Am 12. November
wird im Rahmen des automotiveIT car.summits die neue Ausgabe der Connected-Car-Innovation-Studie
präsentiert, die das Center of Automotive Management zusammen mit automotiveIT
und Partner Cisco Systems regelmäßig veröffentlicht. Studienleiter und CAM-Direktor Stefan
Bratzel erklärt im Vorab-Interview, wieso die chinesischen OEMs die neuen
Dominatoren bei Innovationen rund um das softwaredefinierte, vernetzte und
autonome Fahrzeug sind, was die alte Auto-Welt jetzt tun muss und warum sich
aktuell die Innovationsdynamik speziell bei ADAS und autonomem Fahren spürbar
beschleunigt.
Herr Bratzel,
was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Entwicklung im Bereich des vernetzten
Fahrzeugs der letzten Jahre?
Das zentrale
Thema ist sicherlich das Software-Defined Vehicle, das durch die Fortschritte
bei der künstlichen Intelligenz eine deutliche Dynamik erfahren hat, auch aus
Endkundensicht. Die Autobauer gehen hier mit riesigen Schritten voran. Jüngst
etwa hat BMW die Neue Klasse vorgestellt, dessen E/E-Architektur Hardware und
Software klar voneinander trennt. Auch bei Mercedes-Benz steht die
Weiterentwicklung softwaredefinierter Architekturen im Mittelpunkt. Wir dürfen
nicht vergessen: Der Startschuss für diese Entwicklung kam ursprünglich von
Tesla. Und auch die chinesischen Autobauer wie Nio oder Xpeng sind bei diesem
Thema relativ stark, weil sie teilweise als Newcomer diese Architekturen von
vornherein entwickeln konnten. Die softwaredefinierte Fahrzeugarchitektur ist
die Voraussetzung dafür, dass man schnell kundenorientierte Mehrwerte ins
Fahrzeug bringen kann. Das drückt sich dann auch in vielen Innovationen in den
Feldern Infotainment, Connectivity oder eben beim zentralen Zukunftsthema ADAS
und autonomes Fahren aus.
Eine
Entwicklung ist in den letzten Jahren deutlich zu erkennen: Immer mehr chinesische
OEMs gehören bei Connected-Car-Innovationen zur Weltspitze. Wie bewerten Sie
diesen Aufstieg?
Es ist jetzt
allgemein anerkannt, was wir vor Jahren schon prognostiziert haben: China ist heute die neue Automobilmacht bei den
Connected-Car-Innovationen. Unsere Innovationsdatenbank zeigt, dass die
chinesischen OEMs gerade im Premium-Segment zuletzt auf breiter Front
angegriffen haben – ein Bereich, in dem die Innovationsmusik am lautesten
spielt. Zudem entsteht gerade ein völlig neues Automobil-Ökosystem, mit ganz
neuen Playern. Xiaomi beispielsweise – eigentlich ein Handyhersteller – spielt
mittlerweile eine enorm starke Rolle, auch was die Absatzzahlen betrifft.
Zuletzt ist das Unternehmen sogar in die Top Ten der NEV-Hersteller in China
aufgestiegen. Und Xiaomi verkauft erst seit eineinhalb Jahren überhaupt
Fahrzeuge. Das zeigt, welche enorme Dynamik dort herrscht. Die chinesischen
Autobauer bringen ihre Innovationen mit enormer Geschwindigkeit in Serie und
schaffen es, diese zu sehr niedrigen Kosten umzusetzen. Natürlich ist der Markt
dort hart umkämpft, und viele chinesische Hersteller verdienen aktuell noch
kein Geld mit dem, was sie tun. Aber ich erinnere daran: Auch Tesla hat lange
Zeit kein Geld verdient und die Branche in den heutigen Schlüsselbereichen
Elektromobilität und softwaredefiniertes Fahren revolutioniert.
Was würden sie
der „alten Autobranche“ raten?
