Herr Kersten, welche Rolle spielen neue Payment-Dienste aktuell für die Autobranche und Mercedes-Benz im Speziellen?
Payment ist ein unglaublich wichtiger Faktor auch für einen Autohersteller, um in Zukunft gut aufgestellt zu sein. In der Branche finden aktuell mehrere massive Veränderungen statt – etwa die Transformation hin zur Elektromobilität oder zum Software-Defined Vehicle. Aber es ändern sich auch die Kundenwünsche massiv: Wir sehen klar den Wunsch, sich digital über Fahrzeuge zu informieren oder sogar die Kaufabwicklung online durchzuführen. Auch nach dem Kauf existieren zahlreiche Touchpoints durch den steigenden Grad an Connectivity im Fahrzeug. Und da kommt dann der Bereich Payment ins Spiel: Der Kunde möchte das Bezahlerlebnis natürlich in einer digitalen Welt so sicher und einfach wie möglich erleben. Deshalb haben wir schon vor einiger Zeit begonnen, in diesen internen Bereich - quasi unseren Fintech-Teil - zu investieren. Die Anwendungsfälle reichen von der Anzahlung für Fahrzeugreservierungen, was in Asien verbreitet ist, bis zur Möglichkeit, den kompletten Fahrzeugkauf über unsere Systeme abzudecken, wie beispielsweise in Großbritannien. Dazu kommen Services wie Parken oder Laden, die Kunden den Alltag leichter machen sollen und die wir so intuitiv wie möglich gestalten möchten.
Im Bereich In-Car-Payment laufen bei Mercedes Pay aktuell ja einige Projekte...
Genau. Während es bei der Kaufabwicklung ja eher um die Nutzung von Laptop oder Smartphone geht, haben wir in der Nutzungsphase natürlich andere Frontends wie etwa die Mercedes-Benz App oder das Infotainment im Auto. Bei vielen der Dienste, über die wir sprechen, geht es um Location Based Services. Ein persönliches Beispiel: Bei meinem Urlaub in den Niederlanden etwa wollte ich das Regenwetter in einem Einkaufszentrum überbrücken. Der Parkplatz vor dem Zentrum ist kostenpflichtig, diese Information ist dem Fahrzeug zu Beginn des Parkvorgangs bekannt. Im Dashboard wird direkt angeboten, den Abrechnungszeitraum zu starten. Wenn ich dann zum Fahrzeug zurückkomme, kann ich meine Parkzeit direkt beenden, ohne dass ich noch zu einem Parkautomaten laufen und im Regen ein Ticket ziehen muss. Mercedes Pay stellt dann sicher, dass der Parkvorgang direkt abgerechnet wird. Diese Kundenerlebnisse sind genau die Anwendungsfälle, an denen wir ansetzen. Tanken und Laden sind hier Beispiele, die ähnlich funktionieren - in unserem Fokus steht gleichzeitig auch die Abrechnung von Functions-on-demand, also digitalen Funktionen im Fahrzeug, die Kunden über den Mercedes-Benz Store zubuchen können.
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Wo liegt derzeit der Fokus, um eine optimale Kundenerfahrung bieten zu können?
Um hier eine gute Kundenerfahrung bereitstellen zu können, muss man den Dreiklang aus Hard- und Software sowie Payment beherrschen, um die Systeme optimal und nahtlos zu verbinden. Wir versuchen, die Erfahrung, die man etwa an der Supermarktkasse beim kontaktlosen Bezahlen hat, im Fahrzeug nachzubilden. Dabei geht es jedoch nicht nur darum, dass der Vorgang für den Kunden einfach ist, sondern auch um die Sicherheit der Systeme, auf die wir großen Wert legen. Ein Beispiel dafür ist etwa die Authentifizierung von Nutzern über einen Fingerprint-Sensor im Fahrzeug, mit dem im Live-Betrieb bereits sichergestellt wird, dass der Kunde selbst den Kauf getätigt hat.
Im Vergleich zum Smartphone ist ein Auto deutlich unhandlicher und lässt sich schlecht über einen Kartenleser positionieren. Wie kommuniziert die Technik im Auto im Fall des In-Car-Payment mit der Infrastruktur?
