Eine Frau verschränkt ihre Arme auf dem Fahrersitz eines autonomen Autos der Firma Tesla.

Neben politischen Entscheidungen bedarf es zum Durchbruch des autonomen Fahrens auch die Akzeptanz der Nutzer. (Bild: Shutterstock/Flystock)

Obwohl jeder Autofahrer von seinem Können überzeugt ist, kracht es täglich auf Deutschlands Straßen. 2019 ist die Zahl der Verkehrstoten hierzulande zwar auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gesunken. Trotzdem verloren noch immer mehr als 3.000 Menschen ihr Leben bei einem Unfall.

Als Ursache taucht in Polizeiberichten und offiziellen Verkehrsstatistiken immer öfter Ablenkung auf: Am Steuer wird telefoniert, man schielt wie selbstverständlich auf das Smartphone-Display, wenn WhatsApp-Nachrichten reinkommen, oder navigiert sich mit Google Maps ans Reiseziel. Viele Fahrer sind unkonzentriert und abgespannt.

Ein Plus an Sicherheit

All diese menschlichen Einschränkungen sollen in einem autonom fahrenden Auto nicht existieren. Geht es nach dem Wunsch der Entwicklungsingenieure, befindet es sich immer im selben Wahrnehmungszustand – egal ob man morgens um sieben Uhr einsteigt oder sich spät nachts nachhause chauffieren lässt.

Sensoren werden nicht müde. Kein Wunder, dass ein Plus an Sicherheit, mehr Komfort sowie physische und psychische Entlastung für die Befürworter des vernetzten und hochautomatisierten Fahrens auf der Habenseite ganz oben stehen.

ADAC-Präsident August Markl ist überzeugt: „Automatisiertes Fahren birgt deutlich mehr Chancen als Risiken, sowohl für die Verkehrssicherheit als auch für die persönliche Mobilität des Einzelnen.“ Vorausgesetzt natürlich, dass Kameras, Radar und Lidar bei Schneefall im Winter ebenso präzise funktionieren wie bei Sonnenschein im Sommer.

Abhängigkeit von technischen Systemen

Stimmen die Parameter, arbeitet die Technologie schon heute um ein Vielfaches zuverlässiger und konstanter als jeder menschliche Fahrer. Aber: „Wichtig bleibt bei allen Innovationen auch in Zukunft, dass die Menschen selbstbestimmt mobil unterwegs sein können“, fordert Markl.

Genau an dieser Nahtstelle tobt unverdrossen eine Diskussion unter Experten, vor allem dann, wenn künstliche Intelligenz ins Spiel kommt. Die zentrale Frage lautet: Wie viel Abhängigkeit von technischen Systemen sind Menschen bereit zu akzeptieren, um im Gegenzug in den Genuss von mehr Sicherheit, Komfort und Mobilität im Straßenverkehr zu kommen?

Markus Beller, Connected-Car-Experte beim Softwareentwickler Double­Slash in Friedrichshafen am Bodensee, weiß: „Es kommt darauf an, wie vertraut wir mit der Technologie und deren Funktionsweise sind. Jemand, der schon heute oft mit dem Komfortfeature Active Cruise Control unterwegs ist, wird es leicht fallen, sich für einen noch höheren Autonomiegrad zu öffnen.“

Eine Frage der Ethik

Akzeptanz durch Ausprobieren – was auf Verbraucherseite als gangbarer Weg erscheinen mag, müssen Politik und Wissenschaft freilich in einen größeren Kontext stellen. Dann geht es nicht allein um die Leistungsfähigkeit und User Experience einzelner technischer Systeme, sondern um grundlegende ethische Grenzen.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission für automatisiertes und vernetztes Fahren stellte nach intensiver Beratung in einem ihrer Berichte sogar die Frage, ob lebensexistenzielle Entscheidungen überhaupt abstrakt-generell vorweggenommen und technisch vorentschieden werden dürfen.

Eine verbindliche Antwort blieb das hochrangig besetzte Gremium schuldig. Wohl auch weil vollautonomes Fahren – konsequent zu Ende gedacht – eben genau das bedeutet: Programmierer übertragen zutiefst menschliche und ethisch relevante Entscheidungen auf technische Artefakte. Als bloßer Passagier in einem autonomen Fahrzeug wäre der Mensch in einer existenzbedrohenden Situation wie einem schweren Unfall durch künstliche Intelligenz fremdbestimmt.

Neuronale Netzstrukturen

Ob sich dieser gordische Knoten durchschlagen lässt, ist derzeit alles andere als klar. Fest steht nur: Ohne KI wird vollautonomes Fahren wohl nicht möglich sein. Die Information, die ein einzelner Sensor liefert, reicht bei Weitem nicht aus, um die komplexe Gesamtsituation rund um ein Fahrzeug abzubilden und die menschliche Sinneswahrnehmung zu ersetzen.

Für eine präzise und zuverlässige Signalverarbeitung braucht es passende Softwarealgorithmen, die all diese Informationen in Echtzeit für die unterschiedlichen technischen Assistenzsysteme aufbereiten. Erst durch die Kombination von Radar-, Bild-, Ultraschall-, Wärmebild- und Lidarsensoren können Einzelsysteme komplementär zusammenwirken – eine Grundvoraussetzung für moderne FAS-Funktionen sowie das autonome Fahren an sich.

Softwareexperte Beller warnt davor, das Trainieren von KI-Systemen im Auto auf die leichte Schulter zu nehmen: „In der klassischen Programmierung bestimmen bedingte Anweisungen und Verzweigungen die Kontrollstrukturen eines Systems. Lernt ein System über Daten, werden genau diese manuell erstellten Programmabschnitte durch selbstgelernte neuronale Netzstrukturen ersetzt, die allerdings häufig eine Blackbox sind.“

Keine Fehlertoleranz

Die Folgen sind bekannt: Jeder Algorithmus ist nur so gut wie die Daten, auf denen er aufbaut. Kommen in kritischen Situationstrainings beispielsweise nur rotlackierte Testfahrzeuge zum Einsatz, wird das System sein Verhalten exakt darauf abstimmen.

„Ein Fahrzeug muss mit dem Elefanten auf der indischen Landstraße genauso wie mit der deutschen Autobahn ohne Tempobeschränkung zurechtkommen und entsprechend reagieren. Wer im Machine Learning nicht eine unglaubliche Zahl unterschiedlicher Szenarien in diversen Ausprägungen betrachtet und simuliert, handelt fahrlässig“, so Markus Beller.

Und noch etwas ist unerlässlich: Heutige Autofahrer müssen dazu bereit sein, sich ohne Wenn und Aber auf das autonome Fahren einzulassen. Hier gibt es quer durch alle Interessengruppen nach wie vor große Vorbehalte. Gesellschaftlich ist es akzeptiert, dass menschliche Autofahrer Fehler begehen – letztlich der Grund dafür, weshalb es Teil- und Vollkaskoversicherungen gibt.

Die Fehlertoleranz, die einem autonom fahrenden Auto zugestanden wird, aber tendiert gegen null. Allzu oft wird in der Diskussion die Position deutlich, einem selbst würden solche Fehler am Steuer nie unterlaufen – eine Selbstüberschätzung, die alles andere als hilfreich ist.

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