
Die Stufen des autonomen Fahrens sind nur schwer zu erklimmen. Technologische und rechtliche Herausforderungen verhindern bisher Level 3. (Bild: Shutterstock/temp-64GTX)
Laut der Society of Automotive Engineers (SAE) hat die Autonomieleiter fünf Stufen. Ganz unten steht das klassische Automobil ohne jegliche Assistenzsysteme, ganz oben gibt es nicht einmal mehr ein Lenkrad. Technologisch sind wir heute auf der zweiten Sprosse angekommen: Ultraschallsensoren helfen beim Einparken, Kameras und Radar überwachen das Verkehrsgeschehen. Im Notfall können sie zum Beispiel das Fahrzeug beim Berühren der äußeren Fahrbahnmarkierung wieder sanft in die Spur lenken oder abbremsen. „Diese Level-2-Autonomie ist heute der Stand der Dinge. Sie wird auch in den nächsten Jahren das große Volumen bestimmen“, ist Christian Schumacher überzeugt, beim Automobilzulieferer Continental im Bereich Fahrerassistenzsysteme zuständig für das Programm-Management ADAS Systems.
Um die nächste Stufe auf der Skala zu erreichen, benötigen Fahrzeuge ohne Zweifel Lidar. Das Gerät misst per Laserstrahlen Abstände zu und zwischen Objekten sowie die Geschwindigkeiten, mit denen sie sich bewegen. Das mit dem Radar verwandte System wird auf dem Dach eines Autos installiert. Dort dreht es sich um die eigene Achse und konstruiert mit seinen Messergebnissen ein Bild der Umgebung. So lassen sich andere Verkehrsteilnehmer, Hindernisse oder Passanten erkennen. Bislang steht die Freigabe für Lidar im Straßenverkehr jedoch noch aus. Im Volumensegment wird es sicher noch eine ganze Weile dauern, bis sich die Technologie durchsetzt.
Fahrer wird noch in die Pflicht genommen
Hersteller und Zulieferer arbeiten in der Zwischenzeit an sogenannten Level-2-plus-Systemen, die sich zwischen Stufe zwei und drei einordnen. „Für Nutzer fühlen sie sich an wie Level 3, haben aber den Fahrer weiterhin als Vollverantwortlichen, auch wenn er kurzzeitig schon die Hände vom Lenkrad nehmen darf“, sagt Schumacher. Der Fahrer muss weiterhin jederzeit in der Lage sein, selbst einzugreifen. „Derartige Systeme werden sich im Laufe der nächsten zehn Jahre in hohen Volumina durchsetzen“, schätzt Schumacher.
Zumindest im Bereich Parken wird es Level-4-Systeme mit hoher Automation schon früher geben als auf der Straße. Es handele sich schließlich um einen Bereich mit niedrigen Geschwindigkeiten, in dem keine Personen unterwegs sind. Bei diesem Automatisierungsgrad kann das Fahrzeug alle Fahrfunktionen unter bestimmten Voraussetzungen selbstständig durchführen. Der Fahrer selbst muss nicht mehr aktiv werden. Auch außerhalb von Bebauungsgebieten, etwa auf Autobahnen, dürften höhere Automatisierungslevel früher kommen.
Lösungsansätze für Tempobegrenzungen
Doch jedes System ist anfällig für Fehler oder – schlimmer noch – Manipulationen. In einer Untersuchung haben Forscher geprüft, was passiert, wenn sie ein Straßenschild so verändern, dass das System statt 30 km/h eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 Kilometer pro Stunde erkennt. Dazu wurde die offene Seite der „30“ mit einem Aufkleber geschlossen, um eine „80“ entstehen zu lassen. Das Testfahrzeug ließ sich mit diesem simplen Trick in die Irre führen und beschleunigte wie selbstverständlich auf die höhere Geschwindigkeit.
