Automotive-Lidar mit Punktewolke / Wie entwickelt sich der globale Markt für Automotive-Lidar?

Im Markt für Lidar-System herrschen derzeit Unsicherheit und Konsolidierung. An der Notwendigkeit der Technologie selbst ändert dies jedoch nichts. (Bild: Adobe Stock / Design Science Tech)

Bosch raus. ZF raus. Konkurrenz durch neue Technologien. Plötzlich scheint die Bedeutung von Lidar-Sensoren völlig überschätzt worden zu sein. Jeremy Carlson, Associate Director Autonomy im Bereich Mobility des Marktforschungsunternehmens S&P Global, bestätigt, dass man vor drei Jahren die mittelfristigen Aussichten für deutlich besser hielt: „Der Optimismus bei etablierten Zulieferern und neuen Anbietern war groß, doch diese Prognosen sind nicht eingetroffen.“ Automotive-Lidar sei „ein junger Markt, mit überschaubaren Stückzahlen und teuren Produkten“. Aktuell kostet ein Lidar-System um die 1.000 US-Dollar. Zwar seien viele Unternehmen in diesem Feld aktiv, aber daraus seien insgesamt noch wenig Aufträge für eine Serienfertigung hervorgegangen. Das Marktforschungsunternehmen IDTechEx hat im vergangenen Jahr 95 Unternehmen gezählt, die 3D-Lidar für Fahrerassistenzsysteme und autonome Fahrzeuge entwickeln wollen. Nur eine Minderheit macht das bereits in Serie.

Warum ZF und Bosch beim Lidar aufgeben

Pierrick Boulay, leitender Technology- und Marktanalyst für Photonik und Sensorik in der Marktforschungsabteilung der Yole Group, sieht einen Grund für den Ausstieg von ZF in der Übernahme des Technologiepartners Ibeo durch den Konkurrenten Microvision: „Microvision hat seine eigene Lidar-Technik.“ Allerdings hat ZF sich eine Hintertür offengelassen: „Die seit 2020 bestehende Kooperation mit Aeva läuft wohl weiter, wobei es dabei um Lidar-Technologie geht, die derzeit noch in den Kinderschuhen steckt, um FMCW-Lidare.“ Bei Bosch wiederum nimmt Boulay an, dass der Zulieferer schlichtweg an einer sehr ähnlichen Technologie wie die derzeitigen Platzhirsche gearbeitet hat, weshalb „kein Mehrwert“ erkennbar gewesen sei.

Stark unterschiedliche regionale Lidar-Märkte

Jedoch sieht Boulay durch den Ausstieg der beiden deutschen Zulieferschwergewichte keine grundsätzliche Schwächung des Standorts Deutschland bei Technologien für das autonome Fahren: „Es ist alles eine Frage der Zeit. In der EU und den USA liegt der Fokus bei den Investitionen derzeit auf der Elektrifizierung, parallel treiben gerade die europäischen OEMs auch die Fahrerassistenzsysteme im High-end weiter voran. Lidar muss daher einfach warten.“ In China sei der Markt dagegen anders, weil dort „viele einheimische OEMs die Elektrifizierung seit vielen Jahren betrieben haben, ist das Lidar-Geschäft inzwischen sehr dynamisch“.

Allerdings betrachteten chinesische OEMs Sensoren grundsätzlich ganz anders als amerikanische und europäische Hersteller: „Zum Beispiel hat Mercedes‘ S-Klasse 13 verschiedene Sensoren integriert, bei BYD sind es 20 bis 25. Dies führt dazu, dass erste chinesische Anbieter es kostenseitig schaffen, Lidar-Sensoren auch in 50.000 bis 75.000 US-Dollar teure Fahrzeuge zu bringen. Trotzdem übernimmt kein chinesischer Anbieter die Verantwortung für ein automatisiertes Fahrzeug. Sensoren sind dort auch Marketing, und für künftige Over-the-Air-Updates eine Art Investitionsschutz für die Hardware.“ Auch Yole hat die Weltmarktprognosen für Automotive-Lidar in den vergangenen fünf Jahren stetig gesenkt.

