Clément Nouvel, CTO Lidar bei Valeo, im Gespräch mit automotiveIT.

Die Produktion von Lidar-Sensoren ist und bleibt teuer, meint Clément Nouvel, Lidar Technical Product Line Director bei Valeo. Allerdings sei ein Punkt erreicht, an dem es von nun an um Preissenkungen gehe. (Bild: Claus Dick)

Herr Nouvel, bringen Sie Licht ins Dunkel: Was unterscheidet Scanning-, Spinning- und Flash-Lidar? Welche dieser Technologien eignet sich am besten für autonome Fahrzeuge?

Ein Flash-Lidar beleuchtet die gesamte Szenerie auf einen Schlag. Ein vollständiges Bild kann er zugunsten der Augensicherheit allerdings nicht liefern, denn dafür müsste auf Distanz zu viel Licht ausgesendet werden. Beim Scanning- und Spinning-Lidar wird deshalb stückweise gescannt, wobei Spinning eine Art Unterkategorie darstellt. So verwenden wir seit der allerersten Generation des Scala einen drehenden Spiegel und beleuchten dabei Spalte für Spalte. Er schafft ein breites Sichtfeld von 140 Grad sowie die nötige Reichweite und Auflösung. Ein Flash-Lidar könnte diese drei Aspekte nicht vereinen. Reichweite und Auflösung würden zu Lasten des Sichtfelds gehen, wodurch wiederum zwei Lidar-Sensoren nötig wären. Einer mit einem engen und einer mit einem breiten Sichtfeld. Logischerweise wäre das doppelt so teuer. Deshalb sind wir bei unseren drei Lidar-Generationen dem Drehspiegel treu geblieben. Bei fast 200.000 Einheiten, die mittlerweile auf den Straßen unterwegs sind, hat er sich als absolut zuverlässig erwiesen.

Wie lassen sich Reichweite, Auflösung und Frame Rate optimieren?

Nun, das ist immer ein Kompromiss. Deshalb zielen wir nicht darauf ab, die beste Auflösung zu haben, sondern orientieren uns an Use Cases. Sie diktieren die Anforderungen. Um beispielsweise kleine Objekte auf eine Distanz von 150 Meter oder mehr zu erkennen, bedarf es einer bestimmten Auflösung. Für eine größere Anzahl an Bildpunkten benötigt das Scannen jedoch mehr Zeit – dadurch sinkt die Frame Rate. Letztlich kommt es auf die unterschiedlichen Anforderungen der Kunden an: Heutzutage sind Raten zwischen zehn und 25 Bilder pro Sekunde ausreichend. Hinsichtlich der Reichweite sollten Fahrzeuge auf mindestens 200 Meter sowie kleine Objekte auf rund 150 Meter erkannt werden. Das alles überträgt sich auf die Auflösung und bestimmt, wie viele Punkte auf die einzelnen Objekte gerichtet werden können.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigen sich bei Valeo mit der Lidar-Technologie?

Wir haben fast 500 Entwickler und Ingenieure auf der ganzen Welt, die sich mit Lidar befassen. Die wichtigsten Standorte sind in Bietigheim-Bissingen und Prag – sowie in Kairo für die Software. Darüber hinaus haben wir einige Ingenieure in Frankreich, Südkorea, Japan, China, Indien und den USA. Die Produktion konzentriert sich jedoch ausschließlich auf das Werk im bayerischen Wemding. Es ist weltweit die einzige Produktionsstätte, die Automotive-Lidar in Serie herstellt.

Woher kommt dieser Vorsprung gegenüber der Konkurrenz?

Wir waren schlichtweg die Ersten. Bereits 1991 haben wir mit der Produktion von Ultraschallsensoren begonnen und unser Knowhow immer weiter ausgebaut. Das hat uns geholfen, auch komplexere Produkte wie Lidar zu industrialisieren. Zudem wussten wir auf Basis unserer dreißigjährigen Expertise im Bereich Fahrerassistenz, dass Lidar einen großen Unterschied machen würde. Als Ergebnis dieser Vision entschied sich unser damaliger CEO, Jacques Aschenbroich, zur Zusammenarbeit mit Audi. Damit konnten wir uns von der automobilen Konkurrenz abheben. Den anderen Tier-1-Zulieferern fehlte diese Vision.

