Gartner-Predictions

Scheitert der KI-Hype der Autobranche am Reality Check?

Viele Hersteller investieren enthusiastisch in KI, doch das Beratungsunternehmen Gartner erwartet eine starke  Ernüchterung. Technische Hürden, kulturelle Blockaden und fehlende Softwarekompetenz könnten dafür sorgen, dass der KI-Hype der Autoindustrie den Reality Check kaum übersteht.

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Eine menschliche Hand und eine Roboterhand strecken sich einander entgegen. Zwischen ihnen schwebt ein Netzwerk aus leuchtenden Icons und Symbolen, die Daten, Vernetzung und digitale Prozesse darstellen. Im Hintergrund ist eine unscharfe Stadtansicht bei Nacht zu sehen.
Zwischen Vision und Wirklichkeit klafft bei vielen OEMs eine Lücke: Erst stabile Software, saubere Daten und eine offene Kultur machen KI im Fahrzeug und im Unternehmen wirksam.

Kaum ein Thema dominiert die Strategiedebatte der Automobilindustrie derzeit so stark wie künstliche Intelligenz. Fast jeder Hersteller experimentiert mit generativen Modellen, Agenten oder Predictive Analytics. Das Forschungs- und Beratungsunternehmen Gartner setzt in diesem Umfeld einen deutlichen Kontrapunkt und prognostiziert einen spürbaren Stimmungswechsel. Nach Einschätzung der Analysten werden bis 2029 nur noch rund fünf Prozent der Automobilhersteller ihre KI-Budgets weiter kräftig ausbauen, gegenüber deutlich über 90 Prozent heute.

Pedro Pacheco, VP Analyst bei Gartner und seit Jahren Beobachter der Branche, kommentiert die aktuelle Situation: „Es gibt derzeit sehr viel Euphorie rund um KI.“ Viele Vorstände hätten sich vorgenommen, zu den weltweit führenden Unternehmen bei KI im Automobil zu gehören und gäben dieses Ziel an ihre Organisation weiter. Aus dieser Ansage entstünden Programme, Budgets und Projektlisten, häufig mit einem impliziten Versprechen von Disruption.

Pacheco erwartet, dass etliche Unternehmen am Ende der Dekade ernüchtert zurückschauen: „Sie werden durchaus Fortschritte sehen, effizientere Prozesse hier, automatisierte Entscheidungen dort. Was ausbleibt, ist der große Sprung.“ Die Folge sei kein Ausstieg aus KI, sondern ein deutlich moderateres Wachstum der Budgets. KI bleibe der Weg nach vorn, die aktuelle Erwartung an einen radikalen Hebel werde aber einer nüchternen Sicht weichen.

Wodurch könnte der KI-Hype zum Erliegen kommen?

Die Ursachen dafür sieht Gartner weniger in der Technik als in den Unternehmen selbst. Ein zentrales Motiv sei die Distanz vieler Topmanager zu digitalen Technologien. Die meisten Vorstände seien im klassischen Automobilgeschäft groß geworden, nicht in der Digitalwelt. „Sie verstehen, dass KI etwas Großes ist, aber sie verstehen die technische Seite nicht. Für sie ist es eine reine Business Entscheidung“, so der Branchenexperte. Dann komme die klassische Frage nach dem Return on Investment. Die IT-Teams könnten für KI-Projekte in einem Zehnjahreshorizont nur Szenarien liefern, keine exakten Renditezahlen. Dadurch setze die traditionelle Risikoversion in der Führungsebene ein.

Hinzu komme eine kulturelle Blockade. Pacheco betont, dass KI nur dann ihr volles Potenzial entfalten könne, wenn Unternehmen bereit seien, Geschäftsmodell, Betriebsmodell und Aufbauorganisation anzupassen. Führungskräfte müssten KI wirklich als bevorzugten Weg zur Lösung von Problemen behandeln. „Unternehmen müssen bereit sein, ihre Kultur zu verändern, damit KI in verschiedenen Bereichen und Prozessen wirklich durchdringen kann“, sagt er. Gleichzeitig gebe es natürliche Vorbehalte bei Beschäftigten, die KI als Bedrohung ihrer Jobs empfänden. Ohne kulturelle Arbeit würden sie zu unbewussten Bremsern. Aus vielen kleinen Hindernissen würden so langfristige Stolpersteine, bis die Programme hinter den Erwartungen zurückblieben.