Man sollte
versuchen, von den chinesischen Autobauern zu lernen. Es ist wichtig zu
verstehen, wie sie es schaffen, Entwicklungen so schnell voranzutreiben. Und
man sieht ja, dass die Kooperationen, die auch von deutschen Herstellern
eingegangen wurden, ein Teil der Antwort darauf sind. Volkswagen ist hier das
prominenteste Beispiel, mit Partnerschaften wie mit Xpeng oder Horizon
Robotics.
automotiveIT car.summit 2025
Beim automotiveIT car.summit am 11. November 2025 in München gehen die Experten-Talks zu den Herausforderungen um das Software-Defined Vehicle, autonomes Fahren und Connectivity in die nächste Runde. Gemeinsam mit Vorreitern von OEMs, Zulieferern und Tech-Playern schlagen wir die Brücke zwischen klassischer Fahrzeugentwicklung und Software/IT. 🎫 Jetzt Ticket sichern!
Ein
Schwerpunkt der neuen Connected-Car-Innovation-Studie sind die Themen ADAS und
autonomes Fahren. Sie betrachten dabei sowohl den Ownership-Bereich als auch
die Sharing-Welt. Wie weit gehen die Innovationsdynamiken hier auseinander?
Das
automatisierte Fahren ist für mich in den nächsten zehn Jahren das Thema, das
die größten Veränderungen im gesamten Mobilitätssystem verursachen wird. Zwar
lässt der ganz große Durchbruch weiterhin auf sich warten, dennoch glaube ich,
dass wir uns mittlerweile auf dem Pfad der Produktivität befinden – also in
einer Phase, in der das automatisierte Fahren zunehmend einen echten
Kundennutzen entfaltet und in die Breite getragen wird. Die Unterscheidung
zwischen „Ownership“ und „Sharing“ ist dabei tatsächlich sehr wichtig. Wir
sehen im Bereich der Fahrerassistenzsysteme – also bei den Leveln 1, 2 und 2+,
bei denen der Fahrer trotz partieller Automatisierung weiterhin verantwortlich
bleibt – eine enorme Dynamik. Diese Systeme sind mittlerweile Standard geworden
– eine Entwicklung, die wir vor ein paar Jahren insbesondere bei den
chinesischen OEMs noch nicht gesehen haben. Das ändert sich gerade. Wenn wir in
Richtung Level 3 schauen, dann ist Deutschland in diesem Segment tatsächlich
Innovationsführer. Mercedes-Benz war der erste Hersteller weltweit, der ein
Level-3-System für die Autobahn bis zu einer Geschwindigkeit von 95 km/h in
Serie zugelassen hat, und zwar auf dem deutschen Markt. Im Sharing-Bereich
allerdings sieht die Welt ganz anders aus. In den USA haben wir mit Waymo einen
klaren Innovations- und Weltmarktführer bei Level-4-Systemen, sprich im Bereich
Robotaxis. In China ist insbesondere Baidu mit seiner Apollo-Plattform sehr
stark, daneben gibt es noch einige weitere chinesische Robotaxi-Anbieter.
Deutschland dagegen liegt in diesem Bereich deutlich zurück. Und das muss man
mit aller Ernsthaftigkeit sagen: Wenn es stimmt, dass das automatisierte und
autonome Fahren – ob Robotaxis oder Privat-Pkw mit autonomen Funktionen – eines
der wichtigsten Themen der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre ist, dann muss die
deutsche Automobilindustrie hier aktiv werden und vorne mitspielen.
Werden die
beiden Welten weiter parallel voneinander laufen oder wachsen die stärker
zusammen?
Es gibt natürlich
Interdependenzen zwischen diesen beiden Welten, jedoch werden wir in den
nächsten Jahren die Entwicklung noch weitgehend getrennt beobachten. Spannend
wird die Frage sein, ob die privat genutzten Fahrzeuge tatsächlich auch in
Richtung Level 4 weiterentwickelt werden können – und zwar in absehbarer Zeit.