Von den größten drei europäischen Automobilzulieferern ist nun nur noch Continental im Lidar-Geschäft aktiv. Das Unternehmen hat sich 2020 an dem kalifornischen Sensorpionier AEye beteiligt. Dessen Fernbereichslidar soll, so die damalige Ankündigung, 2024 in Serie gehen. Man sei dazu in Gesprächen mit verschiedenen Kunden, antwortete Continental auf die Frage, ob das Unternehmen an diesem Zeitplan festhält. Zudem habe man bereits ein Lidar-Modell für den Nahbereich „bei einem Premium-OEM erfolgreich in Serie“ sowie einen Nahbereichs-Lidar im Kleinstwagensegment, dort in einer Anwendung als City-Notbremsassistent.

Dieses Unternehmen ist Marktführer bei Lidar

Laut den Zahlen der Yole Group hatte der Lidar-Weltmarkt 2022 ein überschaubares Volumen von 317 Millionen US-Dollar, ein Plus von 95 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der größte Brocken davon entfällt auf den chinesischen Zulieferer Hesai, der seinen Anteil innerhalb eines Jahres um fünf Prozentpunkte auf 47 Prozent steigern konnte. Das Unternehmen hat nach eigener Aussage bis Ende 2022 über 100.000 Lidar-Einheiten ausgeliefert. Yole beziffert die Kundenbasis des Anbieters auf elf OEMs, von denen sechs Ende 2023 mit der Auslieferung von Fahrzeugen beginnen wollen.

Zweitplatzierter im Markt ist der US-Anbieter Innovusion mit einem Anteil von 15 Prozent. Die Lidar-Technik in Nios Limousine ET7 zum Beispiel stammt von Innovusion. Innerhalb eines Jahres deutlich Marktanteile verloren hat der Drittplatzierte, Valeo. Der französische Zulieferer kommt nun auf 13 Prozent. Valeo hat nach eigenen Angaben bis Mitte 2022 fast 200.000 Einheiten produziert, die auf der Straße im Einsatz sind. Stellantis gewann man letztes Jahr als Kunden. Im März teilte Valeo mit, dass für das aktuelle Lidar-Produkt Scala-3 Aufträge im Wert von einer Milliarde Euro vorlägen.

Yole analysiert auch den Teilmarkt für Roboterfahrzeuge und bezifferte ihn 2022 auf 147 Millionen US-Dollar, was 23 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Hier hat Hesai einen Anteil von 67 Prozent, gefolgt von Waymo mit 18 Prozent. „Hesais Erfolg im Lidar-Markt für Pkws und Robotaxis verbunden mit der finanziellen Stärke versetzt das Unternehmen vermutlich in die Lage, den Lidar-Markt in den kommenden Jahren zu dominieren“, prognostiziert Boulay.

Level 4 spielt weiter geringe Rolle für Lidar

Ausgehend vom Jahr 2022 erwartet Yole, dass der Automotive-Lidar-Markt bis 2028 jährlich um 55 Prozent wächst, auf dann 4,5 Milliarden US-Dollar. „Treibende Kraft werden Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sein“, sagt Boulay, „denn Unternehmen, die an L4- und L5-Fahrzeugen arbeiten, haben ihr Entwicklungstempo deutlich reduziert, weil die Technologie viel komplexer ist als zunächst vermutet.“

S&P-Global-Marktforscher Carlson sieht sogar bis 2035 in den Automatisierungs-Leveln 2+ und 3 die größten Treiber für Lidar-Systeme. „Bis zur breiten Einführung von autonomen Fahrzeugen dauert es noch mindestens ein Jahrzehnt – und auch dann erwarten wir nur einen Marktanteil von sechs Prozent L4-Fahrzeugen, die 2035 verkauft werden.“ Das wirkt sich unmittelbar auf die benötigten Lidar-Stückzahlen aus, denn „bei den Automatisierungs-Leveln 2+ und 3 kommen die OEMs mit ein bis zwei Lidar-Sensoren pro Fahrzeug aus, erst bei L4 werden drei bis fünf Lidar-Sensoren benötigt.“ Trotzdem: S&P Global prognostiziert für 2035 insgesamt 26 Millionen ausgelieferte Lidar-Einheiten im Jahr.

