Auf einem Computerbildschirm ist das Rendering einer Montagelinie in der Fahrzeugproduktion zu sehen

Mit der Omniverse-Plattform will BMW die virtuelle Planung und Konstruktion hochkomplexer Fertigungssysteme revolutionieren. (Bild: BMW)

Der Begriff Industrie 4.0 ist in die Jahre gekommen. Trotzdem orientieren sich an diesem Konzept weiterhin viele Unternehmen, vor allem in der Automobilindustrie. Digitale Fabriken besitzen großen Charme. Im letzten Jahr hat sich gezeigt, dass vernetzte Maschinen und Anlagen nicht nur die Grundlage für zahlreiche Prozessverbesserungen liefern, sondern zudem einen Beitrag zur Bewältigung der Coronakrise leisten können. „Gerade ist eine enorme Bereitschaft da, den nächsten Digitalisierungssprung zu erreichen – sowohl in den Unternehmen als auch in der Politik“, sagt Frank Melzer, Vorstand Produkt- und Technologiemanagement des Automatisierungsspezialisten Festo und bis April Lenkungskreisvorsitzender der Plattform Industrie 4.0.

Seiner Meinung nach hat das Bundeswirtschaftsministerium völlig zu Recht die digitale Transformation der Produktion in der Zulieferindustrie in das milliardenschwere Konjunkturpaket und Investitionsprogramm für den Fahrzeugbau aufgenommen. Eine vernetzte Produktion und Logistik könne Herstellern wie Zulieferern helfen, flexibel auf Ausfälle zu reagieren. Auslastung und Zustand jeder einzelnen Maschine lassen sich in Echtzeit verfolgen und es herrscht Transparenz über die Lieferkette hinweg.

Fabrik der Zukunft erfindet sich ständig neu

„Die Vernetzung kann Unternehmen gerade in Ausnahmezeiten wie diesen weniger verwundbar machen und unterstützt dabei, sicher durch die Krise zu navigieren“, zeigt sich Bosch-Geschäftsführer Rolf Najork überzeugt. Er ist beim Autozulieferer zuständig für die Industrietechnik und spricht über eine Vision, die weit reicht: In der Fabrik der Zukunft sollen nur noch Boden, Wände und Decke statisch und fest sein, das Equipment dagegen variabel und flexibel. Je nach Anforderung erfindet sich die Fabrik der Zukunft immer wieder neu.

Solch ein Optimismus wie bei Bosch tut gut, für grenzenlose Euphorie aber besteht kein Anlass. Eine aktuelle Studie des Beratungshauses Roland Berger zur Produktion der Zukunft zeigt: Der Weg zur vollständig digitalisierten Fabrik ist vor allem für deutsche Mittelständler noch weit. Der Grund: Meistens sind die Use Cases digitaler Technologien in der Fertigung auf einzelne Aufgaben zugeschnitten, nur selten folgen sie einem ganzheitlichen strategischen Ansatz. „Für die erfolgreiche Umsetzung der Industrie 4.0 bedarf es einer klaren Digitalisierungsvision“, mahnt Oliver Knapp, Senior Partner bei Roland Berger in Stuttgart und einer der Studienautoren.

Investitionen in die Digitalisierung steigen

Die Untersuchung zeigt auch, dass 70 Prozent der befragten Führungs- und Fachkräfte in den kommenden beiden Jahren ihre Investitionen steigern wollen – durchschnittlich sind 20 bis 30 Prozent des gesamten Investitionsbudgets für Digitalisierung vorgesehen. Für die Verwendung neuer Technologien sind in erster Linie die Verbesserung von Prozessen (64 Prozent) und das Senken von Kosten (44 Prozent) ausschlaggebend. Im Ranking ganz vorne finden sich Themen wie Big Data, Analytik mithilfe künstlicher Intelligenz, Robotik und Automatisierungsvorhaben.

Zwei Produktionsmitarbeiter von Mercedes-Benz stehen im Werk Bremen vor einem großen Informationsbildschirm
Digitale Tools unterstützen im Mercedes-Benz Werk Bremen die Produktionsmitarbeiter. (Bild: Daimler)

Mercedes-Benz zum Beispiel hat vor, die Digitalisierung in seinem globalen Produktionsnetzwerk auf das nächste Level zu heben. Gemeinsam mit Siemens als Partner will Jörg Burzer, verantwortlich für Produktion und Supply Chain Management, die Entwicklung von nachhaltigen Zukunftstechnologien vorantreiben. Dazu wird der Standort Berlin-Marienfelde in ein Kompetenzzentrum für Digitalisierung transformiert. Der Fokus liegt auf Entwicklung und Implementierung des digitalen Ökosystems MO360. Die Automatisierungs- und Softwarelösungen von Siemens dienen als Grundlage, um die physische mit der virtuellen Welt zu verbinden und die Produktionstechnik mit der IT. „Dies eröffnet neue Möglichkeiten, um die riesigen Datenmengen, die in Produktion und Entwicklung entstehen, zu erfassen, zu verstehen und zu nutzen“, so Jörg Burzer.

BMW und Nvidia bauen an neuer Plattform

Auch BMW ist auf der Suche nach einem unterstützenden Partner fündig geworden. Gemeinsam mit Chiphersteller Nvidia arbeiten die Münchner an der Omniverse-Plattform und versprechen sich einen völlig neuen Ansatz, um hochkomplexe Fertigungssysteme zu erdenken. „Das Tool zur virtuellen Fabrikplanung integriert verschiedene Planungsdaten und -anwendungen und ermöglicht Zusammenarbeit in Echtzeit ohne Kompatibilitätsgrenzen“, erläutert BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic. Natürlich ist die virtuelle Planung von Fabriken bereits weit verbreitet. Bisher jedoch müssen Daten aus unterschiedlichen Anwendungen transferiert werden, was nicht nur zeitaufwendig ist, sondern auch zu Kompatibilitätsschwierigkeiten führt. Nicht immer können die allerneuesten Daten berücksichtigt werden.

Die Omniverse-Plattform soll die Möglichkeit bieten, Live-Daten aus allen relevanten Datenbanken in einer gemeinsamen Simulation zusammenzuführen. Ein Re-Import von Daten wird damit überflüssig. Ziel ist es, in einem frühen Planungsstatus Veränderungen und Anpassungen zu beurteilen und eine Gesamtansicht zu erzeugen. Das versetzt Produktionsspezialisten in die Lage, selbst hochkomplexe Systeme schnell und dennoch genau zu planen, ohne dass es zu Schnittstellenverlusten kommt. Struktur- und Facility-Daten sollen ebenso integrierbar sein wie Positionen und Teilenummern von Material im Produktionsprozess.

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