Könnten neue Player diese fehlende Weitsicht ausnutzen?

In der Tat gibt es viele Startups, die sich an Lidar-Prototypen versuchen. Und das machen sie sogar ziemlich gut. Aber es handelt sich bislang nicht um Automotive-Produkte, die den Lebenszyklus eines Fahrzeugs überdauern. Diese neuen Player können versuchen, bei der Lidar-Expertise aufzuholen. Dafür müssten sich jedoch Unternehmen, Entwicklungsprozesse, Fähigkeiten und Qualitätsstandards an die Automobilbranche anpassen. Dieser Wandel von einem Non-Automotive- zu einem Automotive-Unternehmen ist extrem schwierig und kann Jahrzehnte dauern. Zudem fehlt es vielen Startups an der engen Verknüpfung von Forschung, Entwicklung und Fertigung: Sie haben die Produktion nicht im eigenen Haus, sondern sind auf Outsourcing angewiesen. Das macht es nahezu unmöglich, dem anspruchsvollen Herstellungsprozess gerecht zu werden. Die Ingenieure für Produkt und Produktionsstätte sollten Teil des gleichen Unternehmens sein. Alles andere behindert die Skalierung und erfordert eine aufwendige Koordination mit dem produzierenden Tier-1-Partner. Wir haben von Beginn an alles in einer Firma entwickelt. Dieser Vorteil wird schnell unterschätzt.

Wie haben sich die Kosten von Lidar-Sensoren in den letzten Jahren entwickelt und wo geht die Reise hin?

Lidar-Sensoren waren in der Vergangenheit tatsächlich günstiger als heute. Der Grund ist die viel höhere Leistung, die für Funktionen auf SAE-Level 3 zweifelsohne benötigt wird. Heutzutage liegt ein Lidar-Sensor deshalb bei rundheute 1.000 US-Dollar. Fest steht: Die Produktion ist und bleibt teuer. Die Teile müssen richtig ausgerichtet und mit einem hohen Maß an Präzision zusammengebaut werden. Zudem benötigt es Reinräume, um die Sauberkeit zu gewährleisten. Wir glauben allerdings, dass der Punkt erreicht ist, an dem es von nun an um Optimierung und Preissenkung geht. Zum Vergleich: Wir haben 2005 mit der Produktion von Radar-Sensoren begonnen und konnten die Kosten seither um rund 80 Prozent senken. Optimierte Produktionsprozesse und technologische Sprünge könnten in diesem Sinne auch bei Lidar ihren Beitrag leisten.

Apropos technologische Sprünge: Beim Scala 3 setzen Sie erneut auf das Time-of-Flight-Verfahren. Wie weit ist Valeo von einer Serienlösung mit Frequency-Modulated Continuous Wave entfernt?

Wir investieren bereits in diese Technologie. Beim Radar sind wir mit ihr vertraut und haben somit viele Experten für FMCW. Hinsichtlich Penetrationsrate und Kosten gehen wir jedoch bestenfalls im Jahr 2026 von einer Serienlösung aus, eher 2027.

FMCW liefert die Radialgeschwindigkeit zu jedem Messpunkt. ToF erfordert zusätzliche Messungen. Wie erfolgen Tracking und Bewegungsvorhersage beim Scala 3?

Auch ohne FCMW können wir Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung bestimmen. Dadurch ist es möglich, Bewegungen selbst dann zu antizipieren, wenn das Objekt aus dem Sichtfeld verschwindet oder der Lidar vorübergehend geblendet wird. Dafür wird jedem Objekt eine ID zugewiesen. Sobald es in den Sichtbereich zurückkehrt, wird es mittels Bildverarbeitung wiedererkannt. Möglich ist dies durch die sehr hohe Auflösung. Besonders beeindruckend sind zudem die Fähigkeiten des Scala 3 bei Regen oder Nebel. Mit jedem Scan erhalten wir nicht nur das erste Echo, sondern auch die Echos dahinter. Bis zu einem gewissen Grad kann der Lidar hinter einen Wasserstrahl oder eine Nebelwand blicken. Dinge, die das menschliche Auge nicht leisten kann. In gewisser Hinsicht hat Lidar somit übermenschliche Fähigkeiten, welche die Verkehrssicherheit erhöhen können.