Denn es stellt sich durchaus ein Imageproblem: Wenn man etwa im Silicon Valley
in einem Premiumfahrzeug mit Level-3-System unterwegs ist und gleichzeitig in
San Francisco die Waymo-Shuttles völlig autonom durch die Straßen fahren, dann
wird sich der ein oder andere Kunde schon fragen, wieso sein teures
Premiumfahrzeug da technologisch im Rückstand ist. Hier könnte eine gewisse
Imagebelastung entstehen, wenn der Vergleich zwischen Premiumherstellern und
Tech-Unternehmen zu stark auseinanderläuft. Zugleich sehen wir erste Ansätze,
wie sich beide Welten technologisch annähern. So prüft Waymo beispielsweise in
Kooperation mit Toyota, ob das System „Waymo Driver“ künftig auch in
Privatfahrzeugen eingesetzt werden kann. Das heißt: Die Technologie aus dem
Sharing-Bereich könnte in Zukunft direkt in Privat-Pkw integriert werden. Und
es gibt noch einen dritten Punkt, den ich wichtig finde: Wenn sich Robotaxis in
urbanen Gebieten tatsächlich verbreiten, könnte das auch regulatorische Folgen
haben. Denn dann wäre klar: Man kann zu jeder Tages- und Nachtzeit zuverlässig
von A nach B kommen – ohne eigenes Fahrzeug. In der Folge könnten Städte
stärker regulierend eingreifen und Privat-Pkw aus Innenstädten heraushalten,
etwa über City-Mautsysteme oder Fahrverbote. Die Argumentation: Der Kunde kommt
ja ohnehin überall hin, also muss er kein eigenes Auto mehr in der Stadt
bewegen. Insofern werden wir nicht nur technologische, sondern auch systemische
Zusammenhänge sehen. Besonders in europäischen Städten werden Robotaxis eng mit
dem öffentlichen Nahverkehr verzahnt sein. So entsteht ein neues
Mobilitätssystem, in dem automatisiertes Fahren und ÖPNV zusammenspielen. In
den USA sieht das anders aus: Dort ist der öffentliche Verkehr oft schwach
ausgebaut, weshalb Robotaxis künftig eine noch größere Rolle übernehmen werden.
Sehen Sie die
Gefahr, dass Autobauer in autonomen Mobilitäts-Ökosystemen von morgen nur noch
die Lieferanten der Hardware sein werden?
Das in der Tat
eine große Gefahr. Die Autohersteller müssen aufpassen, nicht zu reinen
Hardware-Lieferanten degradiert zu werden. Die teuren und innovativen Elemente
liegen heute in der Software – und zunehmend in KI-Komponenten, etwa im Bereich
der ADAS-Systeme oder beim autonomen Fahrstack. Das sind die
Wertschöpfungsfelder der Zukunft. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass
sich die Hersteller wie Mercedes, Volkswagen, BMW zu echten Tech-Playern
weiterentwickeln. Das bedeutet, sie müssen selbst in der Lage sein, vollautonome
Fahrsysteme zu entwickeln und anzubieten, die für Kunden einen echten Mehrwert
bieten – und die perspektivisch auch in Shuttles eingesetzt werden können. Im
Moment sehen wir in Europa eigentlich nur wenige ernsthafte Initiativen in
diese Richtung. Klar ist: Diese Entwicklung muss weiter vorangetrieben werden. Wenn sich Hersteller nicht auch als Technologieanbieter
verstehen, verlieren wir langfristig einen großen Teil der Wertschöpfung. Und
man muss sich darüber hinaus im Klaren sein: Es wird am Ende keine zwanzig Anbieter
solcher Digital-Driver-Systeme geben, denn die Entwicklung ist schlichtweg zu
teuer. Deshalb steht auch die Frage im Raum, ob es nicht in Deutschland zu
Kooperationen zwischen den Herstellern kommen sollte, um dieses Thema gemeinsam
voranzubringen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die europäische und
insbesondere die deutsche Automobilindustrie im zukünftigen Ökosystem des
autonomen Fahrens eine zentrale Rolle spielt – und nicht nur die Hardware
liefert.
