Digital Twin bei BMW

Virtuelle Zwillinge eröffnen Autoherstellern ganz neue Potenziale in der Fabrikplanung. (Bild: BMW / Andreas Croonenbroeck)

Diego Farfara ist bei BMW Leiter für Unternehmensqualität, Kundenorientierung und Produktionsplanung und damit aufseiten der IT unter anderem zuständig für die Themen Digital Twin und Simulation in der Produktion. Mit seinem Team leistet er quasi die Vorarbeit dafür, dass die Werke später vollständig digitalisiert sind und auch den immer wiederkehrenden Veränderungen standhalten – sei dies aufgrund neuer Fahrzeugmodelle oder wegen modernerer Werkzeuge, die in die Hallen einziehen. Dazu fokussiert man mittlerweile nicht mehr nur ein digitales Abbild, sondern eine grafisch – nahezu – perfekte Simulation, gefüttert mit geprüften und qualitativ hochwertigen Daten. All die Bemühungen zahlen auf die BMW iFactory ein, die beim OEM das Leitbild einer digitalen und intelligent vernetzten Fabrik darstellt.

Farfara und sein Team nutzen hierfür eine unternehmenseigene Plattform für die virtuelle Fabrik. Dabei handelt es sich nicht nur um eine grafische Repräsentation, „sondern um ein Instrument, mit dem wir tatsächlich eine parallele Welt bilden, die unsere Werke virtuell wiedergibt“, schildert der Experte. Ihm zufolge arbeitet ein funktionierendes Werk wie ein fein aufeinander abgestimmtes Ökosystem. Mit der virtuellen Fabrik habe man nun ein Instrument an der Hand, mit dem sich alle Planungsarbeiten an diesem Ökosystem erstmals umfassend bewerkstelligen lassen. Man komme auf diese Weise weg von einem System von Trial and Error mit lediglich lokalen Optimierungen und gelange zu einer alle Belange umfassenden Planung der Abläufe und Aufbauten in den Werken – zu einem veritablen Integrationsprozess, wie es der Planungsexperte formuliert. Dieses Vorgehen erspare den Beteiligten zahlreiche Schleifen, hebe Effizienzen und verkürze letztlich die Time-to-Market.

Der digitale Zwilling muss stets in Bewegung bleiben

Diese effiziente Art der Planung von Werken kann man sich in drei Phasen vorstellen: In einem ersten Schritt erfolgt die Digitalisierung. Mithilfe eines 3D-Scanners werden alle Objekte erfasst und daraus ein fotorealistisches digitales Modell erzeugt, so wie man es etwa von Google Street View kennt.

Diese Form der Digitalisierung ist jedoch statisch und eigentlich nur eine Kopie der Realität, wie Farfara sagt. So gesehen sei sie auch nicht brauchbar für die Planung, die ja nicht nur den Ist-, sondern einen Soll-Zustand abbilden will. Daher bedarf es dem Experten zufolge in einem nächsten Schritt der Ergänzung um relevante Planungsdaten. „Damit erzeugen wir eine Art virtuelle Soll-Welt des Werks, vom Shopfloor oder der Linie“, so Farfara.

In einer letzten Umsetzungsphase folgt schließlich die Simulation. Eine anspruchsvolle Aufgabe, denn ein Werk sei ein lebendiges Objekt, kein statisches Gebilde. In einer Fabrik würden Menschen und Roboter arbeiten, AGVs kreuzen, und sie sei mit allerlei Werkzeugen und Material bestückt. Mit Blick auf diese dritte Phase sprechen IT-Experten wie Diego Farfara vom virtuellen Dynamisieren, also davon, die digitale Welt in Bewegung zu setzen.

Nvidia-Technik hilft BMW bei der Virtualisierung

Für die Virtualisierung solcher Metadaten nutzt BMW Omniverse Enterprise von Nvidia. Die Planer können damit nicht nur auf Informationen aus Planungs- oder Fahrzeugdaten (3D und Meta) zugreifen, sondern in dieser virtuellen Welt mit all den daraus generierten Planungsdaten arbeiten und einen digitalen Zwilling entstehen lassen. Bereits heute verwende man an der ein oder anderen Stelle AI-Algorithmen, ergänzt Farfara – etwa indem Scannerdaten mittels KI in virtuelle Assets umgewandelt werden. BMW verfügt mit SORDI mittlerweile über einen der größten Datensätze an fotorealistischen Bildern für KI im Bereich Manufacturing.