Nehmen Sie als Beispiel das Parken: Das Auto fährt auf eine im System hinterlegte Parkfläche, auf denen Gebühren fällig sind. Dann meldet es sich mit der eigenen Identifikation über einen Backend-Call an, um den Start und das Ende des Parkvorgangs zu hinterlegen. Mit den Parkanbietern gemeinsam wird dann der Parkpreis berechnet und Mercedes pay belastet das hinterlegte Zahlungsmittel. Im Vergleich etwa zum NFC-Payment im Supermarkt laufen die entsprechenden Prozesse also eher im Hintergrund.
Parken wäre hier ein vergleichsweise einfacher Anwendungsfall. Wie lässt sich das System beim Tanken oder Laden nutzen, wenn etwa mehrere Säulen nahe beieinander stehen?
Grundlegend kommen hier auch zunächst einmal wieder die Geo-Informationen des Fahrzeugs zum Einsatz, die dem Kunden mitteilen, dass an einem bestimmten Tank- oder Ladeort über das Auto bezahlt werden kann. Wenn der Kunde das System nutzen möchte, muss er bei der Bestätigung die genaue Tank- oder Ladesäule auswählen, die dann dem Kassensystem des Betreibers mitgeteilt wird. Im Falle von Tankstellen erhalten auch die Mitarbeiter im Kassenhaus eine Nachricht, dass der Vorgang digital abgewickelt wurde. Es besteht also nicht die Gefahr, dass einem Kunden mit In-Car-Payment die Polizei auf den Hals gehetzt wird (lacht).
In idealen Use Cases kommunizieren die Systeme im Fahrzeug mit Systemen in der Infrastruktur. Die Möglichkeiten, dies sicherzustellen, sind aber natürlich nicht an jeder Tankstelle oder an jedem Parkplatz gegeben. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um eine möglichst hohe Abdeckung sicherzustellen?
Die Bezahlung der Tankrechnung über Fuel & Pay ist an über 4.700 kooperierenden Tankstellen in Deutschland sowie an vielen weiteren Tankstellen in Österreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg möglich. In Deutschland funktioniert das System unter anderem bei Aral, Esso, Hem und anderen. Es sind natürlich Integrationen in die Strukturen der Anbieter nötig. Die großen Tankstellenbetreiber etwa bieten meist eigene Apps an, die die Kommunikation mit den Bezahlsystemen bereits abdecken können. Über entsprechenden Schnittstellen lässt sich Mercedes pay dann auch vergleichsweise einfach integrieren.
Gibt es einen Plan, Anbieter ohne die entsprechenden Backends mit in das Ökosystem zu bringen, etwa über eigene Standards oder Out-of-the-Box-Lösungen für potenzielle Partner?
Wir arbeiten in dem Zusammenhang mit zahlreichen Integratoren zusammen. Vor allem beim Beispiel Parken ist zu sehen, dass jede Stadt ihre eigene Parkraumbewirtschaftung mit eigener IT und eigenen Preissystemen betreibt. Unser Anspruch ist es letztendlich, den Kunden ein einheitliches Erlebnis zu bieten, also die lokalen Betreiber in unsere eigene Plattform zu integrieren. Davon profitieren auch die Besitzer von öffentlichen Parkplätzen, die durch einen besseren Service einen Mehrwert bieten können. Ich denke auch, die kommenden Generationen werden diese Systeme irgendwann als Standard betrachten. Mein sieben Jahre alter Sohn hat mich zum Beispiel ungläubig angeschaut, als ich vor Kurzem tatsächlich eine Tankstelle betreten musste, um dort noch eine Kleinigkeit einzukaufen. Ich persönlich freue mich aber natürlich auch über jeden Einkauf, wo ich nicht anstehen und warten muss.
Auf der einen Seite braucht es möglichst viele Anbieter, die die eigenen Park-, Lade- oder Tanksysteme für Mercedes Pay öffnen. Andererseits wäre es für eben diese Anbieter interessanter, wenn die potenzielle Nutzergruppe über Mercedes-Benz Fahrer hinausgehen würde. Gibt es hier Kooperationspläne mit anderen Autoherstellern?
Natürlich machen Skaleneffekte alle Ökosysteme attraktiver. Zwei Gedanken dazu: Wir haben unsere Mercedes-Benz Plattformen aufgebaut, mit der wir unsere eigenen Kunden ansprechen und entsprechende Akzeptanz aufbauen. Und wenn ich das so sagen darf: Mercedes-Benz Kunden sind Kunden, die in der Regel sehr attraktiv für andere Anbieter sind. Andersrum ist die Aussage korrekt, dass Parkraum- oder Tankstellenbetreiber an einem möglichst großen Kundenstamm interessiert sind. Wir arbeiten in diesem Bereich nicht direkt mit anderen Autoherstellern zusammen, vielmehr nutzen wir Aggregatoren, die mit verschiedenen Automarken kooperieren und die Technik dann entsprechend bereitstellen können.