Dieser Fall betont die Wichtigkeit, Systeme zu entwickeln, die unmissverständlich die richtigen Informationen umsetzen. Das kann bei Uneindeutigkeit oder Manipulation zum Beispiel eine exakte Straßenkarte sein. In ihr wäre die korrekte Geschwindigkeitsbegrenzung hinterlegt. Das Fahrzeug müsste dann nur die auf einem Schild angegebene Information mit seiner eigenen vergleichen. Außerdem könnten in bestimmten Bereichen ohne Straßenschilder Geschwindigkeitsbegrenzungen fest hinterlegt sein – zum Beispiel in Kreiseln oder Kurven.
Zudem könnte künstliche Intelligenz helfen, Fehler zu vermeiden und das Fahren genauer und sicherer zu machen. Gerade im Bereich der Umfelderkennung wurden bereits erhebliche Fortschritte erzielt. „In der Theorie kann KI ein Fahrzeug alleine durch die Straßen lenken“, sagt Schumacher. „Es wird aber immer wieder Situationen geben, die das System nicht trainiert hat.“ Daher sei ein Grundsatz an regelbasiertem Programmieren nötig. „Ein Mensch lernt im Laufe seines Lebens, wie sich Dinge verhalten und wie man Situationen einschätzen kann. Dennoch bekommt man in einer Fahrschule die Verkehrsgrundregeln beigebracht“, so Schumacher. In der Software sei es genauso.
Unabhängigkeit vom Netzempfang
Ein weiteres Plus an Sicherheit erhofft man sich von der Vernetzung von Fahrzeugen untereinander. Entscheidend hierfür aber ist ein unterbrechungsfreies und leistungsfähiges Mobilfunknetz, das derzeit noch nicht flächendeckend garantiert werden kann. Außerdem ist beim autonomen Fahren elementar wichtig, dass ein Fahrzeug seine eigene Position genauestens bestimmen kann. Die dafür benötigten Straßenkarten werden wegen der großen Datenmengen in Zukunft per Funk an das Fahrzeug übertragen werden müssen, prophezeit Christian Schumacher.
Auch dafür sei aber eine unterbrechungsfreie Mobilfunkverbindung notwendig. Derzeit wird daran gearbeitet, die Bewegungsinformationen des Fahrzeugs zu nutzen, um die Position präziser bestimmen zu können. Schließlich wäre es fatal, würden per GPS von der Wirklichkeit abweichende Koordinaten bestimmt. Das könnte etwa bei einer Nicht-Erreichbarkeit einzelner Satelliten der Fall sein. Schumacher: „Wichtig ist, dass das Fahrzeug auch unabhängig von Netz- oder Satellitenempfang sicher und eigenständig fahren kann.“
Autonome Fahrzeuge lassen auf sich warten
Die Entwicklung der Technologien für eine lenkradlose Zukunft kostet viel Geld und Anstrengung. „Deshalb sind Entwicklungspartnerschaften immens wichtig. Viele OEMs und Zulieferer gehen sie ein, um voneinander lernen zu können – sowohl die Hersteller untereinander als auch in Zusammenarbeit mit externen Partnern“, sagt der Continental-Experte. Dabei rücken auch Partnerschaften mit Unternehmen von außerhalb der Branche zunehmend in den Fokus, etwa aus den Bereichen Elektronik und Software. Insgesamt entwickelt sich die Automobilindustrie von einem rein hardwaregetriebenen Geschäft zu einem auch stark softwaregetriebenen Unterfangen.
Bleibt die Frage, wann es die ersten vollautonomen Fahrzeuge ohne Lenkrad oder Pedale im Straßenverkehr geben wird. „Schon vor 15 Jahren gab es die ersten Ankündigungen, dass wir bald in automatisierten Fahrzeugen unterwegs sein werden. Doch selbst die euphorischsten Firmen aus dem Silicon Valley haben gelernt, dass es doch nicht so einfach ist, wie sie einst dachten“, gibt Schumacher zu. „Mittlerweile haben wir 2020 und es gibt bis jetzt nur in sehr spezifisch definierten Fällen, etwa beim Parken, Systeme oberhalb von Level 2.“
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