Daimler hat sich dazu entschlossen, den Betrieb der IT-Infrastruktur outzusourcen. Um Service Desk, Arbeitsplatz-Support, Rechenzentren, Netzwerke und SAP soll sich künftig Dienstleister Infosys kümmern. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Wir sind bei der Analyse unserer IT-Landschaft einen Schritt zurückgetreten und haben das ganze Bild aus einer strategischen Perspektive betrachtet. Dabei hat sich bestätigt: Die Anforderungen an Software werden immer spezifischer und die Infrastruktur wächst unaufhaltsam. Eine Entwicklung, die es so nicht nur bei Daimler gibt, sondern sicher in vielen anderen Industrie-Unternehmen auch. Die konsequente Entscheidung war: Wir wollen massiv in die interne Softwareentwicklung investieren und auf der Infrastrukturseite nach Skaleneffekten suchen.
Mussten Sie Ihre Outsourcingstrategie anpassen?
Nein, wir verstehen das Vorhaben vom Grundsatz her nicht als klassische Outsourcingmaßnahme, sondern als strategische Weiterentwicklung. Nicht der Kostenaspekt stand im Vordergrund, sondern ein abgestimmter Dreiklang aus Software-Engineering, technologischen Innovationen und einer qualitativen Transformation.
Bedeutet konkret?
Nach Erhalt aller behördlichen Genehmigungen wollen wir die Infrastruktur über die Größe unseres Konzerns hinaus skalieren. Dabei halten wir uns die Möglichkeit offen, intern weiter zu konsolidieren. Und wir haben eine umfangreiche Modernisierung fest im Blick. Beispielsweise geht es darum, die Netzwerkarchitektur und die Betriebsmodelle in den Rechenzentren zu ändern. Damit Sie verstehen, worauf wir hinaus wollen: Wir sind ein Unternehmen mit weltweit mehr als hundert Rechenzentren. Große Betreiber wie Amazon, IBM, Microsoft oder Alibaba versorgen einhundert und mehr Firmen in einem einzigen Datacenter. Wir haben also Luft nach oben. Das Stichwort lautet Defragmentierung.
Wird sich am Operating-Modell, das Sie in den letzten Jahren aufgebaut haben, etwas grundlegend ändern? Oder übernimmt Infosys die Vorlage 1:1?
Das ist genau der Punkt, den ich für absolut erfolgskritisch halte. Wir gehen in zwei Stufen vor: Wir werden den Status quo in die Verantwortung von Infosys überführen und dann die Transformationsphase starten. Wir wollen Rechenzentrumsstandorte konsolidieren, die Netzwerkarchitektur modernisieren und alle Bereiche signifikant weiterentwickeln.
In den Jahren 2014 und 2015 hat Daimler IT-Dienstleistungen in den Konzern zurückgeholt, beispielsweise den Betrieb der SAP-Systeme. Wie lange werden Sie diesmal auf Outsourcingkurs bleiben?
Sicherlich lange. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zu früheren Maßnahmen: Diesmal steht der transformatorische Charakter klar im Fokus. Die Verantwortung für wichtige Applikationen verbleibt im Unternehmen. Die Skalierung der global verteilten Cloud-Infrastruktur ist langfristig angelegt.
Die Ausschreibung der IT-Services hat sich über das komplette zweite Halbjahr 2020 hingezogen. Wie viele Dienstleister haben Angebote abgegeben und was hat am Ende den Ausschlag für Infosys gegeben?