Clément Nouvel und Markus Hein, beide Valeo, im Gespräch mit automotiveIT.
Clément Nouvel und Markus Hein, Senior Site General Manager Wemding, wollen die Kosten von Lidar senken. (Bild: Claus Dick)

Die dafür notwendige Verbreitung führt uns zurück zu den Kosten: Wäre FMCW in Verbund mit einem Single-Chip-Ansatz die optimale Lösung für einen günstigen Lidar?

Das ist unsere Sicht der Dinge und Teil des Plans. Aber der Single-Chip-Ansatz ist wirklich sehr herausfordernd. Die Versprechungen von FMCW werden sich unserer Ansicht nach verwirklichen, sobald wir mit einer kleinen Menge von zusätzlichen Teilen alles auf einem Chip unterbringen können. Unter den Akteuren, die einen FMCW-Lidar für die kommenden Jahre angekündigt haben, hat dies bislang keiner geschafft. Sie setzen allesamt auf eine separate Quelle – viele davon auf einen Faserlaser. Kleine Volumina sind frühestens 2026 denkbar. Vor 2027 oder 2028 ist eine weitere Verbreitung demnach unrealistisch.

Was ist die größte Herausforderung beim Single-Chip-Ansatz?

Der Chip inkorporiert verschiedene Arten von Substrattechnologien, da wir die Laserdiode sowie herkömmliches Silizium darauf platzieren müssen. Das ist herausfordernd. Der Chip wird nicht funktionieren, wenn alles auf einmal aufgebracht wird. Also müssen wir in mehreren Schritten vorgehen. Dafür benötigen wir eine gewisse Anzahl von Designschleifen. Für jeden dieser Piloten rechnet die Halbleiterindustrie jedoch sechs Monate oder mehr ein. Man müsste also auf Anhieb einen Volltreffer landen. Ebenfalls problematisch ist die Lieferkette dieser Photonik-Chips. Diese ist heutzutage zwar existent, doch die Mengen sind sehr gering und die Chips nicht auf automobile Anwendungen ausgelegt. Diese Lieferkette auf das richtige Niveau zu bringen, wird sicherlich eine Herausforderung sein.

4D Imaging Radar könnte eine ebenso robuste, aber kostengünstige Alternative sein. Wird Lidar künftig nur noch zur Redundanz verbaut?

Wir entwickeln auch diese 4D-Radare, glauben aber nicht an ein Entweder-oder. Der offensichtlichste Vorteil ist tatsächlich der Preis. 4D Radar wird sehr wettbewerbsfähig gegenüber Lidar sein. Das ist so gut wie sicher. Aktuell ist die Signalverarbeitung zwar noch sehr teuer, aber die Kosten gehen stetig nach unten. Hinsichtlich der Leistung – insbesondere Auflösung – wird der heutige Stand von Lidar angestrebt, doch diese Aufholjagd ist meines Erachtens nicht zu bewerkstelligen. Zudem sind wir und fast die gesamte Autobranche der Überzeugung, dass sichere autonome Fahrzeuge den Dreiklang aus Kamera, Radar und Lidar benötigen. Lidar ist dabei der Schlüsselsensor, weil er eben mehr Leistung bringt als die anderen.

Lidar-Laser mit 850 und 905 Nanometer Wellenlänge arbeiten an der Grenze zum Sichtbereich und können durch Sonnenlicht gestört werden. Ist die Entwicklung hin zu 1550 Nanometer alternativlos?