Wie schafft man es in diesem Zusammenhang dann noch, ein Alleinstellungsmerkmal zu erhalten?
Für uns stellt sich vor allem die Frage, wie wir es am schnellsten schaffen, genug Partner in unser Ökosystem zu bringen, um die Nutzung attraktiver für unsere Kunden zu machen. Gute Partnerschaften sind wichtig, wir konzentrieren uns jedoch in erster Linie auf die Customer Experience innerhalb unserer eigenen Systeme. Mercedes-Benz Kunden sollen wissen: Wenn ich im Mercedes-Benz Ökosystem unterwegs bin, kann ich die Dienste so einfach wie möglich nutzen. Unsere Kernkompetenz ist es, an der Schnittstelle von Auto, Software und Payment das bestmögliche Erlebnis für Mercedes-Benz Fahrer und ihre Passagiere zu liefern. Die Tatsache, dass das Kundenerlebnis im Fokus unseres Denkens steht, war auch ausschlaggebend dafür, überhaupt einen eigenen Payment-Service ins Leben zu rufen.
Blicken wir doch ein wenig in die Zukunft: Momentan ist das System sehr auf Dienstleistungen im direkten Umfeld des Autos ausgerichtet. Gibt es Pläne, diese Grenzen zu überschreiten?
Wenn man sich den In-Car-Commerce anschaut, gibt es mehrere Stufen: Das fängt an mit dem Kauf von Funktionen und digitalen Extras über das Infotainmentsystem und geht über die fahrzeugbezogenen Dienste. Die dritte Stufe wären dann Dienste im Umfeld dieser Dienste – also etwa Angebote, um die Wartezeit beim Ladevorgang zu überbrücken. Wir arbeiten da an sehr vielen Themen, über die ich momentan noch nicht öffentlich reden kann (lacht). Wir sind an der Ausweitung der Dienste dort dran, wo es unseren Kunden einen Mehrwert bieten kann. Wenn man etwa den Supermarkt als Anwendungsfall betrachtet: Die Abholung von Einkäufen mit dem Fahrzeug macht als Use Case vermutlich Sinn. Aber wenn ich ohnehin meinen Einkaufswagen durch den Laden schiebe, muss ich eher weniger mit dem Auto zahlen können. Wir werden in den kommenden Jahren viel ausprobieren, etwa wenn es um insassenzentrierte Dienste geht. Vermutlich werden wir den ein oder anderen Entwicklungsschritt benötigen, aber wir sind auch in einem relativ jungen Geschäftsfeld unterwegs.
Zum Ende vielleicht ein kurzer Blick in die Glaskugel: Sie haben vieles bereits angeschnitten, aber was glauben Sie, sind Aspekte des In-Car-Payments, von denen Sie glauben, dass sie die Branche in Zukunft prägen werden?
Es gibt inzwischen aktuelle Studien, die zeigen, dass die Akzeptanz, Dinge im Auto zu kaufen und zu konsumieren, auf Kundenseite immer größer wird. Die Möglichkeiten, die es beim Smartphone bereits gibt, möchten immer mehr Kunden auch im Fahrzeug nutzen und vertrauen den entsprechenden Technologien. Neben den fahrerzentrierten Diensten werden auch Erlebnisse für die Insassen an Bedeutung gewinnen – in China ist das beispielsweise die Möglichkeit, Karaoke im Fahrzeug zu singen. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die fahrzeugzentrierten Dienste weiter ausgeweitet werden und in ihrer Peripherie neue Dienste hinzukommen, etwa um die Zeit eines Ladevorgangs zu überbrücken oder bei langen Reisen für Abwechslung zu sorgen.
Zur Person:
Nico Kersten ist Managing Director und CEO bei Mercedes Pay. Mercedes Pay ist eine hundertprozentige Tochterfirma der Mercedes-Benz Mobility AG. Als Wissenszentrum rund um digitale Payments ist sie integraler Bestandteil der Mobilitäts- und Digitalisierungsstrategie der Mercedes-Benz Group AG. Vor seiner Zeit bei Mercedes Pay war Nico Kersten in verschiedenen Station bei der Mercedes-Benz Mobility beschäftigt, zuletzt als Program Manager für ePayments.