Wer macht das Rennen bei Funkstandards für das Connected Car?
Zwei Funkstandards, ein Ziel: maximale Verkehrssicherheit. Doch im Rennen um die Car2X-Zukunft geht es um weit mehr: um Marktanteile, autonomes Fahren und darum, welche Technologie den globalen Mobilitätsstandard setzt.
(Bild: ปฏิพัทธ์ เพชรโพธิ์ – Adobe Stock)
Das Connected Car macht nur dann wirklich Sinn, wenn es auch mit seiner Umgebung kommuniziert. Dafür ist ein Funkstandard nötig. Mit ITS-G5 und C-V2X stehen zwei aussichtsreiche Kandidaten in den Startlöchern. Aber welcher macht das Rennen?
Gefahren in Echtzeit melden, kann Leben retten: Stauenden, Baustellen, Rettungswagen im Anflug – all das können vernetzte Fahrzeuge sekundenschnell an die Umgebung übertragen. Sofern es dafür eine solide Funktechnik gibt, die jedes Fahrzeug beherrscht. Gleich zwei Funkstandards stehen in den Startlöchern: ITS-G5 (WLAN-basiert) und C-V2X (mobilfunkbasiert, 4G/5G). „ITS-G5 und C-V2X sind Funkstandards, die demselben Zweck dienen: Fahrzeuge sollen sich mit Hilfe digitaler Technologien gegenseitig über Verkehrs- und insbesondere über Gefahrensituationen informieren“, erklärt Ralph-Michael Goerner, Lead Engineer mit Schwerpunkt Test bei ITK Engineering.
Die Technologie ist längst marktreif – doch Industrie und Politik bremsen, weil sie uneinig darüber sind, wer das Rennen machen sollte. Dabei ist der Wettlauf um den besten Standard mehr als eine technische Detailfrage – er entscheidet über Marktanteile, über automatisiertes Fahren, darüber, wie schnell und sicher sich vernetzte Mobilität durchsetzt.
Stärken und Schwächen von ITS-G5
Ohne eine einheitliche Kommunikationsbasis für „Vehicle-to-Everything“ (V2X) wird es nicht gehen. Wie ist der Stand der Dinge? Als bewährt gilt ITS-G5, der auf dem IEEE-802.11p-WLAN-Standard basiert. „ITS-G5 ermöglicht eine sehr latenzarme Direktkommunikation ohne Mobilfunknetz und kann daher insbesondere zur Verkehrssicherheit in strukturschwachen Gebieten beitragen“, erklärt Paul Hannappel, Mobilitätsexperte beim Branchenverband Bitkom, „Die Technologie ist erprobt und teils bereits in Serie, etwa im VW Golf 8.“ Das hebt auch Goerner hervor. Die etablierte WiFi-Technologie entwickele sich beständig weiter. „Dies ist aber gleichzeitig auch ein Nachteil, wenn sehr viele Fahrzeuge zusammenkommen und kommunizieren wollen“, so der Experte, „Die erreichbare Performance sowie die Latenz verschlechtern sich, da viele Geräte um die verfügbaren Kanäle konkurrieren.“ Kurzum: Die Reichweite ist begrenzt (rund 300 Meter) und für den Austausch mit Cloud-Diensten oder Smart-City-Infrastrukturen mangelt es schlicht an Skalierbarkeit, sagen Kritiker.
C-V2X: Mobilfunkbasierte Zukunft mit Reichweite
Genau hier setzt der Konkurrent an: C-V2X (Cellular Vehicle-to-Everything): „C-V2X bietet in der Praxis meist größere Reichweite und höhere Robustheit. Die Anbindung an 5G ermöglicht kontinuierliche Verbesserungen bei Latenz, Sicherheit und Skalierbarkeit“, erklärt Hannappel. C-V2X beherrsche nicht nur die direkte Fahrzeugkommunikation, sondern sei Dank seiner Netzwerkschnittstelle für neue Use Cases gerüstet, sagt Goerner: „Der C-V2X Standard wird durch die 3GPP kontinuierlich weiterentwickelt und mit dem Mobilfunknetz verzahnt.“ Mit dem Release 16 würden bessere Latenzzeiten und Durchsatzraten erreicht, als es mit ITS-5G möglich sei. BMW und Mercedes-Benz setzen auf diesen Standard, ebenso große Netzbetreiber. Auch sie argumentieren mit den Vorzügen höherer Reichweite, Zukunftssicherheit, einfacher Integration in digitale Ökosysteme wie Smart-City- und Cloud-Dienste.
