Ein Sicherheitsfahrer an Bord eines autonomen Fahrzeugs.

Die chinesischen Tech-Größen Baidu und BAIC betreiben in einem Joint Venture ein nach Level 4 autonom fahrendes Elektroauto, den Apollo Moon. (Bild: Apollo)

Hochautomatisierte Fahrzeuge und People Mover auf Level 4 gelten als der nächste heilige Gral in der Automobilindustrie. Das Interesse der Kunden ist hoch, glaubt man dem weltweit angelegten „ACES Consumer Survey 2020“ von McKinsey: Zwei Drittel der Teilnehmer geben darin an, dass sie die Marke wechseln würden, wenn dadurch das Auto bessere automatisierte Fahrfunktionen böte. In China liegt diese Bereitschaft mit über 80 Prozent sogar noch deutlich höher als in wichtigen nordamerikanischen und europäischen Märkten.

Und doch sind die Unterschiede auf technisch-politischer Ebene groß zwischen dem Reich der Mitte und dem Westen. „In den USA und Europa verfolgt die Branche einen On-Board-Ansatz, sie will die maximal mögliche Intelligenz ins Fahrzeug packen“, sagt Volkmar Tanneberger, Branchenexperte und ehemaliger Leiter der Technischen Entwicklung bei Volkswagens China-Joint-Venture mit SAIC. „Für die dortigen Tech-Player ist das Auto die letzte Bastion, die noch nicht vollständig erreichbar ist für Data Analytics.“

Cloudbasierter Ansatz wird in China präferiert

Die US-Tech-Player wollen diese Daten primär im Fahrzeug auswerten. „Dagegen verfolgt China den Ansatz eines Ökosystems, in dem das Backend viel mächtiger ist“, so Tanneberger weiter. Es gibt dafür durchaus technische Argumente und Chinas massive Verkehrsprobleme in den Metropolen dürften durch ein zentrales System leichter zu managen sein, der Ansatz kommt aber auch politisch nicht ungelegen: Der Staat hat ein Interesse daran, seine Bürger engmaschig zu überwachen, was mit einem cloudbasierten Ansatz viel einfacher umzusetzen ist. Zudem gelten Geodaten, ohne die kein autonom agierendes Fahrzeug auskommt, in China als hochsensibel.

Johannes Deichmann, Partner bei McKinsey, geht davon aus, dass jeder OEM, der beim autonomen Fahren mitmischen will, zwei Software-Stacks vorhalten muss: einen für China und einen für den Rest der Welt. Deichmann leitet McKinseys Automotive-Softwareinitiative in EMEA. „Es ist offen“, sagt er, „wie stark sich diese beiden Stacks unterscheiden werden“ – und damit sind die Kosten unklar, die für die OEMs mit dieser Zweigleisigkeit verbunden sind. Volkmar Tanneberger befürchtet, dass oberhalb der Sensorik-Ebene vieles bei den beiden Stacks „komplett anders“ sein wird. „Gerade in der Entwicklung und Integration der Protokolle sowie in der Systempartitionierung steckt jedoch der Aufwand eines OEM.“

China verfolgt strikten Expansionskurs

Die chinesische Regierung hat das autonome Fahren zum strategischen Feld erklärt, das Land soll Weltmarktführer werden. Das äußert sich in ganz konkreten Handlungsanweisungen an die heimische Industrie. So gibt es zum Beispiel vier Cluster unter der Führung chinesischer Unternehmen, die wichtige Bereiche des autonomen Fahrens bearbeiten sollen und regelmäßig über die Fortschritte berichten müssen.

Chinas Google-Alternative Baidu etwa hat den Auftrag bekommen, einen Software-Stack mit Ökosystem zu entwickeln. Partner sind unter anderem eine zweistellige Zahl chinesischer OEMs, aber auch Daimler, Ford und Nvidia. Weitere Cluster werden von der Handelsplattform Alibaba, dem Internetgiganten Tencent und dem Mobilitätsanbieter Didi verantwortet. „In diesen nationalen Clustern herrscht ein starker Wettbewerb“, sagt Tanneberger. „Flankierend gibt es in China seitens der öffentlichen Verwaltung eine große Bereitschaft, die Infrastruktur auf das autonome Fahren vorzubereiten, etwa Verkehrsflächen so zu gestalten, dass Level-4-Fahrzeuge sich gut orientieren können.“ McKinsey-Berater Deichmann hält es für möglich, dass durch das starke Engagement der Regionalregierungen bei der technischen Ertüchtigung der Infrastruktur, „China womöglich schneller Standards setzt als andere Länder der Welt“. 

