Daimler Truck Cascadia

Mit dem autonomen Lkw Cascadia möchte Daimler Truck die USA erobern. (Bild: Daimler Truck)

Im Schritttempo durch das enge Hoftor, dann zwei Ampelkreuzungen im Industriegebiet, raus auf die Hautpstraße und unter der Interstate durch – routiniert steuert Paul seinen Freightliner Cascadia durch den Speckgürtel von Albuquerque. Schließlich macht der Trucker seinen Job schon seit ein paar Jahrzehnten.

Doch kaum dreht er sein imposantes Fuhrwerk in Richtung Autobahn-Auffahrt, ist alles anders. Denn während sich der Himmel in der riesigen Kabine blau färbt, wird der Fahrer zum Passagier und der Virtual Driver übernimmt das Kommando. Schließlich steuert Paul keinen gewöhnlichen Cascadia, sondern einen jener Test-Trucks, mit denen Daimler zusammen mit seiner vor gut drei Jahren über eine Mehrheitsbeteiligung ins Unternehmen geholten Tochter Torc Robotics hier in New Mexiko die Zukunft vorwegnimmt. Denn seit Monaten sind Paul und seine Kollegen auf den rund 420 Meilen bis Amarillo autonom unterwegs und proben das, was Torc-Chef Peter Vaughan Schmidt die Zukunft des Speditionsgewerbes nennt: Führerlose und im besten Fall tatsächlich unbemannte Lastwagen, die auf dem gute 40.000 Meilen langen Netz der Interstates kreuz und quer durch die USA shuttlen, während die menschlichen Trucker von und zu speziellen Hubs nur noch die erste und die letzte Meile auf der Landstraße oder in die Innenstadt übernehmen – wobei diese „Meile“ bei den Dimensionen der USA und den weitmaschigen im Netz der Interstate gerne auch mal ein, zwei Nullen haben kann, räumt Schmidt ein.

Aus Visionen wird Realität

Acht Jahre nachdem Daimler den ersten Freightliner als Prototypen autonom über den Hoover Dam bei Las Vegas hat fahren lassen, sind aus den Visionen mittlerweile vergleichsweise konkrete Planungen geworden. Der Truck mitsamt den Sensoren und der redundanten Ausführung von Bremse und Lenkung, die Daimler bei einem gänzlich unbemannten Einsatz für unverzichtbar hält, soll in zwei Jahren in Serie gehen. Und bis dahin sollten sowohl Torc als auch die Google-Tochter Waymo, die auf dem Cascadia ihren eigenen Robotruck aufsetzt, soweit sein, dass bald die ersten Pilotkunden bedient werden können.

Sensorbild Daimler Truck
Fahrzeuge von Daimler Truck sollen in Zukunft autonom Waren durch die USA transportieren. (Bild: Daimler Truck)

In drei, vier Jahren will Schmidt deshalb entlang der Interstate 40 im Südwesten der USA mit fünf bis sieben seiner Hubs den Regelbetrieb mit den Virtual Driver aufnehmen und zum Ende des Jahrzehnts sieht er das Potenzial für eine Flotte von „deutlich über 10 000 Fahrzeugen“, die auf einem wachsenden Strecke an entsprechend digitalisierten und mit insgesamt gut 30 Hubs ausgestatteten Interstates durchs Land fahren.

Hubs werden zum Rückgrat der Flotte

Zwar stellt das autonome Fahren nach Level vier auf gewisse Anforderungen an das Basisfahrzeug, erläutert Schmidt und verweist auf Datensicherheit und Energieversorgung genauso wie auf Redundanz etwa bei Bremsen oder Lenkung, weil im Zweifel eben kein Fahrer mehr an Bord ist, der die Fuhre wieder einfangen kann. Doch welche Kraft den Truck antreibt, spielt für ihn keine Rolle. Im Gegenteil: Der elektrische Cascadia käme ihm mit dem höheren Anfahrdrehmoment der E-Maschine und der geringen Störanfälligkeit des E-Antriebs sogar zu pass. „Bislang hindert uns eigentlich nur die beschränkte Reichweite“, sagt Schmidt. Denn der Reiz am Autopiloten ist ja, dass er keine Pause braucht und so ein Truck dann bis zu 1.000 Meilen am Stück abspulen kann.

Mit der Technik alleine ist allerdings nicht getan. Damit die Vision wahr wird, braucht es zudem entsprechend detailliert digitalisierten Strecken, die Hubs – und eine Mission Control. „Denn heute ist der Fahrer im ständigen Dialog mit der Zentrale. Beim Virtual Driver braucht es dafür bestimmte Software als Übersetzer“, erläutert Schmidt. Und es braucht Spezialisten, die aus der Ferne nach dem Rechten sehen und eingreifen, wenn ein führerloser Fernlaster zum Beispiel mit einem Plattfuß am Straßenrand strandet.

Der Mensch wird noch lange gebraucht

Zwar braucht es in Schmidts Vision vom autonomen Truck keine Fahrer mehr, doch Angst um ihre Jobs müssen sich Männer wie Paul deshalb nicht machen, versichert der Torc-Chef. Denn selbst in den optimistischsten Prognosen werden zum Ende der Dekade allenfalls sechs Prozent der amerikanischen Frachtvolumens autonom transportiert. Angesichts eines erwarteten Anstiegs des Güterverkehrs um 30 Prozent und eines sich auch in den USA weiter verschärfenden Fahrermangels wird Trucker deshalb noch lange nicht überflüssig.

Und der Job des Torc-Testfahrers Paul ist ohnehin nicht in Gefahr: Denn bei allem demonstrativen Optimismus der Daimler-Mannschaft wird er noch ein paarmal nach Amarillo pendeln müssen, bis der Virtual Driver alle Licht- und Sichtverhältnisse beherrscht und jede unvorhergesehene Situation parieren kann: „Wir laufen hier schließlich einen Marathon und keinen Sprint.“

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