Sensorik in einem vernetzten Fahrzeug / Wie funktioniert ein Lidar?

Die Lidar-Technologie gilt als Grundpfeiler des autonomen Fahrens. (Bild: Adobe Stock / uflypro)

Je umfassender und verlässlicher ein autonomes Fahrzeug die Umgebung erkennen soll, desto wichtiger werden Anzahl und Anordnung von Sensoren sowie die entsprechende Verarbeitung der Daten durch Software-Algorithmen. Eine zentrale Rolle bei der Umfelderkennung kommt dem Lidar-Sensor zu. Doch was genau leisten die Systeme, wie funktioniert ein Lidar, wann kommt er in Serienfahrzeugen zum Einsatz und welche Entwicklungen wird die Technologie in Zukunft durchlaufen? automotiveIT liefert Antworten auf die zentralen Fragen.

Was ist ein Lidar?

Light Detection and Ranging oder kurz Lidar ist ein System zur Generierung von hochauflösenden 3D-Informationen in Echtzeit. Anders als bei einem Radar erfassen Lidar-Sensoren ihre Umwelt jedoch allein mit Hilfe von Licht – durch einen Fotosensor. Dafür berechnet das System, wie lange es dauert, bis ein ausgesendeter Laserstrahl auf ein Objekt trifft und zurückreflektiert wird. Anhand einer Vielzahl ausgesendeter Signale wird eine 3D-Karte der erfassten Umgebung erstellt.

Neben dem Einsatz in Assistenzsystemen autonomer Fahrzeuge kommt Lidar auch bei der Kartierung von Geländen oder der Vermessung von Gebäuden zum Einsatz. Im Consumer Electronics-Bereich setzt Apple seit dem iPhone 12 Pro auf eigene Lidar-Systeme, die eine präzisere Nutzung von Augmented Reality-Tools ermöglichen sollen. Ihren Ursprung haben Lidar-Systeme in der Luft- und Raumfahrt, wo sie bereits seit den 1960ern genutzt werden.

Lidar im Auto - Die wichtigsten Antworten in Kürze

 

Was ist Lidar?

Lidar steht für "Light Detection and Ranging" und ist ein System zur Echtzeitgenerierung von hochauflösenden 3D-Informationen. Es verwendet Laserstrahlen, um Objekte in der Umgebung zu erkennen und eine 3D-Ansicht zu erstellen.

 

Welche Funktion hat Lidar im autonomen Fahren?

Lidar spielt eine zentrale Rolle bei der Erfassung der Umgebung für autonome Fahrzeuge. Es hilft dabei, Hindernisse zu erkennen, genaue Informationen für die Navigation bereitzustellen und dient der Umfelderkennung.

 

Wie funktioniert Lidar?

Lidar sendet Laserstrahlen aus und misst die Zeit, die benötigt wird, bis die Strahlen von Objekten reflektiert und zurück zum Sensor gelangen. Diese Messungen ermöglichen die Erstellung einer detaillierten 3D-Ansicht der Umgebung.

 

Welche Lidar-Technologien gibt es?

Es gibt verschiedene Lidar-Technologien, darunter Spinning-Lidar, Scanning-Lidar und Flashing-Lidar, die sich in der Bauweise und der Erfassungsmethode unterscheiden. Zudem gibt es Unterschiede in der Wellenlänge des Lasers (850 nm, 905 nm oder 1.550 nm) und ob das System bewegliche Teile hat (Solid-State-Lidar).

 

Welche Nachteile haben Lidar-Sensoren?

Lidar-Sensoren sind im Vergleich zum Radar anfällig für schlechte Sichtverhältnisse wie Nebel oder starken Niederschlag und erfordern eine hohe Datenverarbeitungskapazität. Im Gegensatz zu Kameras können Lidar-Sensoren keine Abbildungen wie Verkehrsschilder erkennen.

 

Welche Rolle spielt Software beim Lidar?

Software spielt eine wichtige Rolle bei der Interpretation der von Lidar erzeugten Daten. Sie ermöglicht das Labeling von Objekten und die Fusion der Daten aus verschiedenen Sensoren, um ein umfassendes Bild der Umgebung zu erstellen.

 

Wie entwickelt sich die Lidar-Technologie weiter?

Die Entwicklung von Lidar zielt auf Solid-State-Lösungen ab, die weniger anfällig für Umgebungseinflüsse sind. Die Branche arbeitet auch an Single-Chip-Ansätzen. Die Platzierung der Sensorik im Fahrzeug und die Optimierung der Chips sind weitere Schwerpunkte für zukünftige Entwicklungen.

Welche Lidar-Technologien gibt es?