Das ist BMWs KI-Tool SORDI

Mit dem KI-Tool SORDI digitalisiert BMW die Assets der Fabrik. (Bild: BMW)

Um die virtuelle Fabrik mit Leben zu füllen, müssen tausende Assets – vom Gabelstapler bis zur Kunststoffkiste – digitalisiert werden. Bislang war dies ein zeitaufwendiger Prozess. Mit Synthetic Object Recognition Dataset for Industries, kurz SORDI, hat BMW mit seinen Partnern Google Cloud und Nvidia ein Tool entwickelt, das mithilfe von KI Assets nahezu in Echtzeit in die virtuelle Welt übertragen kann. Damit auch andere von den Erfahrungen profitieren können, haben sich die Partner für einen Open-Source-Ansatz entschieden und bereits mehr als eine Million fotorealistische Bilder veröffentlicht. Sie zeigen rund 120 Assets aus der industriellen Fertigung in unterschiedlichsten Zuständen. Klares Ziel dabei: noch mehr Geschwindigkeit für die virtuelle Fabrik.

Auch Menschen fließen in den digital Twin ein

Einen spannenden nächsten Integrationsschritt bei der Simulation ganzer Fabriken und Gewerke geht man derzeit im Werk Regensburg. Aktuell werden dort Montageabläufe bereits vor dem Serienstart der Neuen Klasse virtuell mithilfe der sogenannten 3D-Mensch-Simulation abgebildet. Im Rahmen eines Pilotprojektes lassen sich mit einem digitalen Zwilling nicht nur künftige Fertigungsstrukturen virtuell abbilden, es können darüber hinaus auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter simuliert werden, die in Zukunft an den Montagebändern arbeiten werden. Künftige Arbeitsabläufe und einzelne Arbeitsschritte am Regensburger Montageband lassen sich also bereits heute abbilden und testen. In die 3D-Mensch-Simulation am Standort Regensburg sind dazu bislang ein kompletter Bandabschnitt mit 41 Arbeitstakten auf über 1.000 Quadratmetern Montagefläche eingeflossen.

Durch die realitätsgetreue Simulation von Arbeitsschritten im künftigen Fabriklayout lassen sich schon heute effektive Taktvorgaben und gesundheitsschonende Ergonomie-Analysen erstellen. Erkennt die Software etwa, dass sich ein virtueller Mitarbeiter zu tief bücken oder er zu schwer heben müsse, um einen Arbeitsschritt durchzuführen, dann sei dies auch in der Realität der Fall, schildert Dominik Wottke, Produktions- und Qualitätsspezialist in der Regensburger Fahrzeugmontage. „Darauf können wir gezielt reagieren und Verbesserungen an der Modellierung vornehmen.“

Daten dienen auch der Qualifizierung

Auch als Schulungs- und Informationstool eignet sich die 3D-Mensch-Simulation. In einem extra eingerichteten virtuellen Raum können sich die Mitarbeiter der Regensburger Fahrzeugmontage per VR-Brille durch das künftige Montageband bewegen und bei Bedarf auch Details genauer ansehen. Werkleiter Armin Ebner erklärt: „Virtualisierung, künstliche Intelligenz und Data Science beschleunigen und präzisieren unsere Planung. Mit der digitalen Fabrikplanung können wir Planungsaufwände reduzieren und Fahrzeuganläufe künftig effizienter und stabiler realisieren.“ Dereinst soll sich mit diesem Tool auch das Alter von Werkzeugen simulieren lassen, was ein weiterer Fortschritt mit Blick auf die vorausschauende Wartung wäre.

So wird die Vision der virtuellen Fabrik Schritt für Schritt zur Realität: „Wir haben das klare Ziel, unser weltweites Produktionsnetzwerk noch vor Ende der Dekade vollständig digital abbilden zu können und damit die Basis für hocheffiziente Prozessplanung zu schaffen“, sagt Diego Farfara.

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