Volkswagen
will sich zusammen mit Moia und Mobileye und einem Gesamtpaket aus Fahrzeug,
Sensorik, Ökosystem und Knowhow als White-Label-Anbieter positionieren . Ein
kluger strategischer Schritt?
Ich denke, es ist
durchaus sinnvoll, dass Volkswagen versucht, sich als White-Label-Anbieter zu
positionieren. Das ist strategisch klug, aber es wird eine echte
Herkulesaufgabe, das wirklich umzusetzen. Zum einen muss man klar sagen: Im
Unterschied zu Waymo ist bei den europäischen Projekten immer noch ein
Sicherheitsfahrer an Bord. Das zeigt, dass wir von der technischen Reife noch
ein gutes Stück entfernt sind. Zum anderen haben wir in Europa ein ganz anderes
Mobilitätssystem als in den USA – eines, in dem der öffentliche Verkehr eine
zentrale Rolle spielt. Und am Ende stellt sich die entscheidende Frage: Wer
bezahlt für diese Party? Wenn Volkswagen als White-Label-Anbieter auftreten
will, muss jemand anderes bereit sein, das zu finanzieren – also die Kommunen,
Städte oder andere Mobilitätsanbieter, die etwa in Berlin, Hamburg oder anderen
Regionen solche Robotaxis im größeren Stil einsetzen wollen. Und das scheint
mir bislang noch offen. Ob das die öffentlichen Verkehrsbetriebe sein werden,
ist unklar. Viele von ihnen erhalten zwar erhebliche öffentliche Mittel, sind
aber nicht unbedingt die flexibelsten Akteure, wenn es um die Umsetzung neuer
Mobilitätskonzepte geht. Und um das auch deutlich zu sagen: Die
Weiterentwicklung von Robotaxis wird sehr viel Geld kosten. Wir brauchen in
Europa irgendwann eine gemeinsame Plattform, über die solche Systeme breit
skaliert werden können. Nur dann wird man mit diesen Lösungen langfristig Geld
verdienen können.
Sie haben das
autonome Fahren schon vor einigen Jahren als „Gamechanger der Mobilität“
bezeichnet. Wie nah sind wir dieser Vision gerade im vergangenen Jahr gekommen
und was ist noch zu tun, damit das Wirklichkeit wird?
Ich glaube, dass
wir diesem Ziel in manchen Regionen bereits sehr nah gekommen sind. Wir haben
das schon vor zwei Jahren im kommerziellen Betrieb bei Waymo in San Francisco
gesehen. Dort fahren mittlerweile mehrere Hundert Robotaxis durch die Stadt,
und zwar in einem komplexen, gemischten Verkehrsumfeld. Und das funktioniert
sehr gut. Das heißt: Technologisch sind wir bei manchen Akteuren schon relativ
weit. Ähnliches beobachten wir auch in China, wo in vielen Städten bereits
Robotaxis unterwegs sind. Der nächste große Schritt wird nun darin bestehen,
mit diesem kommerziellen Betrieb tatsächlich Geld zu verdienen, sprich, die
Skalierung hinzubekommen. Die Kosten müssen runter, die Einnahmen rauf. Das
heißt konkret: niedrigere Hardwarekosten, effizientere Systeme, geringere
Betriebsausgaben. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Operations Center.
Die Frage ist: Wie viele Remote Operators braucht man zur Überwachung dieser
Robotaxis? Das ist ein zentrales Kostenelement, das über die Wirtschaftlichkeit
der Systeme entscheidet. Technologisch sind wir also in manchen Regionen schon
sehr weit. Jetzt beginnt die Phase der Produktivität – die Phase, in der es
darum geht, mit der Technologie auch wirklich Geld zu verdienen. Und das wird
aus meiner Sicht der entscheidende Schritt der nächsten zehn Jahre sein.