Wo liegen die globalen Unterschiede der beiden Funkstandards?
„Es zeichnet sich ein Wandel hin zu C-V2X ab, jedoch bleiben regionale Unterschiede bestehen“, berichtet Goerner, „so ist in China C-V2X bereits verbindlich als nationaler Standard definiert.“ Auch in den USA sieht es danach aus. Allerdings: Mit diesem Standard entstehen Abhängigkeiten von der Netzabdeckung und damit von den Netzbetreibern. Ohne massiven Ausbau der 5G-Infrastruktur droht eine Lücke zwischen Vision und Realität. Heißt auch: Es sind noch hohe Investitionen nötig – und zumindest hierzulande könnte es noch dauern, bis die weißen Flecken in der Netzabdeckung verschwinden.
Der globale Wettlauf um den Car2X-Standard
Während andernorts wie in China C-V2X bereits als bevorzugte Lösung gilt, setzte Europa lange auf ITS-G5. Doch nun drängen Zulieferer und Netzbetreiber auf einen globalen 5G-Standard, um Skaleneffekte zu erzielen. „Europa verfolgt Technologieneutralität und hat das 5,9-GHz-Band für sicherheitskritische C-ITS harmonisiert“, erklärt Hannappel, „Das heißt: Sowohl ITS-G5 als auch C-V2X dürfen hier betrieben werden.“ In der Praxis liefen die ersten seriennahen Day-1-Dienste (wie etwa Gefahrenwarnungen, Ampel-Infos) aktuell vor allem mit ITS-G5 – etwa in C-Roads-Projekten. „C-V2X wird parallel in immer mehr Pilotvorhaben erprobt, oft in Verbindung mit 5G“, so der Experte, „Ziel ist Interoperabilität über Grenzen hinweg – unabhängig davon, welcher Funkweg genutzt wird.“
Welche Anwendungen werden durch V2X möglich?
Damit würden endlich etliche Car2X-Anwendungen und Geschäftsmodelle möglich. „Mit einem einheitlichen Funkstandard beziehungsweise interoperablen Profilen lassen sich Car2X-Dienste herstellerübergreifend und grenzüberschreitend skalieren“, unterstreicht Hannappel, „dadurch werden Echtzeit-Gefahrenhinweise – wie Pannen, Glätte, Baustellen –, Informationen und Priorisierung an Kreuzungen und Ampeln sowie vorausschauende Geschwindigkeits- und Routenempfehlungen verlässlich.“ Für automatisierte Fahrfunktionen ermögliche Car2X eine stabilere Umfeldwahrnehmung, schnellere Reaktionen, kooperatives Fahren und effizientere Routenwahl.
Good to know: Diese Car2X-Anwendungen und Geschäftsmodelle werden durch die Festlegung auf einen Funkstandard möglich.
Beide Standards unterstützen die direkte Fahrzeugkommunikation für:
- V2V (Vehicle zu Vehicle): Direkter Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen, um Safety Botschaften auszutauschen oder den Spurwechsel zu optimieren.
- V2I (Vehicle zu Infrastruktur): Austausch von Informationen mit der Infrastruktur, um beispielsweise die Ampelzyklen an den Verkehr anzupassen oder Baustellenwarnsysteme zu integrieren.
- V2P (Vehicle zu Fußgänger): Austausch von Informationen mit Fußgängern oder Radfahrern über deren Smartphones, um diese auch an schwer zugänglichen Stellen, wie etwa hinter parkenden Fahrzeugen, erkennen zu können.
C-V2X bietet zusätzlich die Kommunikation über das Mobilfunknetz an:
- V2N (Vehicle zu Netzwerk): Erst durch die Kommunikation über Netzwerke werden Cloud-basierte Anwendungen möglich, die weit über die Kommunikation mit einzelnen Fahrzeugen, Personen oder Infrastrukturkomponenten hinausgehen.