Aktuelle Lidar-Systeme unterscheiden sich vor allem anhand ihrer Bauweise (Spinning-, Scanning- oder Flashing-Lidar), der Messmethode zur Umfelderkennung (TOF oder FCMW) sowie der Wellenlänge des Lasers (850 beziehungsweise 905 nm oder 1.550 nm). Eine weitere Unterscheidung besteht hinsichtlich der Frage, ob das Sensorik-System über bewegliche Bauteile verfügt: Lidare ohne bewegliche Teile werden als Solid-State-Lidar bezeichnet. Weiterhin unterscheiden sich die Lidare verschiedener Anbieter hinsichtlich des jeweils erfassten Bildwinkels sowie ihrer Reichweite. Die durchschnittliche Reichweite aktueller Systeme liegt je nach Grad der Reflektivität erfasster Objekte bei rund 250 Metern. Aktuell sind allerdings auch Systeme verfügbar, die eine Distanz von bis zu einem halben Kilometer erfassen können.

  • Bauweise: Spinning vs. Flashing Lidar

Die Unterscheidung zwischen einem Flashing- und einem Scanning oder Spinning-Lidar bezieht sich auf die zentrale Funktionsweise der Umfelderkennung. Das Flashing-Lidar deckt mit einer einzelnen Lichtaussendung einen bestimmten Bereich der Umgebung ab, der komplett erfasst wird. Ein Spinning-Lidar verfügt hingegen über rotierende Spiegelsysteme, die einen Laserstrahl in mehrere Richtungen aussenden und dadurch die komplette Umgebung auf Basis mehrerer abgedeckter Teilbereiche erfassen.

Durch die beweglichen Bauteile sind Systeme mit Spinning-Lidar oftmals teuer, platzintensiv und anfällig für Umgebungseinflüsse wie Vibrationen oder Temperaturen. Eine Alternative ist der Einsatz von MEMS-Spiegeln (Micro-Electro-Mechanical Systems). Sie sorgen für eine kleinere, langlebigere Lösung ohne bewegliche Teile. Im Lidar ermöglichen hierbei mikroelektromechanische Spiegel die Aussendung von Laserstrahlen in verschiedene Richtungen und ihren Rückempfang. Durch die chipbasierte Solid-State-Bauweise des Systems sinken sowohl die Kosten als auch der benötigte Raum für seinen Einbau. Durch vergleichsweise kleine Spiegelelemente ist die Reichweite und Signalqualität aktuell jedoch noch ausbaufähig. Continental möchte etwa 2024 die Fertigung eines hochauflösenden Festkörper-Lidars mit einer Reichweite von rund 300 Metern beginnen.

Punktewolke eines Lidar-Systems in einem autonomen Auto / Wie funktioniert ein Lidar-System
Lidar-Systeme können ihre Umgebung in Form von einer Punktewolke erfassen. (Bild: Adobe Stock / Design Science Tech)
  • Messmethode: ToF vs. FCMW

Aktuell existieren mit Time of Flight (ToF) sowie Frequency-Modulated Continuous Wave (FMCW) zwei verschiedene Verfahren zur Lidar-Umfelderfassung. Im Fokus des FMCW-Verfahrens steht eine Frequenzmodulation, also die stetige Veränderung der Frequenz eines kontinuierlich ausgesendeten Lasersignals. Zum Sender zurückkehrendes Licht wird mit der ausgesendeten Frequenz verglichen, um die Distanz zu erfassten Objekten zu berechnen. Das ToF-Verfahren entspricht hingegen einer Laufzeitmessung. Der Abstand zu bestimmten Objekten wird über die Zeit gemessen, die das Signal der ausgesendeten Laserimpulse bis zur Rückkehr zum Sensor benötigt. Um die Geschwindigkeit von Objekten zu bestimmen, die sich auf den Sensor zubewegen, benötigt das ToF-Verfahren somit mehrere Messpunkte, während FMCW-Lidare entsprechende Informationen sofort erfassen.

Ist das FMCW-Verfahren also der Time-of-Flight-Methode überlegen? „Das kann man so pauschal nicht sagen. Beide Methoden haben Stärke und Schwächen“, erklärt etwa Mathias Müller, CEO des Lidar-Anbieters Blickfeld. „Was die Laufzeitmessung FMCW allerdings voraushat, ist ihre Entwicklungsreife.“ ToF werde bereits seit Jahren erfolgreich in Lidar-Sensoren eingesetzt, während FMCW noch in den Kinderschuhen stecke. Eine Einschätzung, die auch Clément Nouvel, Lidar Technical Product Line Director bei Valeo, teilt. Hinsichtlich der Penetrationsrate und der Kosten gehe man bei FMCW-Systemen erst von einer Serienlösung im Jahr 2027 aus.

