
Der US-Fahrdienstleister Lyft expandiert nach Europa und erweitert sein Mobilitätsangebot durch die Übernahme von FreeNow. (Bild: FreeNow)
Der US-amerikanische Fahrdienstleister hat angekündigt, die Mobilitätsplattform FreeNow zu übernehmen, die seit Februar 2019 zu einem Joint-Venture zwischen BMW und Mercedes gehört. Der Erwerb erfolgt zu einem Kaufpreis von rund 175 Millionen Euro. FreeNow werde sein Geschäft, fortsetzen und sein Wachstum in neun Ländern und mehr als 150 Städten in Irland, Großbritannien, Deutschland, Griechenland, Spanien, Italien, Polen, Frankreich und Österreich ausbauen, wie das Unternehmen selbst in einer Pressemitteilung erklärt. Der Abschluss der Transaktion wird für die zweite Jahreshälfte 2025 erwartet, vorbehaltlich der üblichen behördlichen Genehmigungen.
„Mit FreeNow hat Lyft einen Partner gefunden, der seine Wachstumsstrategie sofort vorantreibt, Potenziale für Partner freisetzt und das Erlebnis für Fahrer und Mitfahrer gleichermaßen verbessert", kommentiert ein Unternehmenssprecher von Lyft gegenüber der automotiveIT. Lyft führe mit diesem strategischen Schritt seine bislang größte Expansion außerhalb Nordamerikas durch und verdopple so zudem seinen Markt auf mehr als 300 Milliarden private Fahrten jährlich. Zusätzlich erwarte das Mobilitätsunternehmen eine Steigerung der jährlichen Bruttobuchungen um rund eine Milliarde Euro, eine breitere Diversifizierung der Umsatzquellen und eine Stärkung der langfristigen Unternehmensziele.
„Lyfts starke Kundenorientierung ergänzt sich perfekt mit unseren langjährigen Erfahrungen in der Taxibranche", erklärt FreeNow-CEO Thomas Zimmermann. „Wir stehen fest an der Seite der Branche und sind stolzer Partner. Bei dieser Zusammenarbeit geht es darum, unsere Stärken zu bündeln, voneinander zu lernen und zu skalieren, was am besten funktioniert.“
Neue Partnerschaft soll Fahrgästen und Fahrern Vorteile bringen
FreeNow bringt langjährige Expertise im europäischen Taxigeschäft, Flottentechnologie und enge Beziehungen zu Regulierungsbehörden, Gewerkschaften und Taxiunternehmen in allen wichtigen Märkten mit. Lyft hingegen lässt Fachwissen im Plattformbereich und eine starke Kundenorientierung in die Zusammenarbeit einfließen. Die Geschäftsmodelle der beiden Plattformen soll sich ergänzen gemeinsam mehr als 50 Millionen Fahrgäste pro Jahr bedienen. Ziel sei es, das Produkterlebnis weiter zu verbessern, die Servicequalität zu steigern, das Flottenmanagement zu optimieren und den bestehenden sowie potenziellen Partnern neue globale Möglichkeiten zu bieten.
Das Potenzial hinter diesem Schritt erkennt auch der Branchenexperte und Leiter des Center of Automotive Management (CAM) Stefan Bratzel: „Mit Lyft kommt nun ein relevanter Wettbewerber auf den Markt, der ganz andere Ambitionen mitbringen könnte. Man darf erwarten, dass mehr geplant ist als das, was Free Now zuletzt geboten hat. Es besteht durchaus die Chance, dass Lyft sich als ernstzunehmender Konkurrent zu Uber in Europa etabliert. Die Fantasie reicht sogar weiter: Denkbar wäre, dass Lyft verschiedene Verkehrsträger stärker integriert und damit multimodale Angebote auf eine neue Stufe hebt."
Lyft zwischen großer Chance und anspruchsvoller Herausforderung
Für die Nutzerinnen und Nutzer von FreeNow soll sich zunächst nichts ändern. Im weiteren Verlauf sollen jedoch neue Vorteile für Fahrerinnen und Fahrgäste eingeführt werden. Fahrerinnen und Fahrern sollen etwa mehr Transparenz bei der Verdienststruktur sowie Informationen darüber geboten werden, wann mit Boni zu rechnen ist oder zu welchen Zeiten sich das Fahren besonders lohnt. Fahrgäste wiederum sollen von stabileren Preisen, schnelleren Vermittlungen sowie zusätzlichen Funktionen und Fahrtoptionen profitieren. Beide Unternehmen arbeiteten demnach auch daran, ihre Apps so zu integrieren, dass ein nahtloser Wechsel zwischen den Plattformen möglich sein soll – unabhängig davon, ob man sich in Nordamerika oder Europa befindet.
Der Eintritt in den europäischen Markt stelle jedoch auch für den langjährigen Uber-Konkurrenten eine Herausforderung dar, so Bratzel. Es handle sich um einen komplexen Markt mit zahlreichen nationalen Besonderheiten, unterschiedlichen regulatorischen Rahmenbedingungen und einer anderen Mobilitätskultur. Man habe für Free Now auch erhebliche Summen investiert, was wirtschaftlichen Druck mit sich bringe. Zudem treffe das Unternehmen in Europa auf starke Konkurrenz, etwa von Bolt. Es handle sich also nicht um eine „Pleasure Cruise“– aber um eine echte Gelegenheit, sich strategisch weiterzuentwickeln. „Es ist eine riesige Chance. Bislang war Lyft im Vergleich zu Uber deutlich begrenzter aufgestellt. Mit dem Einstieg in Europa erschließen sie sich ein komplett neues Wachstumsfeld", kommentiert der CAM-Direktor.
Automobilhersteller ziehen sich aus Shared Mobility zurück
Die Übernahme von Free Now durch das US-Unternehmen Lyft könne auch als deutliches Indiz dafür gewertet werden, dass sich klassische Automobilhersteller zunehmend aus dem Shared-Mobility-Markt zurückziehen. Laut Bratzel sei dies Ausdruck einer fortschreitenden Konsolidierung, die sich bereits seit einiger Zeit abzeichne. Der Mobilitätsexperte betont, es gebe wenige Automobilhersteller, die sich im Sharing-Bereich wirklich noch engagieren wollen. „Mercedes und BMW hatten sich ja schon länger aus dem Sharing-Markt zurückgezogen – da war klar, dass Free Now ohne neue Investitionen auf der Stelle tritt", erklärt Bratzel. Die beiden Konzerne fokussierten sich stattdessen auf ihr Kerngeschäft – insbesondere den Verkauf hochwertiger Fahrzeuge im Luxussegment.
Eine nennenswerte Ausnahme sei derzeit Volkswagen. Der Konzern plane aktuell die Einführung einer neuen Mobilitätsplattform, die Multimodalität in den Vordergrund stelle. Perspektivisch sei hier sogar die Integration automatisierter Sharing-Anwendungen denkbar. Dennoch sei VW „eher die Ausnahme“ und nicht der Beleg für eine breite Mobilitätswende unter OEMs. Vielmehr deute die Entwicklung darauf hin, dass sich die traditionellen Hersteller aus dem komplexen Plattformgeschäft zunehmend zurückziehen – sei es aus wirtschaftlichen Erwägungen oder strategischer Neuausrichtung.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 02. Mai 2025.