Bosch will alle Fahrsysteme mit Hilfe einer zentralen Software koordinieren. Vereinfacht gesagt soll dieses Vehicle Motion Management (VMM)  sämtliche fahrdynamischen Funktionen des Autos steuern.

Bosch will alle Fahrsysteme mit Hilfe einer zentralen Software koordinieren. Vereinfacht gesagt soll dieses Vehicle Motion Management (VMM) sämtliche fahrdynamischen Funktionen des Autos steuern. (Bild: Bosch)

Jede Großbaustelle braucht einen Verantwortlichen, der sagt, wo’s lang geht. Einen, der bestimmt, was wann zu geschehen hat. Im Fahrzeug ist das nicht anders. Dämpfer, Bremsen, Lenkung, Abstandssensoren und viele Systeme mehr müssen koordiniert zusammenarbeiten, sonst entsteht Chaos und der Wagen lässt sich nicht vernünftig fahren.

Für die Hersteller, die ihre Technik bei unterschiedlichen Zulieferern einkaufen, bedeutet das einen enormen Abstimmungsaufwand. Zuerst definieren sie, wie sich ihr Auto verhalten soll. Sollen die Fahrassistenten schon früh vor einer Gefahr warnen oder erst spät eingreifen? Darauf werden jedes Systeme eingestellt. Da jede Einheit eine eigene Steuereinheit hat, lassen sich brenzlige Situationen mit solchen Systemen aber nur schwer beherrschen.

Außerdem bedeutet jede Abstimmung im Grunde einen Kompromiss. Denn die Assistenten reagieren immer minimal zeitverzögert auf Impulse, die sie von anderer Stelle bekommen. Gäbe es aber eine Art übergeordnetes Steuerungssystem, ließen sich Antrieb, Federung, Dämpfung und Bremsen koordiniert orchestrieren. Sie würden vorausschauend agieren.

Bosch hat jetzt eine Steuersoftware entwickelt, die für alle Systeme und andere Anbieter offen ist. Vereinfacht gesagt soll das Vehicle Motion Management (VMM) zentral sämtliche fahrdynamischen Funktionen des Autos steuern. Mithilfe einer solchen Supersoftware könnte ein Hersteller neue Autos schneller abstimmen – Bosch spricht von 30 Prozent weniger Aufwand – oder die Grenzbereiche erweitern und den Wagen extrem sportlich abstimmen. Theoretisch, denn dazu wären natürlich trotzdem entsprechend hochwertige Fahrwerkskomponenten nötig. Doch auch im Alltagsbetrieb erhöht ein domänenübergreifendes System die Fahrsicherheit, denn damit kann der OEM aus allen Komponenten das Optimum herausholen.

Ein Beispiel: Fährt ein frontgetriebenes Auto zu schnell ums Eck, rutscht es in der Regel über die Vorderräder geradeaus Richtung Kurvenäußeres. Ungeübte Fahrer lenken dann noch stärker ein und verschlimmern die Situationen. Denn sobald die Reifen ihren Grip verlieren, übertragen sie keine Lenkkräfte. Melden die ESP-Sensoren aber einen geänderten Reibwert der Räder, überprüft die VMM schon vorher den Lenkwinkel. Notfalls überstimmt die Software den Fahrer mit einem kurzen Lenkimpuls, sodass der Wagen gar nicht erst untersteuert.

Voraussetzung sind allerdings software-gesteuerte Bauteile. Eine By-Wire-Lenkung beispielsweise benötigt keine Lenksäule mehr. Lenkimpulse werden per Kabel an Stellmotoren bei den Rädern weitergegeben. Deshalb ist es auch egal, ob das Volant links oder rechts eingebaut wird und wie es aussieht. Man könnte sogar einen Joystick oder ein abnehmbares Volant verwenden, das man verstaut, wenn der Wagen vollautomatisiert fährt. Die Lenkaktuatoren können zudem unerwünschte Impulse herausfiltern. Die entstehen beispielsweise, wenn der Wagen mit einem Vorderrad über eine Bodenschwelle fährt und das Lenkrad kurz zuckt.

Auch By-Wire-Bremssysteme sprechen sensibler an als mechanische Systeme. Sie lassen sich besser dosieren und die Bremskraft präziser verteilen. Bosch hat beispielsweise Pads entwickelt, die Brems- und Gaspedal ersetzen. Stattdessen ermitteln Sensoren, wie stark der Fahrer bremsen oder beschleunigen will.

 

Nicht mechanisch über die Bremsbacken, sondern elektronisch verzögert auch das eBrake to Zero genannte Bremssystem. Es soll im Elektroauto das Fahren im Stau komfortabler machen. Die aktuellen automatischen Staupiloten fahren im Stopp-and-Go meistens schwungvoll an und bremsen ruckartig ab. Bosch dagegen steuert den Elektromotor des Stromers so an, dass er während der Verzögerung unter 10 km/h ein negatives Moment erzeugt. Das Auto bremst also wie beim Rekuperieren über den E-Motor sanft ab. Die mechanische Bremse übernimmt erst beim Stillstand und nicht wie üblich zwischen 3 und 5 km/h. Die nervige Nickerei der Passagiere ist damit Vergangenheit.

Je mehr solcher Systeme genutzt werden, desto höher der Software-Anteil im Fahrzeug. Im sogenannten Software Defined Vehicle reden Assistenzsysteme software-gesteuert miteinander, das Radio wird über die Software zum Infotainmentsystem, Fahrzeuge vernetzen sich und kommunizieren mit der Infrastruktur.

Auch Bosch nutzt Sensordaten des Fahrzeugs, um Informationen über Straßenzustand und Straßenreibwerte zu generieren. Das vernetzte Auto schickt sie in die Cloud, wo sie mit Angaben anderer Fahrzeuge sowie Daten von Wetterservices abgeglichen werden. Nur Millisekunden später poppt im Auto eine Warnung vor Aquaplaning, Glätte, Schlaglöcher oder Bodenschwellen auf und die Sicherheitssysteme werden auf die Gefahr eingestellt.

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