
„Der Beruf des Prompt Engineers ist aus meiner Sicht nur eine kurze Erscheinung der Zeit", sagt Professor Wolfgang Henseler. (Bild: Hochschule Pforzheim)
Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich durch den verstärkten Einsatz von KI im Design und Engineering, insbesondere im Hinblick auf die Verkürzung von Entwicklungszeiten?
Der Einsatz von analytischer aber vor allem generativer KI wird die Effizienz in allen Design- und Engineering-Bereichen extrem verbessern und die Entwicklungszeiten signifikant verkürzen. Schon mit den heutigen KI-Lösungen, den GPTs (Generative Pre-Trained Transformer, Anm. d. Red.), sehen wir im Designprozess, wie sich die Zeiten für Design-Entwürfe rasant verkürzen. Das, was früher noch aufwendig fotografiert wurde, ist heutzutage in kürzester Zeit „promptbar“. Und zwar in so fotorealistischer Qualität, dass sich das KI-generierte Bild oder Video nicht vom analog erstellten Bild oder Video unterscheiden lässt. Und Sie können sich vorstellen, welche immensen Einsparungen sich hierdurch allein im Marketing oder Vertrieb ergeben. Auch im Bereich der Programmierung sehe ich immer häufiger Entwickler, die sich den Code von ChatGPT oder ähnlichen KIs generieren lassen, diesen kurz bewerten und testen, und hierdurch signifikant schneller ans gewünschte Ziel gelangen. Das bedeutet, wer heutzutage noch nicht in allen Bereichen KI zum Einsatz bringt, der wird wirtschaftlich rasant gravierende Nachteile erfahren.
Inwiefern?
Schauen wir uns nur Themen wie Marketing-Automation oder den KI-basierten 3D-Druck an. Damit steuern sie sowohl die Relevanz ihrer Produkte beim Kunden als auch den effizienteren Einsatz von Ressourcen. Sicherlich steckt einiges noch in den Anfängen, aber dies wird aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit sein, bis die Wirtschaft begreift, dass die Märkte der Zukunft nach anderen Prinzipien funktionieren werden, als sie es in den letzten Jahrzehnten getan hat. Amazon, Apple, Meta und Co. machen uns ja vor, was KI und kundenzentriertes Denken prosperierend für Unternehmen bewirken können.
Welche technischen und organisatorischen Hürden bestehen bei der Integration von KI in bestehende Entwicklungsprozesse?
Was ich sehr häufig feststellen muss: Es fehlt an einem Zielbild, was man am Ende des Tages mit KI erreichen möchte. Häufig existieren umfangreiche Strategiepapiere oder PowerPoint-Präsentationen, aber kein „Big Picture“ auf dem die KI-Strategie übersichtlich abgebildet wird. Da dieses Gesamtbild fehlt, wird in den Unternehmen an vielen Stellen über den Einsatz oder die Integration von KI nachgedacht oder partiell schon ausprobiert. Natürlich kommen dann immer sehr schnell die Bedenken bezüglich des Datenschutzes und -nutzung, Regulatorik etc., auf den Tisch und schon existiert vielerorts Stagnation. Aber Abwarten ist in dieser rasanten Entwicklung sehr gefährlich und führt schnell dazu, dass man durchgereicht wird. Eine der größten Hürden neben den organisatorischen und technischen Herausforderungen besteht meines Erachtens im Mindset. Also dem Umdenken, Neudenken und Vordenken und nicht dem „einfach weiter so“. Wie sagte es Albert Einstein so treffend: Die heutigen Probleme werden nicht durch das gleiche Denken gelöst, die sie verursacht haben. Dahingehend ist der Mindshift, also das Umschalten im Kopf, der erste Schritt, der genommen werden muss. Und dies sollte immer ganz oben im Management starten, bevor es anschließend in alle Bereiche des Unternehmens diffundieren muss.
Wie beeinflusst das Konzept des Prompt Engineerings die Zusammenarbeit zwischen menschlichen Ingenieuren und KI-Systemen?