Auch oftmals ins Feld geführte Vorteile des FMCW-Verfahrens - wie etwa ein besseres Verhältnis zwischen Signal und Interferenzen - sind nicht unumstritten: Der Lidar-Anbieter AEye räumt in einem umfangreichen Whitepaper mit vielen Vorurteilen auf. Behauptungen, die Technologie arbeite effizienter, schneller, mit größeren Reichweiten und klareren Signalen als ToF-Systeme seien bisher nicht belegt oder schlichtweg falsch. Hochperformante, agil-scannende ToF-Systeme seien im Hinblick auf Kosten, Reichweite, Effizienz und Qualität der Punktwolke besser geeignet, die Anforderungen des autonomen Fahrens zu erfüllen als FMCW, heißt es im Schlusswort des Dokuments.

  • Wellenlänge: 850 & 905nm vs. 1.550nm

Ein weiterer Richtungsstreit bei der Lidar-Technologie tobt hinsichtlich der Wellenlänge der Laser. Als Branchenstandard hat sich derzeit eine Wellenlänge von 905 Nanometern etabliert, eine weitere Option sind jedoch Systeme mit 1.550 Nanometern. Als Vorteil der höherfrequenten Variante gelten die geringere Anfälligkeit für Sonneneinstrahlung sowie die geringere Gefahr, Schäden im menschlichen Auge anzurichten. Gleichzeitig sind 1.550-Nanometer-Sensoren vergleichsweise teuer und komplex in der Entwicklung. Durch die höhere Energieaussendung drohen sie einerseits, schneller zu überhitzen und sind andererseits in der Lage, Umgebungsschäden anzurichten, etwa wenn der ausgesendete Laser auf eine Smartphone-Kamera trifft.

Momentan sind günstige Diodenlaser mit hoher kurzzeitiger Impulsleistung für ToF eher im Bereich von 905 Nanometern verfügbar. Wegen anderer Halbleitermaterialien für höhere Wellenlängen haben Diodenlaser in diesem Bereich eine niedrigere Impulsleistung und sind teurer. Andere Ansätze für höhere Leistung (etwa Faserlaser) sind noch aufwändiger und damit auch teurer.

Spektrum von sichtbarem und unsichtbarem Licht / Wie funktioniert ein Lidar
Lidar-Systeme mit einer Wellenlänge von 1.550 Nanometern operieren fernab des menschlcihen Sichtbereichs. (Bild: Adobe Stock / designer_things)

Was sind die Nachteile von Lidar-Sensoren?

Nahezu alle Autohersteller setzen für autonome Fahrzeuge auf einen Dreiklang aus den Umfeldsensoren Kamera, Radar und Lidar - gekoppelt mit hochauflösendem Kartenmaterial. Hauptgrund für den redundanten Aufbau der Sensorsysteme sind deren individuelle Schwächen. Lidar ist als optischer Sensor ebenso anfällig für ein blockiertes Sichtfeld wie Kameras, beispielsweise durch Nebel oder starken Niederschlag, und benötigt hohe Kapazitäten zur Datenverarbeitung. Im Unterschied zu Kamerasystemen sind Lidar-Sensoren zudem nur in der Lage, Objekte hinsichtlich ihrer Form, Entfernung und Bewegung zu erfassen, was unter anderem die automatische Erkennung von Verkehrsschildern unmöglich macht.

Radar-Systeme sind zwar weniger anfällig für schlechte Sichtverhältnisse, der Wirkungsgrad ist jedoch stark vom Absorptionsfaktor der reflektierenden Oberfläche abhängig. „Autohersteller wollen schlicht eine Kamera, einen Lidar und einen Radar im Verbund. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass jede Technologie über eine andere Frequenz verfügt“, erklärt der General Manager von Innovusion Europe, Erich Smidt, im Interview mit automotiveIT. Einen solchen Dreiklang der Sensorik werde man in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren weiter beobachten können.

Welche Anbieter von Lidar-Sensoren gibt es?

Im Markt für Lidar-Systeme sind einerseits etablierte Automotive-Zulieferer aktiv, andererseits entstehen zahlreiche Jungunternehmen rund um die Technologie. Zu den großen Anbietern zählen Valeo, Continental, Bosch und ZF. Weitere Akteure sind etwa Velodyne, Innoviz, Luminar, Ibeo, Microvision, Blackmore, Opsys, Cepton oder Innovusion.

Ob es in weiterer Zukunft noch ein Lidar für das autonome Fahren benötigt, ist also eine Frage der Redundanz. Das autonome Fahren auf SAE-Level 3 oder höher werde ohne Lidar nicht funktionieren, erklärt Joachim Mathes, CTO der Geschäftseinheit Comfort & Driving Assistence bei Valeo. Konkurrenz könnten Lidar-Systeme allerdings durch 4D-Imaging-Radarsysteme bekommen, die deutlich robuster und kostengünstiger zu implementieren sind.

