Elon Musk war wieder einmal "on fire", wie die Amerikaner sagen. Also ziemlich gut drauf. "Ich bin zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr die grundlegende Funktionalität für autonomes Fahren des Levels fünf erreichen", ließ der Tesla-Chef in einer Videobotschaft anlässlich der "World Artificial Intelligence Conference" (WAIC) in Shanghai verlauten. Der exzentrische Milliardär ist selten um sensationelle Ankündigungen verlegen. Und auch diese nährte einmal mehr die Befürchtung, dass Deutschland und seine Automobilindustrie beim autonomen Fahren abgehängt werden.

Doch Elon Musk dürfte nach Einschätzungen von Experten wieder einmal zu optimistisch sein - vor allem, was den Zeitrahmen angeht. "Außer einer grundsätzlichen Prinzip- und Funktionsdarstellung sehe ich das dieses Jahr in keiner Weise. Beim besten Willen nicht", sagt Ricky Hudi, ehemals Leiter Elektrik/Elektronik bei Audi und jetzt unter anderem Vorsitzender von "The Autonomous", einer globalen Vereinigung, die sich dem autonomen Fahren verschrieben hat. Dort treffen sich regelmäßig die führenden Köpfe der Automobilhersteller, Zulieferer und Halbleiter-Produzenten, um Erkenntnisse und neue Ideen zu besprechen. Denn mittlerweile ist auch klar, dass eine Firma alleine das autonome Fahren der höchsten Ausprägung kaum in einem vernünftigen Zeitrahmen realisieren kann. Konsortien und gemeinsame Anstrengungen sind nötig, um diese Mammutaufgabe zu stemmen.

Deutschland nimmt jetzt das Heft in die Hand. Nach der Sommerpause will das Verkehrsministerium ein Gesetz auf den Weg bringen, das den Betrieb von Autos, die Level 4 des autonomen Fahren beherrschen, auf öffentlichen Straßen grundsätzlich regelt. Damit könnten die Fahrzeuge dann von München nach Hamburg selbstständig auf Autobahnen unterwegs sein. "Dieser Schritt ist essentiell auf dem Weg zum autonomen Fahren", sagt Dr. Benedikt Wolfers, der auf Regulierung des Automobilsektors spezialisiert ist. Denn die dringend benötigten Rahmenbedingungen auf internationalem Parkett festzuzurren, würde Jahre dauern. Wertvolle Zeit, die mit dem zielgerichteten Entwickeln der Robo-Autos deutlich besser genutzt ist.

Alteingesessene Autobauer unter Druck

"Mit diesem Gesetz ist Deutschland weltweit führend", meint Wolfers. Allerdings ist es wichtig, dass dies keinen Persilschein oder Frühstart für die deutsche Automobilindustrie darstellt, sondern ein technologieoffenes Gesetz sein soll, das auch für internationale Autobauer die Möglichkeit bietet, ihre Fahrzeuge hier zu betreiben. Wenn also Waymo oder eben auch Tesla die technischen Rahmenbedingungen erfüllen, die in dem 50 bis 80-seitigen Papier festgelegt sind, wird das Kraftfahrtbundesamt die Zulassung erteilen.

Das setzt die alteingesessenen Autobauer unter Druck. Die Ausrede, die fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen würden die technische Entwicklung einbremsen, ist damit hinfällig. Ricky Hudi hat seine Zweifel, ob Mercedes, Renault & Co. bereit für den nächsten großen Schritt in der Automobilbranche sind. "In der traditionellen Automobilindustrie ist auf der Vorstandsebene zu wenig Software-Kompetenz vorhanden", so der Experte. Also müssen in den Chefetagen umgedacht alte Zöpfe und Gewohnheiten abgeschnitten werden. Sonst nutzen die Tablet-Autobauer die Gunst der Stunde.

Allerdings ist auch klar, dass nicht von heute auf morgen autonom agierende Fahrzeuge auf Autobahnen und baulich getrennten Fahrbahnen unterwegs sein werden. Bis die ersten Robo-Autos mit Level 4 unterwegs sind, werden noch etwa fünf Jahre ins Land gehen. Und auch dann werden die Fahrzeuge klein anfangen. "Wenn Sie mit dem Klettern beginnen, besteigen Sie auch nicht sofort einen 8.000er"; macht Ricky Hudi die Vorgehensweise klar. Die autonomen Autos werden zunächst in klar definierten und damit beherrschbaren Bereichen und Szenarien, sogenannten "Operational Design Domains" (ODD), unterwegs sein - also als People Mover auf dem Universitätscampus, auf dem Firmengelände oder als Transporter am Flughafen. Erst wenn die Fahrzeuge diese Aufgaben fehlerfrei beherrschen, folgt der nächste Schritt. Wie bei einem Kleinkind, das Fahrradfahren lernt.

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