Wir haben vor sechs oder sieben Jahren über diese Frage nachgedacht und eine strukturelle Wahl getroffen. Wir glauben nicht, dass die Vorteile des 1550-Nanometer-Lidars gegenüber dem 905-Nanometer-Lidar die entsprechenden Herausforderungen überwiegen. Und mit unserer Vorhersage haben wir rechtbehalten: Lidar-Sensoren mit 1550 Nanometern sind vergleichsweise teuer und komplex in der Entwicklung geblieben. Der Hauptvorteil, wenn nicht sogar der einzige Vorteil von 1550 Nanometern ist, dass sehr hohe Energiemengen ausgesendet werden können. Das verbraucht jedoch zum einen viel Leistung, wodurch der Sensor sich stark erhitzt, zum anderen kann der Laserstrahl dadurch Schäden hervorrufen. Wir haben den Test gemacht und ihn auf eine Smartphone-Kamera gerichtet. Sie wurde zerstört. Ein immenses Problem, insbesondere wenn man die Sicherheitskameras von Fahrzeugen bedenkt. Bei 1550 Nanometern sind somit noch viele Probleme zu lösen, bevor Sensoren mit dieser Wellenlänge auf die Straße kommen. Bezüglich 905 Nanometern haben wir hingegen sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir sind mit der Wellenlänge vertraut und es existiert eine gute Lieferkette. Optimierungen wurden selbstverständlich seit der ersten Generation des Scala durchgeführt. Dazu gehört auch das Herausfiltern von Sonnenlicht mit Hilfe eines Bandpassfilters. So etwas gehört zum Tagesgeschäft.

Je mehr autonome Fahrzeuge auf den Straßen fahren, desto mehr Messungen treffen aufeinander. Wie verhindern Sie, dass es zu Störungen kommt?

Bei einem Flash-Lidar werden Interferenzen antizipiert und zu einer anderen Frequenz gewechselt. Scala Lidar-Sensoren profitieren davon, dass sie im Zuge des Scanning-Systems spaltenweise Licht aussenden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Lidar – im gleichen Moment – ein Licht im exakt gleich ausgerichteten Azimut-Winkel sendet, ist äußerst unwahrscheinlich. Statistisch existieren diese Fälle zwar, aber wir können sie erkennen und die entsprechenden Frames entfernen. Anders gelagert ist die Konfrontation von Technologien, also wenn ein Scanning-Lidar auf Flash-Sensoren trifft. Damit befassen wir uns. Letztlich sind solche Aspekte der Störunterdrückung ein normaler Bestandteil der Entwicklung.

Eingangs haben Sie bereits die Software-Entwicklung in Kairo genannt. Bei Erkennung, Tracking und Interferenzen hat sich ihr Stellenwert für Lidar verdeutlicht. Ist Software mittlerweile ein größeres Unterscheidungsmerkmal als die Hardware?

Das ist sicherlich die Tendenz. Nichtsdestotrotz zeichnet sich die Hardware durch ihre Kritikalität aus. Sollten sich Fehler oder Qualitätsmängel einschleichen, wäre das aufwendige Training der Algorithmen wertlos. Der erste Schritt erfordert somit absolut Zuverlässigkeit, damit der zweite möglichst günstig und schlank bleibt. Denn im Gegensatz zu Radar und Kameras liefern wir bei Lidar auch die Algorithmen, die dem Sensor ermöglichen, seine Umgebung wahrzunehmen. Dazu gehört all die künstliche Intelligenz, die mittels Verarbeitung der Punktewolke erkennt, wo ein Auto steht, Fußgänger passieren oder die Fahrbahnmarkierung ist. Das machen wir für die anderen Sensoren nicht und ist etwas völlig Neues für Valeo. Aus diesem Grund waren die Investitionen in Lidar gewaltig. Wir mussten Autos um die ganze Welt schicken. Nur so konnten wir eine umfassende Datenerhebung durchführen, die für alle relevanten Situationen im Straßenverkehr repräsentativ ist. Über eine halbe Million Kilometer wurden in Europa, China, Japan, Korea und den USA zurückgelegt, um die Algorithmen mit der unterschiedlichen Straßeninfrastruktur zu füttern. Für den Menschen sind solche Unterschiede augenscheinlich kodifiziert – etwa durch Verkehrszeichen. Ein Lidar-Sensor benötigt in dieser Hinsicht mehr Training als das menschliche Auge. Seine Algorithmen müssen mit verschiedenen Artefakten umgehen.

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