Prompt Engineers sind die Mediatoren zwischen einem KI-System, zum Beispiel einem GPT, und den Ingenieuren, Designern oder Marketiers. Sie kennen die spezifischen Eigenschaften der unterschiedlichen GPTs und wissen, wie diese zu befragen sind, um relevante Antworten, Entwürfe, Designs, Bilder oder Videos zu erhalten. Dabei ist der Beruf des Prompt Engineers aus meiner Sicht nur eine kurze Erscheinung der Zeit, denn spätestens mit dem Einzug der nächsten KI-Evolution, den sogenannten Agenten-Systemen oder AGI (Artificial General Intelligence, Anm. d. Red.), wird dieser Beruf obsolet werden, da wir in der Interaktion mit dieser Generation von KI keine „Übersetzer“ mehr benötigen. In der Zwischenzeit wird das Prompt Engineering vergleichbar mit dem Umgang mit dem Computer. Seinerzeit brauchte es auch Schulungen, Trainings oder Einweisungen, um den Personal Computer, der damals nur „autoexe.bat“ verstand, zu bedienen. Dann kam Apple mit benutzungsfreundlichen Geräten wie dem Macintosh, iPhone oder iPad und schon waren Handbücher und Operatoren obsolet. Ein kleiner wichtiger Blick über den Tellerrand sei mir hier noch erlaubt…
Nur zu…
Aus meiner Sicht sind die sogenannten Data Scientists viel wichtiger als die Prompt Engineers, da sie diejenigen sind, die die relevanteren KIs, also Large Language Models, Convolutional Neural Networks wie Bayesche Netze entwickeln. Also jene Lösungen, die in Zukunft für Unternehmen immer wichtiger werden, wenn wir nicht externe Systeme, wie ChatGPT oder Midjourney schlauer machen wollen.
In welchem Maße beeinflusst die Integration von KI die Wettbewerbsfähigkeit von Automobilherstellern und wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie in diesem Bereich führend bleiben?
Die Integration von KI ist vergleichbar mit dem damaligen Einzug der Computertechnologie und des Personal Computings in allen Bereichen unseres Lebens beziehungsweise der gesamten Automobilindustrie. Von der Konzeption, über die Fertigung, dem Design, dem Vertrieb, dem Marketing waren alle Bereiche davon betroffen und werden durch den Einzug von KI noch einmal elementare Veränderungen erfahren. Aber es gilt auch zu verstehen, dass KI, so wie der Personal Computer oder das Smartphone, nur ein Mittel zum Zweck ist, um die gewünschten Ziele effektiver und effizienter zu erreichen. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, bedarf es jedoch noch einer viel wichtigeren Komponente, nämlich dem kundenzentrierten Denken. Kundenzentrierte Ökosysteme bilden die Basis für die Nutzung von KI, um Wachstum und Wohlstand sicherzustellen. Denn was nützt einem die beste KI, wenn die Kunden die KI-hergestellten Produkte trotzdem nicht kaufen? Um also sicherzustellen, dass man weltweit als Automobilhersteller oder Automobilindustrieland führend bleibt, muss man sich mit beiden Themen frühzeitig auseinandersetzen. Wer dies nicht tut, verliert den Anschluss und bleibt wie die einstigen Kutschenbauer beim Einzug des Automobils auf der Strecke.
Zur Person:
Wolfgang Henseler ist Professor für Digitale Medien und intermediales Design an der Hochschule Pforzheim. Er forscht und lehrt in den Bereichen User Experience, Interface Design, Design- und Innovation-Thinking sowie KI-basierte, kundenzentrierte Ökosysteme. Als Creative Managing Director des Designstudios Sensory Minds verantwortet der 64-Jährige den Bereich „Innovative Technologies and Customer Centric Business Strategies“. Zudem gilt er als Experte für Customer Experience Management, KI-basierte Loyalitätssysteme und Business 5.0-Lösungen. Henseler berät Unternehmen wie Adidas, Amazon, Apple, BASF, Google, Mercedes-Benz, Porsche, SAP und Volkswagen zu den Chancen der Digitalisierung.