängige Demokratisierung und Verbreiterung der Technologien im Unternehmen. Durch den Store kann jeder Mitarbeiter per Link und Standard-Laptop in eine immersive Experience eintauchen und bei Bedarf die VR-Brille aufsetzen. Schmitt benennt weitere Vorteile eines großen Rollouts der Technologien: „Das Streaming rechenintensiver Highend-3D-Visualisierungen über den 3D App Store und die Möglichkeiten Mitarbeitender, standortunabhängig zu kollaborieren, funktioniert jetzt jederzeit, ohne die notwendige Verfügbarkeit von Highend-PCs und ohne die Notwendigkeit der Bedienung durch einen XR-Spezialisten. Das spart Zeit, die wir in die Entwicklung und Qualität der Modelle investieren.“

BMW Virtual Reality Headsets Fahrzeugentwicklung
Für die Zukunft plane der OEM auf kabellose VR-Brillen zu setzen, um noch mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. (Bild: BMW)

Wie optimiert XR die globale Zusammenarbeit bei BMW?

Die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen, wie Design, Entwicklung, Fertigung, Marketing und Vertrieb, führe zudem zu einem stärkeren interdisziplinären Austausch. Der XR-Experte berichtet hörbar erleichtert davon, dass zum Beispiel das Rendern von Modellbildern für Powerpoint-Präsentationen nun der Vergangenheit angehört und diese vom Anforderer selbst nach Wunsch erstellt werden können. Man begibt sich in die Kundenperspektive und schaut in das Digital Product hin­ein, statt aus vorgefertigten Ansichten nur von außen drauf. 

Nicht nur mit anderen Ressorts, sondern auch mit weiteren Standorten lasse es sich dank XR reibungsloser kollaborieren. Entsprechende Features in den jeweiligen Tools ermöglichen eine Art Multiplayer-Session, um gemeinsam mit Kollegen aus Shanghai an der Design-Technik-Konvergenz zu feilen, und auch die Präsentation der eigenen Daten an anderen Standorten läuft ohne Qualitätsverluste, erklärt Schmitt weiter. „Heute sind Teams oft über den ganzen Globus verteilt und können nur selten zusammenstehen und gemeinsam am Produkt arbeiten. Wir können ihnen so jederzeit viel engere Kollaboration ermöglichen und machen so die Welt sozusagen zu einem kleineren Ort“, ergänzt Susanne Heger. 

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