C-V2X und 802.11p: Es wird nur einen geben
Welcher Standard wird das Rennen machen? „Kurz- bis mittelfristig ist eine Mischform realistisch. Die Frage, welche Car2x-Technologie sich langfristig im Markt durchsetzen wird, ist offen“, meint Hannappel. Beide Standards arbeiteten im ITS 5.9 GHz Band, so Goerner, C-V2X und 802.11p koexistierten durch Nutzung unterschiedlicher Kanäle im gleichen Band, so dass aktuell ein hybrider Ansatz beider Technologien bestehe. Noch. „Im Zuge der Entwicklung hin zum autonomen Fahren hat C-V2X aber durch den Verbund mit dem Mobilfunknetz klare Vorteile und bietet die Möglichkeit, die Fahrzeugkommunikation weiterzuentwickeln“, erklärt Goerner und kommt zu einem klaren Schluss: „Unter diesem Aspekt ist anzunehmen, dass sich C-V2X durchsetzen wird. Dieser Standard wird der Evolution der Mobilfunknetze folgen und ist damit eine Investition in die Zukunftssicherheit des mobilen Verkehrs.“
Wie sich ITS-G5 (WLAN/802.11p) und C-V2X (4G/5G) unterscheiden
Ebene / Kriterium |
ITS-G5 (WLAN-basiert, IEEE 802.11p) |
C-V2X (Cellular, 4G/5G & 3GPP) |
Ziel / Zweck |
Direkte, latenzarme Kommunikation für Sicherheits- und Gefahrenmeldungen. |
Zusätzlich für netzgestützte Dienste (Cloud/Smart City) ausgelegt. |
Technische Basis |
WLAN (IEEE 802.11p), Direktkommunikation. |
Mobilfunk (LTE/5G), direkte Kommunikation + Netzwerkanbindung. |
Kommunikationswege |
Nur direkt, ohne Netz. |
Direkt und über Mobilfunknetz. |
Unterstützte V2X-Typen |
V2V, V2I, V2P |
V2V, V2I, V2P + V2N (Cloud, Smart City) |
Latenz / Durchsatz |
Sehr niedrige Latenz direkt. |
Mit 5G stetig verbessert; Vorteile mit Release 16. |
Reichweite |
Ca. 300 m, begrenzt. |
Größere Reichweite, netzgestützt skalierbar. |
Skalierbarkeit |
Eingeschränkt bei hoher Dichte. |
Hoch durch Netz- und Cloudintegration. |
Robustheit |
Erprobt, zuverlässig in Direktkommunikation. |
Höhere Robustheit, auch für komplexe Use Cases. |
Netzabhängigkeit |
Keine, funktioniert autark. |
Abhängig von 4G/5G-Netzabdeckung. |
Eignung strukturschwache Gebiete |
Vorteilhaft, da unabhängig vom Netz. |
Limitierend ohne 5G-Ausbau. |
Digitale Ökosysteme |
Begrenzt, keine V2N-Anbindung. |
Sehr gut, Cloud- und Smart-City-fähig. |
Weiterentwicklung |
WiFi-basiert, Entwicklung mit Limits. |
3GPP-Standardisierung, stetige Updates. |
Industrie-Support |
VW Golf 8 (Serie). |
BMW, Mercedes-Benz, Netzbetreiber. |
Regionale Standards |
Europa: Technologieneutralität. |
China: Pflichtstandard; USA: Tendenz zu C-V2X. |
Koexistenz |
Beide im ITS-5,9-GHz-Band; koexistieren über unterschiedliche Kanäle. |
Investitionsbedarf |
Geringer, auf WiFi basierend. |
Hoch, benötigt 5G-Ausbau. |
Automatisiertes Fahren |
Stabilere Umfeldwahrnehmung, aber limitiert. |
Klare Vorteile durch Netzintegration. |
Marktausblick |
Kurzfristig realistisch in Mischform. |
Langfristig wahrscheinlicher Sieger (Experteneinschätzung). |