Wir haben keinen klassischen Ausschreibungsprozess durchlaufen. Die Materie ist äußert komplex – da kommt man nicht weit, wenn man einer Handvoll Provider Spezifikationen über den Zaun wirft. Deshalb waren wir gemeinsam mit mehreren potenziellen Partnern in einem Co-Creation-Prozess unterwegs und haben ihnen von Anfang an weitreichenden Einblick in unsere Infrastruktur gewährt. Jeder sollte wissen, was ihn erwartet. Auf die Longlist haben es acht Anbieter geschafft, drei Provider kamen in die engere Auswahl und damit in die konkrete Co-Creation. Am Ende hat Infosys das Rennen gemacht. Ausschlaggebend waren die Technologiekompetenz und Innovationsfähigkeit des Unternehmens, die wirtschaftliche Attraktivität sowie die Zuversicht, das Mitarbeiter der Daimler-IT, die zu Infosys wechseln sollen, in diesem Wachstumsunternehmen sehr gute Chancen haben, sich weiterzuentwickeln. Ich weise aber explizit noch einmal darauf hin, dass behördliche Genehmigungen ausstehen, bevor der Vertrag Rechtswirksamkeit erlangt.
Hand aus Herz, Herr Brecht: Wie haben Ihre Mitarbeiter auf den Outsourcing-Deal reagiert?
Die strategische Entscheidung an sich war für die meisten Kolleginnen und Kollegen gut nachvollziehbar und ist auf Verständnis gestoßen. Der Outsourcing-Teil aber wird natürlich kritisch betrachtet, da will ich ganz ehrlich sein. Wir mussten schwierige Diskussionen führen, vor allem in der Zeit, als Infosys als Partner noch nicht ausgewählt war. Jetzt steht fest, dass wir mit einer Wachstumsfirma zusammenarbeiten wollen, in der IT-Infrastruktur zum Kerngeschäft gehört. Das eröffnet Chancen – und wir konnten beobachten, wie sich die Stimmung in der Belegschaft aufgehellt hat.
Müssen Sie den Abfluss von Knowhow fürchten? Wenn ja: Was können Sie dem entgegensetzen?
Wir haben streng darauf geachtet, dass wir strategiefähig bleiben. Sollte es überhaupt zu einem Knowhow-Abfluss kommen, wird er sehr begrenzt ausfallen und in den Bereichen rund um die Arbeitsplatzsysteme oder bei mobilen Endgeräten liegen, die wir als nicht differenzierend und damit als unkritisch betrachten.
Wann konkret startet die Transitionsphase und welche Kerneigenleistungsquote streben Sie am Ende an?
Sobald alle behördlichen Genehmigungen vorliegen, werden wir in die Transitionsphase einsteigen. Stand heute gehen wir davon aus, dass wir die Betriebsverantwortung für die genannten Bereiche im dritten Quartal 2021 an Infosys übergeben können. Die Transformation mit Modernisierung, Konsolidierung und Skalierung schließt direkt daran an. Die Frage der Kerneigenleistungsquote haben wir nicht weiter verfolgt, weil es für unsere Strategiefähigkeit zweitrangig ist, ob sich dieser Wert um fünf oder zehn Prozent verringert.
Zwischen Daimler und Infosys soll nicht nur ein Auftraggeber/Auftragnehmer-Verhältnis bestehen, sie streben eine strategische Partnerschaft an. Warum haben Sie sich für diese weitreichende Form der Zusammenarbeit entschlossen?
Die Infrastruktur ist und bleibt ein wichtiger Baustein in unserer IT-Strategie, selbst wenn Infosys die Betriebsverantwortung übernimmt. Am Ende funktionieren Kooperationen immer dann besonders gut, wenn beide Seiten partnerschaftlich zusammenarbeiten und gegenseitig voneinander profitieren.
Zwischen dem R&D-Center von Mercedes-Benz im indischen Bangalore und der Zentrale von Infosys liegen keine 30 Kilometer. Spricht die räumliche Nähe perspektivisch auch für eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Software?
Ich habe eingangs bereits darauf hingewiesen: Ein wesentlicher Beweggrund für die Arbeitsteilung ist es, finanzielle und personelle Kapazitäten für die interne Softwareentwicklung zu schaffen. Infosys kann sicherlich fallweise ein Partner in Software-Entwicklungsprojekten sein, wir werden im Bereich Software-Engineering aber generell nicht in ein Outsourcing-Modell gehen, sondern intern die Kompetenz weiter ausbauen.