Rosita Kraus, Publicis Sapient

„Wer nicht handelt, wird unsichtbar“

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Rosita Kraus vom Beratungshaus Publicis Sapient berät Autohersteller in der digitalen Transformation. Das Thema Agentic Experience nimmt dabei einen immer größeren Stellenwert ein.

KI-Agenten verändern die Customer Journey in der Autoindustrie radikal. Rosita Kraus von Publicis Sapient erklärt, warum maschinenlesbare Daten und neue Vertrauenssignale jetzt über die Sichtbarkeit von Automarken entscheiden.

Künstliche Intelligenz verändert die Spielregeln im automobilen Vertrieb: KI-Agenten übernehmen zunehmend die Rolle des digitalen Beraters und beeinflussen Kaufentscheidungen, bevor der Kunde überhaupt eine Herstellerseite besucht. Für OEMs bedeutet das eine radikale Neuausrichtung ihrer digitalen Strategien: Weg von klassischen Touchpoints, hin zu maschinenlesbaren Daten und neuen Vertrauenssignalen.

Rosita Kraus, Senior Client Partner Transportation & Mobility bei Publicis Sapient, begleitet Automobilhersteller bei ihrer digitalen Transformation. Im Gespräch erklärt sie, warum die neuartige „Agentic Experience“ einen strategischen Wendepunkt markiert und welche Schritte OEMs jetzt gehen müssen, um sichtbar zu bleiben.

Frau Kraus, wenn in der Autobranche künftig KI-Agenten die Kaufentscheidung zunehmend steuern: Welche traditionellen Touchpoints verlieren aus Ihrer Sicht zuerst an Relevanz und wo entstehen neue Chancen für OEMs?

Der klassische Recherche-Pfad bricht weg. Kunden stellen keine Keywords mehr ein, sondern komplexe Fragen: „Welches Elektro-SUV ist sofort verfügbar und hat den besten Winterverbrauch?“ KI-Systeme wie ChatGPT oder Google SGE liefern die Antwort direkt – häufig ohne einen einzigen Klick auf eine Herstellerseite. Bereits 59,7 Prozent der EU-Google-Suchen enden laut SparkToro ohne Website-Besuch. Was stirbt? Die generische OEM-Website als Einstieg, Vergleichsportale als erster Touchpoint oder der Autohausbesuch zur reinen Orientierung. Die Chance: Wer strukturierte Fahrzeugdaten liefert – maschinenlesbar, konsistent, aktuell – wird zur Empfehlung. Hersteller könnten Konfiguratoren API-fähig machen, sodass ChatGPT direkt individuelle Angebote berechnet. Der Showroom bleibt als Vertrauensanker und Erlebnismoment – nicht mehr als Recherche-Tool.

Automobilhersteller investieren seit Jahrzehnten in emotionale Inszenierung und Markenwelten – verstärkt im digitalen Raum. Wie radikal müssen Hersteller umdenken, wenn Algorithmen statt Menschen die Customer Journey dominieren?

Das ist kein Entweder-oder. Emotionen bleiben zentral, aber sie müssen anders platziert werden. Der Denkfehler wäre anzunehmen, KI entscheide rein rational. Das Gegenteil ist der Fall: KI wertet aus, was Menschen geschrieben haben – Testberichte, Forenbeiträge, Bewertungen. Marken mit emotionaler Strahlkraft haben weiterhin Vorteile, aber nur wenn diese Emotionen maschinenlesbar dokumentiert sind. Das Paradigma verschiebt sich von SEO zu GEO – Generative Engine Optimization. Statt auf Keywords zu optimieren, braucht es Schema.org-Standards für Fahrzeugdaten. Statt Backlinks zählt Datenkonsistenz über alle Plattformen hinweg. Statt Content-Masse sind es Fakten anstelle von Floskeln, die maschinenlesbar aufbereitet werden müssen. Und statt Ranking-Positionen werden Vertrauenssignale wie authentische Bewertungen und Siegel entscheidend.

Was heißt das konkret?

Die emotionale Inszenierung wandert vom Hero-Banner ins authentische Kundenerlebnis, das KI dann als Vertrauenssignal verarbeitet. Das Prinzip lautet nicht mehr „Wir inszenieren Begehrlichkeit", sondern „Wir machen uns empfehlenswert".

Die neu entstehende „Agentic Experience“ ist freilich kein rein technisches Thema. Warum ist es aus Ihrer Sicht ein strategischer Wendepunkt und welche ersten Schritte sollten OEMs jetzt zwingend einleiten, um relevant zu bleiben?

Agentic Experience bedeutet: KI-Agenten recherchieren, vergleichen und vorselektieren stellvertretend für Kunden. Das ist kein IT-Projekt, sondern unternehmensweite Transformation. Wer nicht handelt, wird unsichtbar. Beginnen Sie mit einem Realitäts-Check: Fragen Sie ChatGPT heute, welches Elektro-SUV unter 50.000 Euro es empfiehlt. Taucht Ihre Marke auf? Wenn nein, wissen Sie, wo Sie stehen. Dann braucht es Datendisziplin: Fahrzeugdaten müssen maschinenlesbar sein – über schema.org/Vehicle-Standards und aktive APIs zu CRM und DMS. Preis, Verfügbarkeit und Ausstattung müssen über alle Kanäle hinweg identisch sein. Jede Abweichung kostet Vertrauen beim Algorithmus. Gleichzeitig sollten Vertrauenssignale wie Bewertungen, Siegel und Zertifikate nicht nur im Marketing leben, sondern maschinenlesbar hinterlegt sein. Und definieren Sie eine neue Messgröße: Agent Visibility – wie oft erscheinen Sie in KI-Antworten? Die Frage dabei lautet nicht mehr „Wie ranken wir bei Google?“, sondern „Empfiehlt uns die KI?“