Ein Tesla Model S.

Das autonome Fahren gehört seit jeher zu den Kernversprechen der Marke Tesla. (Bild: Tesla)

Tesla hat die Automobilbranche aufgemischt. Ein Auslieferungsrekord jagte lange Zeit den nächsten. Als Pionier der Elektromobilität und des autonomen Fahrens ebnete das kalifornische Unternehmen den Weg für die alteingesessenen Nachzügler. Je mehr Elektroautos die Konkurrenz jedoch präsentiert, desto geringer wird das Alleinstellungsmerkmal des einstigen Disruptors. Grund genug, beim autonomen Fahren nachzulegen. Immerhin haben Mercedes-Benz und BMW bereits Modelle auf SAE-Level 3 am Markt, während Tesla schon seit längerer Zeit nur an dieser Marke kratzt. Die Wende soll nun das Robotaxi bringen. Elon Musk kündigte dessen Enthüllung für August 2024 an. Nähere Infos bezüglich Modell, technischen Details oder Markteinführung gibt es bislang nicht. Für Aufmerksamkeit sorgte im Mai 2024 die Offenlegung der Kunden von Lidar-Hersteller Luminar. Tesla rangiert dabei mit knapp zwei Millionen US-Dollar weit vorne. Doch auch hier gibt es bislang lediglich Spekulationen, wofür Tesla die Technik am Ende nutzen wird. Bislang verzichtet der OEM auf die Sensoren. Nicht wenige Branchenbeobachter zweifeln längst an der Ernsthaftigkeit Musks und deuten die Robotaxi-Ankündigung als Ablenkungsmanöver für die erstmals gesunkenen Absatzzahlen Teslas im ersten Quartal 2024.

Vor Jahren galt der sogenannte Autopilot des US-Unternehmens als Innovationssprung auf dem Gebiet der Fahrerassistenz. Seither fielen nicht nur wegweisende Entscheidungen, auch die Kritik mehrte sich. Wie hoch die Fallhöhe, wie groß der Druck mittlerweile ist, verdeutlich niemand besser als der Tesla-Chef selbst. „Der überwältigende Fokus liegt auf der Lösung des vollautonomen Fahrens. Das ist essenziell. Es macht den Unterschied, ob Tesla viel Geld oder im Grunde null wert ist“, sagte Elon Musk im Interview mit Tesla Owners Silicon Valley.

Die fatalistische Einschätzung des Enfant Terrible zeigt auf, unter welchem Zugzwang sein Unternehmen steht und gießt zugleich Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Böse Zungen behaupten ohnehin seit Jahren, dass die unausgereifte Technologie Menschenleben gefährden würde. Ein weiteres Überhasten wäre fatal. Jedoch scheint der Zweifel an seinem Assistenzsystem noch nicht bei Musk selbst angekommen zu sein.

Ende Juli 2023 berichtet die dpa, dass der Konzernchef nach eigenen Aussagen plane, die FSD einem anderen großen Automobilhersteller zur Verfügung zu stellen. Der CEO nannte in einer Telefonkonferenz zu seinem Vorhaben mit Analysten jedoch nicht den Namen des vermeintlich interessierten Unternehmens. Es wäre das erste Mal, dass die Technologie in Fahrzeugen eines anderen Hersteller zum Einsatz kommt.

US-Politiker startet Kampagne gegen Tesla

Anfang 2022 erreichte der Gegenwind einen vorläufigen Höhepunkt: The Dawn Projekt machte für ein Verbot der Full Self-Driving-Technologie (FSD) mobil. Die vom Software-Experten Dan O´Dowd gegründete Organisation analysierte unter anderem YouTube-Videos, die von Tesla-Fans geteilt wurden, um die Fahrten mit dem System zu dokumentieren. Das Ergebnis war erschreckend: Alle acht Minuten entstehe durch FSD ein kritischer Fahrfehler, mahnte die The Dawn Projekt. Dazu zählen vermeidbare Berührungen mit Objekten, das Ignorieren von Straßenschildern, Ampeln, Sicherheitspersonal und Einsatzfahrzeugen sowie gefährliche Manöver, die andere Verkehrsteilnehmer zum Ausweichen zwingen.

Im Stadtverkehr fielen den Beteiligten zudem Softwaremängel auf, die durchschnittlich alle 36 Minuten zu Fehlfunktionen beim Steuern, Bremsen oder Beschleunigen führen. „Full Self-Driving fährt wie ein suizidaler, betrunkener Teenager“, so das knallharte Resümee des Projekts und zugleich der Startschuss für einen Kreuzzug gegen Tesla. So veranlasste O´Dowd, der erfolgslos für den kalifornischen Senat kandidierte, einen Bremstest auf einer Teststrecke.

In dem dazugehörigen medienwirksamen Video mähte ein Tesla Model 3 mehrere Kinder-Dummys regelrecht um, bevor der Chef von Green Hills Software seinen Appell an die US-Bevölkerung richtete. „Full Self-Driving ist die schlechteste kommerzielle Software, die ich jemals gesehen habe“, so O´Dowd. Die Defizite würden seines Erachtens ein umgehendes Verbot erfordern. Bugfixes via Update – die Denke der Softwareindustrie scheint im sicherheitskritischen Verkehrssektor an ihre Grenzen zu geraten.