Autonome blaue Chery-Pkw auf einer STraße in China
Der chinesische Kooperationspartner von Jaguar-Land-Rover, Chery Automobile, hat zusammen mit dem chinesischen Technologiekonzern Baidu ein fahrerloses Auto entwickelt. (Bild: Chery)

Lokalen Tech-Playern fehlt Softwarekompetenz

Eine weitere Frage gerade für ausländische Unternehmen lautet, inwieweit China seine aus Binnensicht wirkungsvollen regulatorischen Vorgaben für die Elektromobilität künftig auch als Blaupause für das autonome Fahren verwendet. „Jeder Hersteller von Elektrofahrzeugen muss zwei Lizenzen beantragen, für Produktion und Verkauf“, erklärt Tanneberger. „Dabei gab es auch klare Vorgaben zur Verwendung chinesischer Technologie.“

Findet ein ähnliches Prinzip erneut Anwendung? Womöglich würde das westlichen Unternehmen mehr Kopfzerbrechen bereiten als die Tatsache, dass sie im chinesischen Markt mit lokalen Anbietern kooperieren müssen. „Für die traditionellen chinesischen OEMs spielen die chinesischen Tech-Player eine ähnliche Rolle wie die US-Tech-Player für die europäischen und amerikanischen OEMs“, sagt Marco Dargel, Partner bei der P3 Group und dort verantwortlich für den Bereich autonomes Fahren. „Auch diesen OEMs fehlt die Softwarekompetenz, auch sie müssen um gute Absolventen kämpfen, die in der chinesischen Tech-Industrie womöglich den reizvolleren Arbeitgeber sehen.“

Gerade in Sachen Softwarekompetenz hat die traditionelle chinesische Automobilindustrie vermutlich einen noch größeren Nachholbedarf als etwa die europäische. Ob chinesische Tech-Player außerhalb des Landes beim autonomen Fahren eine maßgebliche Rolle einnehmen können werden, ist dagegen völlig offen. „Manche versuchen das, etwa Pony.ai oder AutoX“, sagt Dargel. „Sie orientieren sich an Kapitalmarktregeln, beteiligen sich an Finanzierungsrunden.“ Sie wollen sich internationaler aufstellen und so wohl auch ein Stück weit der Einflussnahme Chinas entziehen. „Doch letztlich bleibt die Frage, ob ein chinesischer Tech-Player außerhalb des Landes als verlässlicher Partner wahrgenommen wird“, so Dargel. Die jüngsten Erfahrungen mit den staatlich verordneten Restriktionen für Alibaba oder Didi lassen da zumindest Zweifel aufkommen.

Verkaufsquoten für autonome Autos sind vom Tisch

Überhaupt hält P3-Berater Dargel die Frage für offen, wie sich China beim autonomen Fahren langfristig entwickeln wird. „Vor wenigen Jahren hatte die Regierung angedacht, ähnlich wie bei Elektrofahrzeugen Verkaufsquoten für hochautomatisierte Autos vorzuschreiben“, erinnert er sich. „Damals wurden ambitionierte Zahlen ab 2025 diskutiert, von denen inzwischen nicht mehr die Rede ist.“

Anscheinend habe die Regierung erkannt, dass eine solche Regelung die eigene traditionelle Automobilindustrie am schlimmsten getroffen hätte, nicht ausländische Unternehmen. Andererseits machten die chinesischen Tech-Player große Fortschritte in der Entwicklung. Die Robo-Taxi-Services von Baidus Dienst Apollo in den ersten chinesischen Großstädten seien vergleichbar mit Waymos Angebot in den USA.

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