Ohne Softwarekompetenz bleibt KI eine Illusion

Eine zweite zentrale Beobachtung betrifft die technologische Basis. Gartner verweist darauf, dass Software und Daten die Grundzutaten jeder KI-Strategie sind. Pacheco formuliert es zugespitzt: „Ein Unternehmen, das nicht gut in Software und Daten ist, ist auch nicht in einer guten Position, um mit KI Erfolg zu haben.“ Trotzdem hofften einige Entscheider, KI verhalte sich wie Zauberstaub. „Sie denken, es sei so etwas wie magischer Staub, den man auf Dinge streut und dann passiert Magie und man bekommt einen fantastischen Return of Invest", erklärt der Analyst. Ohne sauberes Datenfundament und ohne reifes Software Engineering bleibe das jedoch Illusion.

Besonders sichtbar wird das im Fahrzeug. Solange Komponenten nicht softwaredefiniert sind, lässt sich ihr Betrieb auch nicht mit KI optimieren. Erst wenn Hardware und Software integriert sind, könne KI Funktionen beeinflussen. Viele traditionelle Hersteller arbeiten genau an dieser Stelle noch an der ersten großen Transformation. Sie kämpfen mit zentralisierten Fahrzeugarchitekturen, suchen nach effizienten Werkzeugketten und ringen um die richtige Rolle von Zulieferern und Techpartnern. Wer dieses Fundament noch nicht gelegt hat, geht gewissermaßen in das nächste Rennen, bevor das letzte überhaupt abgeschlossen ist.

Auf der anderen Seite stehen Hersteller, die Software und Daten längst zur Kernkompetenz gemacht haben. Pacheco verweist auf Unternehmen, deren Organisation konsequent softwarefirst ausgerichtet ist. Diese Firmen entwickelten moderne Architekturen und Softwarestacks mit deutlich weniger Ressourcen. „Sie schaffen es, sehr viel mehr im eigenen Haus und sehr effizient zu managen. Sie haben nicht die gleichen internen Blockaden wie viele traditionelle Hersteller“, sagt er. Für KI bedeute das mehr Inhouse-Kompetenz, klarere Steuerung der Partner und effizientere Nutzung der Investitionen. Der Abstand zwischen „KI-Führern“ und Nachzüglern werde dadurch größer.

Warum KI für viele kein Gamechanger sein wird

Gleichzeitig ordnet Gartner KI bewusst in eine längere Reihe digitaler Technologien ein. Nach der großen Phase rund um das softwaredefinierte Fahrzeug könne in einigen Jahren bereits Quantum Computing das nächste Thema werden. Pacheco zieht daraus eine übergeordnete Lehre: „Es geht darum, dass jedes Unternehmen in der Lage ist, digital zuerst zu denken und zu handeln. Es ist am Ende egal, ob es um KI geht, um Quantum oder um das, was als nächstes kommt.“ Solange diese Transformation in vielen Konzernen aussteht, bleibe KI zwar wichtig, aber nicht automatisch der erhoffte Gamechanger.

Für die Automobilbranche bedeutet der Ausblick von Gartner damit zweierlei: Kurzfristig steigen die Erwartungen, aus der aktuellen KI-Welle belastbare Ergebnisse zu liefern. Mittelfristig entscheidet sich an Softwarekompetenz, Datengrundlage und Unternehmenskultur, wer zu den wenigen Herstellern gehört, die ihre Investitionen weiter mutig erhöhen. Oder wer in einigen Jahren feststellt, dass KI zwar hilfreich war, aber längst nicht so umwälzend wie in der aktuellenPhase der Euphorie erhofft.