Die Konsolidierung des Lidar-Marktes steht bevor

Yole-Marktforscher Boulay erwartet, dass sich der Lidar-Markt bis dahin dramatisch verändert. „Es wird wie bei Radar und Kamera kommen, wo heutzutage im Automobilsektor vier, fünf Player insgesamt 70 bis 80 Prozent Marktanteil für sich reklamieren.“ Alle anderen Lidar-Firmen, die im Markt verblieben, müssten sich zumindest anfangs mit geringen Anteilen begnügen. „Ich rechne mit weiteren Akquisitionen, eventuell auch durch etablierte Automobilzulieferer.“ Bislang kommen Übernahmen und Fusionen nur langsam in Gang, Beispiele aus jüngerer Vergangenheit sind Microvision und Ibeo sowie Velodyne und Ouster. Die durch die gesamtwirtschaftliche Lage teils angespannte Kapitalsituation bei manch junger Technologiefirma dürfte aber beschleunigend wirken.

Eine weitere Option für junge Unternehmen, die in der Lidar-Technologie ihr Kerngeschäft sehen, ist die Verlagerung des Fokus auf andere Branchen, deren Qualitätsanforderungen nicht so extrem sind und die Lidar in klar definierten Umgebungen einsetzen wollen – Intralogistik und industrielle Automatisierung könnten solche Felder sein. Schon heute taucht in der Selbstdarstellung mancher Lidar-Schmiede die Automobilindustrie nur noch als eine unter vielen Branchen auf. Wobei Jeremy Carlson auch nicht zu schwarz sehen will: „Wenn es einen Markt für Automobilsensoren gibt, in dem kleine Techfirmen eine Chance haben, dann eher im Lidar- als im reifen Kamera- oder Radarmarkt.“

Kann das 4D Imaging Radar die Lidar-Technologie ausstechen?

Die Frage, ob Lidar tatsächlich technologisch notwendig ist, kocht immer mal wieder hoch. Hinlänglich bekannt ist Teslas Außenseiterposition unter den OEMs: Man will ohne Lidar auskommen, am besten nur mit Kameras arbeiten, höchstens mit Radar. Der OEM hat aber wenig getan in den vergangenen Jahren, um die Machbarkeit dieses Ansatzes bei höheren Automatisierungs-Leveln zu bestätigen. Doch inzwischen wird Lidar auch anderweitig hinterfragt, weil es neue Entwicklungen wie 4D Imaging Radar gibt. Solche Systeme können gleichzeitig Distanz, Geschwindigkeit, Ankunftsrichtung und Höhe eines Objekts erfassen. Ihr Vorteil: Radar ist als ausgereifte Sensortechnik drastisch günstiger als Lidar. „Das Potenzial ist da“, sagt Carlson, „aber bislang wurde noch nicht gezeigt, dass 4D Imaging Radar tatsächlich eine Leistung bringen kann, die Lidar überflüssig machen würde.“

Und selbst wenn das gelänge, sei es wahrscheinlicher, dass Lidar und abbildendes Radar nebeneinander existierten. Pierrick Boulay sieht das ähnlich: „4D Imaging Radar erreicht derzeit maximal ein Grad Auflösung, Lidar schon 0,05 Grad – perspektivisch noch mehr.“ Er sehe 4D Imaging Radar auch nicht als Lidar-Alternative in günstigen Fahrzeugen, denn dort wäre „eine Redundanz jenseits von Kamera und gewöhnlichem Radar viel zu teuer“.

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