Der Innenraum eines Teslas mit dem großen Bildschirm für das Infotainment.

Teslas Innovationen haben in der Branche neue Maßstäbe gesetzt, doch Qualitätsmängel belasten das Image des OEMs.

Corona- und Halbleiterkrise konnten den Höhenflug von Tesla nicht beenden. Während gestandene Autobauer ihre Absatzrückgänge und Produktionsausfälle in den beiden vergangenen Jahren ausgleichen mussten, lässt das Unternehmen aus Palo Alto selbst bei der Marge die Konkurrenz weit hinter sich, so eine Studie von Ernest & Young (EY). Profitabilität ist für den E-Autobauer längst kein Fremdwort mehr. Nebst erneuten Gewinnen konnte beim Absatz jüngst das sechste Rekordquartal in Folge gefeiert werden. Mit über 936.000 ausgelieferten Fahrzeugen im Jahr 2021 legte Tesla im Vergleich zum damaligen Rekordabsatz 2020 gar um 87 Prozent zu.

Der Aktienkurs des Unternehmens ist aufgrund dieser Erfolge in astronomische Sphären gestiegen. Innerhalb von zwei Jahren hat er sich mehr als verzwölffacht. Die Hälfte der akkumulierten Marktkapitalisierung der 16 größten Autobauer entfällt EY zufolge mittlerweile auf Tesla - eine Billion US-Dollar. Aus der einst angeschlagenen Firma ist in der Krise ein Disruptor geworden. „Tesla wird weniger als Auto-, sondern als Technologieaktie bewertet“, erklärt Stefan Bratzel, Direktor am Center of Automotive Management (CAM).

Der für ihn überhöhte Aktienwert sei trotzdem weniger realwirtschaftliches Abbild, sondern verdeutliche das Marktpotenzial wichtiger Zukunftsthemen. Ein Potenzial, das Tesla längst noch nicht ausgeschöpft hat, bedenkt man etwa die Kapitalerhöhung um fünf Milliarden US-Dollar zugunsten der Wachstumsziele. „Wir sind die Einzigen, die mit Elektroautos Geld verdient haben.“ Diese einst vom Spiegel zitierte Aussage könnte instinktiv Elon Musk zugeschrieben werden, auch wenn der Gewinn lange Zeit auf den Verkauf von Abgaszertifikaten zurückzuführen war. Dass sie vom ehemaligen Daimler-Chef Dieter Zetsche stammt, der im Jahr 2015 rückblickend den Verkauf von Tesla-Anteilen goutierte, mutet mittlerweile eher an wie ein Scherz.

Tesla konzentriert sich auf seine Kompetenzen

Während Tesla in eine zuverlässige Schnellladeinfrastruktur investierte, verharrte das Management der Branchenriesen lange Zeit in tradierten Geschäftsmodellen. Als Autohersteller die gefährliche Abhängigkeit von der Halbleiterbanche unterschätzten, setzte Tesla bereits auf den Direkteinkauf selbst entwickelter Chips. Das US-Unternehmen profitierte als Newcomer zweifelsohne von den fatal konservativen Denkweisen der Konkurrenz. Erst die Notwendigkeit vernetzter, elektrischer Modelle, die Reichweitenangst der Kunden und die jüngsten Krisensituationen veranlasste zum Umdenken.

Diesen Technologievorsprung Teslas einzig mit der Untätigkeit anderer Autohersteller zu begründen, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Der OEM hat sich unter Elon Musk stets auf gewisse Kompetenzfelder konzentriert und dabei Geschäftsbereiche wie Mobilitätsdienste bewusst vernachlässigt. „Das ist eine tolle Komplexitätsreduktion. In manchen Belangen ist Tesla ein Pionier, der Weltneuheiten anbietet, und in anderen ein Nachzügler“, analysiert Stefan Bratzel.

Viele Geschäftsmodelle seien schon vorgedacht, werden aber aus strategischen Gründen hintenangestellt. So könne wesentlich effizienter und in Eigenregie an Entwicklungen im Bereich Batteriezelltechnologie, autonomes Fahren oder Infotainment gearbeitet werden. Dieser Fokus zahlt sich aus: Obwohl Konkurrenten wie Nio in regelmäßigen Abständen den Druck erhöhen, gelten die Tesla-Batterien seit Jahren als Benchmark bei Reichweite und Kosten. Selbst beim autonomen Fahren sieht Musk keine nennenswerten Hürden mehr und prescht regelmäßig voran. „Tesla wird seine Kernfelder nicht aus der Hand geben. Das ist für die anderen OEMs ein wichtiges Learning“, analysiert Bratzel.

Verarbeitungsqualität bleibt Teslas Schwachstelle

Tatsächlich haben die Etablierten in vielen der genannten Belange vom derzeitigen Marktführer für E-Autos gelernt und sorgen mit ihren neuen Modellen dafür, dass der Nimbus der Einzigartikeit sukzessive verschwinden könnte. Tesla bleibt sich hingegen treu, selbst bei seinen Fehlern. Trotz flexiblerer Strukturen sowie geringer Fixkosten und Stückzahlen reißen die Meldungen über Mängel bei der Verarbeitungsqualität nicht ab. Bugfixes via Update – das mag in der Softwareindustrie gelebt und akzeptiert werden, aber diese Denke lasse sich nicht eins zu eins auf die Hardware übertragen, moniert der ehemalige Audi-Entwicklungsvorstand Peter Mertens im Interview mit automotiveIT.

Lange Zeit galt für den Innovationstreiber in dieser Hinsicht ein gewisser Welpenschutz. Dass Tesla laut einer J.D.-Power-Studie gar die fehleranfälligsten Autos baut, wurde in Anbetracht der Absatzrekorde nur bedingt von den Kunden quittiert. In der Massenproduktion könnte dieser Umstand jedoch zur Achillesferse werden und völlig neue Dimensionen annehmen. So stehen auf der Mängelliste, abseits der Bedenken rund um das Fahrerassistenzsystem Autopilot, längst nicht mehr nur ästhetische Kleinigkeiten oder sicherheitsrelevante Einzelfälle.

In diesem Sinne musste Tesla jüngst knapp 700.000 Fahrzeuge in den USA und China zurückrufen, da das Öffnen und Schließen des Kofferraumdeckels den Kabelbaum der Rückfahrkamera beschädigen könnte sowie die Gefahr einer sich unerwartet öffnenden Motorhaube besteht. Ein gravierender Rückruf, denn er entspricht dem Produktionsvolumen von mehr als drei Quartalen im Jahr 2021. Ob auch Fahrzeuge in Deutschland oder Europa betroffen sind, ist laut dpa bislang ungeklärt. Das Vertrauen in die Marke dürfte allerdings auch hierzulande mehr als nur einen Kratzer davontragen. Sollte Teslas Lernkurve im Bereich Verarbeitungsqualität nicht ebenso schnell ansteigen wie der Börsenwert, könnte auf den Höhenflug ein tiefer Fall folgen.

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