Führt Autopilot zu einer fahrlässigen Fahrweise?

Auch wenn Elon Musk den Anschuldigungen wohl vehement widersprechen würde, die Release-Notes der FSD-Beta sprechen eine ähnliche Sprache. Es kann im ungünstigsten Moment das Falsche tun, heißt es dort über das Fahrerassistenzsystem. Der Autohersteller weist seine Kunden deshalb darauf hin, dass die Hände jederzeit am Lenkrad bleiben müssen. Wird nach mehreren Warnsignalen weiterhin dagegen verstoßen, sei der Autopilot für den Rest der Fahrt nicht mehr verfügbar. Videospiele auf dem Display der Mittelkonsole wurden im Zuge der Kritik ebenfalls in den Parkmodus verbannt, um die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht zu schmälern.

Damit reagiert Tesla unter anderem auf die Kritik, die Begriffe Autopilot und Full Self-Driving wären eine irreführende Übertreibung, die zu fahrlässiger Nutzung einladen. Während das OLG München ein Werbeverbot mit diesen Begriffen im August 2022 kassierte, läuft in den USA indes ein ähnliches Verfahren. Das Department of Motor Vehicles (DMV) hatte einen Monat zuvor eine Klage eingereicht, welche sich gegen die beiden Marketingbegriffe richtet. Auch Formulierungen zur Funktionsweise des Systems stoßen der Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle sauer auf. An den Kunden geht dies nicht vorbei – Tesla ist von allen Seiten mit Klagen konfrontiert.

Behörden nehmen Autopilot unter die Lupe

Die US-Verkehrsbehörde NHTSA stellt den Status Quo ebenfalls zunehmend in Frage. Jahrelang profitierte Tesla von den laxen Regularien in den USA und konnte seine Beta-Versionen im Realverkehr austesten. Seit einer folgenlosen Untersuchung im Jahre 2016 haben Unfälle und Unregelmäßigkeiten allerdings immer wieder Öl ins Feuer gegossen. Im vergangenen Jahr hat die NHTSA ihre Untersuchungen ausgeweitet. Ursprünglich ging sie Auffahrunfällen mit parkenden Einsatzfahrzeugen nach, mittlerweile werden auch unvermittelte Bremsmanöver sowie Fälle geprüft, in denen das Risiko menschlicher Fehler verschärft wurden.

In gewohnter Bugfixing-Manier reagierte Tesla mit einem Software-Update und wich von diesem Verhalten auch bei einer formellen Rückrufaktion der NHTSA Ende Januar 2023 nicht ab. Laut Rückrufnotiz der Verkehrsbehörde hätte FSD etwa Stoppschilder missachtet, Kreuzungen bei gelbem Ampelsignal ohne gebührende Vorsicht befahren, unzureichend auf Geschwindigkeitsbeschränkungen reagiert und Abbiegespuren geradeaus weiter befahren. Über 362.000 Fahrzeuge waren betroffen. Beta-Rollouts wurden derweil wegen Sicherheitsbedenken immer wieder verschoben und eine umstrittene Funktion in der Version 10.10 entfernt. Und nicht nur auf dem amerikanischen Heimatmarkt bekommt Tesla mittlerweile zunehmend die Grenzen aufgezeigt. Auch hierzulande wurde die "massive Gefährdung", die mit der Unzuverlässigkeit einhergeht, bereits von Gerichten getadelt.

Die Auseinandersetzung zwischen Tesla und den hiesigen Behörden wird vermutlich 2025 eine neue Dimension erreichen. Zu diesem Zeitpunkt plant der Autohersteller einer eigenen Roadmap zufolge den Rollout des FSD in Europa und China. Abhängig sei der Marktstart allerdings von der Erlaubnis der zuständigen Behörden. Ob diese ihre Erlaubnis für das System erteilt, das in Europa bisher nur in begrenztem Umfang genutzt werden kann, bleibt fraglich.

Tesla sorgt mit Lidar-Verzicht für Streitpunkte

Dies alles führt einerseits zurück zu der Frage, auf welche Weise die Behörden in derartige Praktiken der Software-Erprobungen eingreifen sollten. Immerhin sollte die Teilnehmerzahl am FSD-Beta-Programm bis Ende 2022 von über 100.000 auf eine Million erhöht werden. Andererseits werfen die scheinbaren Defizite bei der Objekterkennung auch die Frage auf, ob sich Tesla mit seinem Alleingang bei der Hardware auf einem Irrweg befindet.