Der einzige Autobauer, der bei der Sensorik zum autonomen Fahren einen Sonderweg gewählt hat, ist derzeit Tesla. Beim Autopilot des US-Hersteller kamen lange Zeit weder Lidar- noch Radar-Systeme zum Einsatz. Kürzlich hat sich dies jedoch geändert und Tesla ist wieder zur Nutzung von Radar-Systemen zurückgekehrt. Insidern zufolge beobachte das Unternehmen zudem die 4D-Radar-Technologie sehr genau.

Welche Rolle spielt Software beim Lidar?

Die durch Lidar erzeugte Punktewolke gibt, zum jeweiligen Zeitpunkt der Messung, einen Aufschluss über Objekte in der Umgebung. Um diese Informationen zu interpretieren und für autonome Fahrzeuge nutzbar zu machen, sind ausgefeilte Algorithmen nötig. Der Software kommen zwei zentrale Aufgaben zu: Zum einen das Labeling der erfassten Informationen, zum anderen die Sensordatenfusion, um aus verschiedenen Sensoren ein einheitliches Bild der Umgebung zusammenzusetzen.

Valeo möchte im Jahr 2024 etwa einen Algorithmus auf den Markt bringen, der Verkehrsteilnehmer und andere Objekte klassifizieren und ihre Bewegungen auf Basis einer jeweils zugewiesenen ID antizipieren kann. Die Verarbeitung der Daten erfolgt meist mit Hilfe von KI-Systemen, deren Training einen gewaltigen Aufwand bedeutet.

In welchen Autos wird Lidar eingesetzt?

Der Markt für Lidare steckt derzeit noch eher in der Entwicklungs- als in der Rollout-Phase. Bis 2027 werde die Technologie „sicherlich eher in der Luxusklasse bleiben“, erklärt Thomas Luce, Deutschland-Chef von Microvision, gegenüber automotiveIT. „Ab 2028 könnten die Stückzahlen aber schon so hoch sein, dass dann auch die ersten deutlichen Preisbewegungen in Richtung 600 Dollar pro Stück möglich sein könnten.“

Derzeit bewegen sich die Preise für Lidar-Sensoren etwa um 1.000 US-Dollar. Um die Technologie entsteht jedoch in absehbarer Zukunft ein immenser Markt, der die Preise senken könnte. Valeo beziffert diesen auf 50 Milliarden US-Dollar bis 2030. In Serienfahrzeugen ist die Lidar-Technologie noch nicht wirklich angekommen. Erste Hersteller, die den Sensor bereits integriert haben oder dies zeitnah planen sind zum Beispiel Mercedes-Benz, Honda, Volvo oder Polestar.

Lidar-Sensor im Mercedes-Benz EQS / Wie funktioniert ein Lidar-System?
Während Volvo sein Lidar oberhalb der Frontscheibe platziert, bringt Mercedes-Benz die Technologie im EQS im Kühlergrill unter. (Bild: Mercedes-Benz)

Wohin entwickelt sich die Lidar-Technik?

Die Richtung für die Weiterentwicklung des Lidar zeigt deutlich in Richtung von Solid State, weil dies weniger anfällig für Umgebungsfaktoren ist. Konkret arbeitet die Branche derzeit daran, den Weg für Single-Chip-Ansätze zu ebnen. Von einer gangbaren Lösung ist sie allerdings noch einen guten Schritt entfernt.

„Die Versprechungen von FMCW werden sich unserer Ansicht nach verwirklichen, sobald wir mit einer kleinen Menge von zusätzlichen Teilen alles auf einem Chip unterbringen können“, sagt Valeo-Experte Nouvel. „Unter den Akteuren, die einen FMCW-Lidar für die kommenden Jahre angekündigt haben, hat dies bislang keiner geschafft.“ Kleine Volumina entsprechender Lösungen seien frühestens 2026 denkbar, eine Verbreitung dürfte weitere ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen. Die größte Herausforderung seien die verschiedenen Substrattechnologien des Chips, die vergleichsweise schwach ausgeprägte Lieferkette sowie der fehlende Automotive-Fokus bei Photonik-Chips, so der Experte.

Akutes Optimierungspotential sehen verschiedene Entwickler derzeit bei der Platzierung der Sensorik im Fahrzeug. So bietet etwa der Engineering-Dienstleister IAV Systeme an, die eine optimale Platzierung der Sensorik im Fahrzeug simulieren können, während zwei Fraunhofer-Institute an einer Möglichkeit arbeiten, Radar, Lidar und LEDs platzsparend im Frontscheinwerfer des Fahrzeugs unterzubringen.

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