Programmiererin vor mehreren Bildschirmen

In der Automobilbranche werden pro Quartal durchschnittlich mehr als 100.000 IT-Fachkräfte gesucht. (Bild: Adobe Stock / Gorodenkoff)

Über US-Tech-Riesen rollt gerade eine wuchtige Entlassungswelle. Gleichzeitig sind laut Digitalverband Bitkom hierzulande 137.000 IT-Stellen unbesetzt. Kräftiger Nachfrager ist die Autoindustrie, die ihr Software-defined Car auf die Straße bringen will, woran es oft genug noch hakt. Ein Grund dafür liegt im IT-Fachkräftemangel. Hohe Nachfrage hier trifft auf Massenentlassungen dort. Glückliche Fügung, oder?

Beim Personaldienstleister Hays registriert man angesichts der US-Entlassungswelle in der Digitalbranche verstärkte Recruiting-Aktivitäten hiesiger Autohersteller und Zulieferer. „Wobei die IT-Rekrutierung der OEMs nicht erst mit der Entlassungswelle eingesetzt hat, sondern schon früher“, berichtet Jörg Baumann, Director bei Hays, verantwortlich für den Bereich Automotive in der Region Südwest. Namhafte OEMs setzten auf groß angelegte Recruiting-Offensiven. Damit einher gingen massive Investments in das eigene Recruiting-Team oder in Aufträge an spezialisierte Personaldienstleister. „Gerade die OEMs und deren Zulieferer befinden sich seit Jahren in einem globalen Wettbewerb um Digital- und IT-Talente, wenn es beispielsweise um die Anwendung und Einführung von künstlicher Intelligenz geht“, erklärt Baumann, „Weshalb ihnen die aktuelle Entlassungswelle in die Karten spielen dürfte.“

Wie erfolgversprechend sind Recruiting-Initiativen?

Doch ein Treck Richtung Deutschland wird wohl kaum stattfinden. Der Standort hat in handfestes Image-Problem. „Fragt man die Hightech-Spezialisten selbst, ist die USA das Wunschland Nummer eins“, weiß Baumann. Danach folgen London und Zürich. „Deutschland gilt zwar aufgrund seiner hohen technologischen Kompetenz nicht als unattraktiv, aber es gehört bei der Attraktivität nicht zu den Spitzenplätzen“, so der Personalexperte. Hinzu komme, dass sich innerhalb nur weniger Jahre die Automobilindustrie vom „place to be“ zu „einer Option unter vielen“ entwickelt habe. Baumann warnt: „Das müssen die OEMs erkennen und dahingehend ihre IT-Rekrutierung verändern, denn IT-Talente aus den USA sind teuer.“ Beispielsweise dadurch, dass nicht nur kurzfristig Besetzungslücken gestopft werden, sondern dass gerade für den Aufbau einer „Data Driven Company“ in erster Linie auf die Skills, die dafür die kommenden Jahre benötigt werden, geschaut wird.

Wie hoch ist der IT-Fachkräftebedarf der deutschen Autoindustrie?

Da sollte eine Rekrutierungsinitiative schon zünden und nachhaltig erfolgreich sein, damit die kostspieligen Kräfte nicht doch wieder bei der nächsten sich bietenden Möglichkeit in Richtung Silicon Valley entschwinden. Der IT-Personalbedarf wird hierzulande hoch bleiben. Davon zeugt der Hays-Fachkräfte-Index: Danach wurden industrieübergreifend für den Bereich IT in jedem Quartal des abgelaufenen Jahres mehr als 110.000 Stellen ausgeschrieben. Wobei ein leichter Dämpfer ab dem zweiten Quartal 2022 zu beobachten war.

„Das führen wir im Wesentlichen auf die wirtschaftliche Stimmung sowie einem verstärkten Kostenbewusstsein in vielen Unternehmen zurück“, erklärt Baumann, „Generell kann man aber sagen, dass diese gebremste wirtschaftliche Erholung, die wir an der rückläufigen Nachfrage ablesen, keine Auswirkungen für die Beschäftigung insgesamt haben dürfte.“ Schließlich werde sich an dem jahrelangen Trend der Arbeitskräfteknappheit wenig ändern – auch und gerade in der Automobilindustrie.

In welchen Bereichen werden Fachkräfte gesucht?

Laut des Fachkräfte-Index befindet sich die Nachfrage nach Automatisierungsingenieuren auf einem sehr hohen Niveau, auch wenn sie leicht abgenommen hat. Bei den ausgewiesenen IT-Stellen stehen zudem IT Security Spezialisten sowie Datenbankentwickler aktuell sehr hoch im Kurs. Baumann kommentiert: „Ganz deutlich im Abwärtstrend sehen wir dagegen das Berufsbild des Ingenieurs für Antriebstechnik.“

Doch was tun, um an die raren IT-Spezialisten heranzukommen? „Ein wesentlicher Hebel liegt sicherlich im Aufbrechen klassischer Rekrutierungsmuster“, rät Baumann. Also weniger auf die vergangene Erfahrung oder Ausbildung setzen, sondern stärker auf Projekte, die im Umfeld von Data Mining oder künstlicher Intelligenz schon in den USA gesteuert wurden.

„Daraus kann dann das Skill-Set für zukünftige IT-Projekte abgeleitet werden.“ Baumann spricht von „Hiring for potential“. Außerdem sollte den IT-Fachkräften weitreichender als bisher ermöglicht werden, remote arbeiten zu können: „Hier beschränken sich deutsche Arbeitgeber häufig noch zu regional.“ Mit anderen Worten: Zwischen dem Wunsch und der Wirklichkeit als Magnet für freigesetzte ITler zu gelten, klafft eine Lücke. Die kann geschlossen werden, wenn es gelingt, den Talenten gute Arbeitsbedingungen bei entsprechender Bezahlung und ansprechenden Aufgaben zu bieten.

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