Auf der Website des OEMs liest sich die Antwort eindeutig und selbstbewusst: „Alle neuen Tesla-Fahrzeuge verfügen über die erforderliche Hardware, um in Zukunft unter fast allen Umständen vollständig selbstfahrend zu sein.“ Nachahmer findet der einstige Pionier jedoch nicht. Einhellig erklären Branchenexperten, dass für Fahrzeuge auf SAE-Level 3 und höher zwingend der Dreiklang aus Kamera, Radar und Lidar benötigt werde. Auf Lidar hatte Elon Musk ohnehin nie gesetzt, Radarsensoren gingen ebenfalls vor langer Zeit von Bord. Einer Kehrtwende des launischen Milliardärs ist es zu verdanken, dass seit Beginn dieses Jahres nun immerhin wieder Radare verbaut werden.

 

Ist der Autopilot ein Schönwettersystem?

Ursprünglich wollte Tesla mit seiner Strategie den Nachteilen veralteter Sensorik entgehen – und führt diese bei Lidar derzeit fort. Ein neuronales Netz, das unter anderem mit Radardaten trainiert wurde, sollte die Bilder der acht verbauten Kameras auswerten. Auf teure Hardware wurde ebenso verzichtet wie auf hochauflösendes Kartenmaterial. Das sparte enorme Kosten, ermöglicht iterative Verbesserungen durch Softwareupdates und machte die "autonomen" Autos hypothetisch weltweit uneingeschränkt einsetzbar.

Der technische Paradigmenwechsel ist jedoch nicht gelungen. Die verminderte Leistung bei schlechten Sicht- und Lichtverhältnissen ist dem Autobauer auf die Füßem gefallen. So wurde auf dessen Supportseite aufgeführt, dass unter anderem schwerer Regen, Schnee, Eis, Nebel, Schlamm, extreme Hitze oder Kälte, direktes Sonnenlicht, entgegenkommende Scheinwerfer, montierte Gegenstände wie etwa Fahrradhalterungen, Autoaufkleber oder -folien, falsch ausgerichtete Stoßstangen sowie enge, stark gekrümmte oder kurvenreiche Straßen zu Einschränkungen des Autopilots führe. Ein Sprung auf SAE-Level 3 liest sich anders.

Welche Funktionen hat der Autopilot von Tesla?

Untergliedert werden die Assistenzfunktionen derzeit in drei Ausbaustufen: Autopilot, Enhanced Autopilot und Full Self-Driving. Je nach Land kann der Funktionsumfang leicht variieren. Der Autopilot entspricht dabei einem System, wie es auch bei der Konkurrenz mittlerweile gang und gäbe ist. Es unterstützt beim Beschleunigen und Bremsen sowie beim Lenken, solange Fahrbahnmarkierungen vorhanden sind. Beim erweiterten Pendant ist Navigate on Autopilot an Bord. Dabei meistert das Fahrzeug eigenständig Autobahnkreuze und Autobahnausfahrten basierend auf der Navigation. Hinzu kommen automatische Spurwechsel, ein verbesserter Lenkassistent, der über komplexere Straßenführungen navigiert sowie eine Einparkhilfe.

Die deutlich innovativeren Features sind das sogenannte Summon und Smart Summon. Bei ersterem umfährt das Auto ohne Insassen komplexere Hindernisse auf engstem Raum, um den Fahrer aufzusammeln. Zweiteres ermöglicht eine automatisierte Parkplatzsuche nach dem Aussteigen. Bei Rückkehr kommt der Tesla ebenfalls wie ein Chauffeur vorgefahren.

Während die Konkurrenz Pilotparkhäuser für Automated Valet Parking ausstattet oder mit Memory Parking und Remote-Hilfen die ersten Schritte wagt, proklamiert Tesla gleich den großen Wurf – selbstverständlich nur für private Parkflächen und Einfahrten. Missbrauch ausgeschlossen? An Perfektion scheint es jedenfalls auch hier zu mangeln. So gibt der Hersteller selbst an, dass womöglich nicht alle Objekte im Umfeld erkannt werden und der Fahrer deshalb besonders auf schnell passierende Fußgänger, Fahrradfahrer oder Autos achten muss.

Elon Musk plant die Produktion von Robotaxis

Die dritte Ausbaustufe ist schließlich Full Self-Driving: Hier arbeitete Tesla bislang an der Beta für seine Verkehrszeichen- und Ampelerkennung, die ein Meilenstein für autonome Fahrzeuge wäre. Ebenfalls im Test ist der Lenkassistent für den Stadtverkehr. Auch fast zwei Jahre später wiegt der Abgang eines der wichtigsten Experten hinter dem Autopilot, Andrej Karpathy, noch schwer. Er war unter anderem für die Umfelderkennung zuständig – essenziell im innerstädtischen Raum.

Doch Rückschläge haben Tesla bislang noch nie entmutigen können und so wird das autonome Fahren mit weiteren vollmundigen Ankündigungen vorangetrieben. Dass die Selbstfahrtechnologie nicht, wie ursprünglich angekündigt, Ende 2022 in den USA ausgerollt oder auf Europa ausgeweitet wurde, überrascht wohl nur die treuesten Fans. Im August  2024 soll es laut Elon Musk nun so weit sein. Der dazugehörige Dienst werde preislich sogar mit Bus und Bahn konkurrieren, so das frühere Versprechen hinsichtlich des „massiven Wachstumstreibers“. Nur in die Realität überführen muss der Visionär es noch.

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